Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Mehr Schwarzbrot, weniger Zuckerguss
Verbände beklagen dramatische Lage im Wohnungsbau – Niedrigere Standards gefordert
BERLIN - Sie warnen, fordern und appellieren. Und das nicht erst seit Donnerstag, sondern seit Monaten. Doch die Lage am Bau hat sich nicht verbessert, im Gegenteil. „Das ist der dramatischste Einbruch, den wir je verzeichnet haben“, sagte Katharina Metzger, Präsidentin des Bundesverbands Deutscher Baustoff-Fachhandel, beim diesjährigen Wohnungsbautag am Donnerstag in Berlin. Der Kipppunkt, vor dem Verbände und Unternehmer gewarnt haben, sei überschritten. Was das für den Wohnungsbau, die Branche, Eigentümer und Mieter bedeutet? Hier die wichtigsten Fragen und Antworten dazu.
Wie hat sich der Wohnungsmarkt entwickelt?
Schlecht. Nach Angaben von Dietmar Walberg vom Bauforschungsinstitut Arge fehlen etwa 800.000 Wohnungen in Deutschland, 100.000 mehr als noch vor einem Jahr. Das ist einerseits dem Zuzug geschuldet, andererseits dem Umstand, dass es auf dem Wohnungsmarkt kaum mehr Fluktuation gibt. Auch die Zahl der Menschen, die in beengten Wohnverhältnissen leben, hat laut Arge innerhalb von drei Jahren deutlich zugenommen: 2020 lebten demnach 8,5 Millionen Menschen in überbelegten Wohnungen, im vergangenen Jahr waren es schon 9,3 Millionen. „Die Menschen ruckeln sich zusammen und wohnen in Wohnungen, die nicht mehr angemessen sind“, so Walberg. Dass sich die Situation in absehbarer Zeit entspannen wird, ist nicht zu erwarten. Denn auch in diesem Jahr ist die Zahl der Baugenehmigungen nach Angaben des Statistischen Bundesamtes deutlich rückläufig. Im Januar 2024 bewilligten die Behörden 23,5 Prozent Wohnungen weniger als im Vorjahresmonat, im Vergleich zum Januar 2022 ging die Zahl sogar um 43,4 Prozent zurück. Ein wesentlicher Faktor für diese Entwicklung sind die Baukosten. Laut Walberg sind die Herstellungs- und Baukosten zwischen 2020 und Ende 2023 um mehr als 42 Prozent angestiegen. Entsprechend hoch sind die Mieten, die Immobilienunternehmen für Neubauten verlangen müssten.
Was könnte helfen, um diese Entwicklung zu stoppen?
Den Verbänden sind vor allem die Standards ein Dorn im Auge, die heutzutage beim Wohnungsbau gefordert werden. Wolfgang Schubert-Raab, Präsident des Zentralverbands Deutsches Baugewerbe, machte es an einem Beispiel deutlich: Für den Schallschutz sei eine Deckenstärke von 18 Zentimeter ausreichend. Verbaut würden aber Decken mit 22 Zentimeter, bei denen mehr Stahl zum Einsatz komme – mit entsprechend höheren, unnötigen Kosten. „Wir sind gesetzlich verpflichtet, den Goldstandard zu bauen. Ob den sich jemand wünscht oder leisten kann, steht auf einem anderen Blatt“, so Schubert-Raab. Auch bei der Energieeffizienz von Neubauten könnte laut Arge gespart werden, ohne dass darunter der Klimaschutz leide. Axel Gedaschko, Präsident des Bundesverbands deutscher Wohnungsund Immobilienunternehmen, stellte zudem infrage, ob tatsächlich jedes Gebäude Balkone und einen Aufzug haben müsse – barrierefreie Wohnungen könnten auch im Erdgeschoss entstehen. Doch dafür gäbe es in vielen Kommunen keine Baugenehmigung. Die staatlichen Förderungen seien an teuren Standards und einer hohen Energieeffizienz der Bauten ausgelegt, kritisierte Gedaschko. Es wäre jedoch sinnvoll, „dass wir nicht Zuckerguss fördern, sondern das bezahlbare Schwarzbrot“.
Was bedeutet das konkret?
Ein Weg, wie kostengünstiger neuer Wohnraum entstehen könnte, ist serielles und modulares Bauen. In der Branche ist in diesem Zusammenhang oft vom „Gebäudetyp E“die Rede, der wahlweise für einfaches oder experimentelles Bauen steht. Bundesbauministerin Klara Geywitz sagte beim Wohnbautag zu, dass die Bundesregierung schnellstmöglich die Bedingungen schaffen werde, damit rechtssicher vereinfacht gebaut werden könne. „Viele Vorschriften sind nicht notwendig, um ein gutes und ein sicheres Haus zu bauen“, betonte die SPD-Politikerin. Wann es so weit sein wird, blieb allerdings offen. Laut Walberg müssten einfachere Baustandards kein Nachteil für den Klimaschutz sein – weil bei einem geringeren Materialverbrauch unterm Strich weniger Treibhausgase entstehen.
War Geld ein Thema beim Wohnungsbautag?
Natürlich. Letztlich drehte sich ja alles um die Frage, zu welchen Bedingungen bezahlbarer Wohnraum entstehen kann. Das Verbändebündnis Wohnungsbau fordert jährlich 23 Milliarden Euro an Subventionen für den Wohnungsbau – 15 Milliarden Euro für 100.000 neue Sozialwohnungen und acht Milliarden für den Neubau von 60.000 „bezahlbaren Wohnungen“. Das Wohnungsangebot in diesem Segment habe sich weiter drastisch verknappt, sagte Mieterbund-Präsident Lukas Siebenkotten. Bereits jetzt sei jeder dritte Mieter finanziell überlastet und zahle mehr als 30 Prozent seines Einkommens für die Wohnung. Studienleiter Walberg wies darauf hin, dass bei Quadratmeterpreisen von derzeit 5850 Euro (inklusive Grundstück) rund 2900 Euro wegsubventioniert müssten, um auf eine bezahlbare Miete zu kommen.
Ist die Krise im Wohnungsbau vor allem eine soziale Frage?
Nicht nur. Die Baubranche sei für Deutschland auch ein Wachstumstreiber, betonte Martin Gornig von der Beratungsfirma DIW Econ, einem Tochterunternehmen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). Der Wohnungsbau stecke mit 537 Milliarden Euro hinter jedem siebten Euro der gesamten Bruttowertschöpfung in Deutschland. Bei einem Rückgang des Wohnungsbauvolumens von 5,4 Prozent würden dem Staat fünf Milliarden Euro Steuereinnahmen entgehen, rechnete Gornig vor. Die Krise am Bau könnte auch Folgen für den Arbeitsmarkt haben. Laut seiner Studie hängen die Jobs von knapp 6,6 Millionen Menschen direkt oder indirekt vom Bau ab – 14 Prozent der Gesamtbeschäftigten und somit jeder siebte Arbeitsplatz in Deutschland. Auch Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) betonte die Bedeutung der Branche für die Konjunktur. „Ohne eine Wohnungswirtschaft im Aufschwung oder unter Last, kann kein Aufschwung gelingen“, sagte er.