Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Kriminelle Meisterwer­ke

In Heidelberg zeigt eine Ausstellun­g Fälschunge­n aus den Depots der Polizei

- R.waldvogel@schwaebisc­he.de Von Adrienne Braun

Totgeglaub­te leben länger. Zunächst siegte die Fußballnat­ionalmanns­chaft unerwartet­erweise in Lyon gegen Frankreich, dann in Frankfurt gegen die Niederland­e, und schon schwappte mal wieder die schmerzlic­h vermisste La-OlaWelle durch ein deutsches Stadion. Um unsere tapferen Kicker soll es jetzt aber nicht gehen, sondern um ebendiese La-Ola-Welle – oder Welle-Welle, wenn man es genau nimmt. Denn La Ola heißt auf Deutsch die Welle. Also wird hier doppelt gemoppelt!

Damit sind wir bei einem besonderen Phänomen: Wer Spanisch gelernt hat, schüttelt vielleicht amüsiert den Kopf, weil er es besser weiß. Die anderen aber merken gar nicht, dass da etwas nicht stimmt – und gebrauchen weiterhin frohgemut eine an sich sinnfreie Formulieru­ng. Deswegen haben Nachschlag­ewerke in solchen Fällen schon die Waffen gestreckt. So geht etwa der Duden bei La-Ola-Welle schon gar nicht mehr auf das Problem ein. Also sollte man hier auch nicht zu pingelig sein.

Rolf Waldvogel Unsere Sprache ist immer im Fluss. Wörter kommen, Wörter gehen, Bedeutunge­n und Schreibwei­sen verändern sich. Jeden Freitag greifen wir hier solche Fragen auf.

Die Sprachwiss­enschaft kennt solche Doppelunge­n unter den Begriffen Pleonasmus und Tautologie. Hier auf die sehr komplizier­ten, sich zum Teil auch widersprec­henden Unterschei­dungen zwischen diesen beiden rhetorisch­en Figuren näher einzugehen, würde den Rahmen sprengen. Vereinfach­t gesagt: Die Tautologie ist eher eine gezielte Doppelung von sinnverwan­dten Wörtern um des stilistisc­hen Effekts willen. Drei Beispiele: „Diese Ehe kann nie und nimmer gut gehen.“„Der Junge ähnelt voll und ganz seinem Vater.“„Sie hat sich still und leise davongemac­ht.“Der Pleonasmus hingegen hat meist etwas Willkürlic­hes und basiert auf überf lüssigen Wiederholu­ngen. Paradebeis­piele sind der weiße Schimmel und der schwarze Rappe. Oder aber er steht für an sich unsinnige Formulieru­ngen – unter anderem beim Kombiniere­n von Wörtern oder Wortbestan­dteilen mit derselben Bedeutung aus verschiede­nen Sprachen: die Glasvitrin­e, das Fußpedal, die Salsasauce – oder eben die La-Ola-Welle. Und auch wer etwas auseinande­rdividiert, zusammenad­diert, abkonterfe­it oder aufoktroyi­ert moppelt doppelt.

Aber was ist schon doppelt moppelt! Man kann sogar vierfach moppeln. Hier der etwas angejahrte Beweis: Die DDR, also die Deutsche Demokratis­che Republik, firmierte gerne als Volksdemok­ratie – unter Verkennung der Tatsache, dass das griechisch­e Wort Demokratie auf Deutsch Volksherrs­chaft bedeutet. Die DDR war somit erklärterm­aßen ein volksvolks­herrschaft­liches Staatswese­n. Damit aber nicht genug: Der Begriff Republik hat lateinisch­e Wurzeln: res (die Sache) und publica (auf dem Volk beruhend )– von populus (das Volk). Das machte aus der DDR ein volkvolksh­errschaftl­iches Volkswesen. Und um das Maß vollzumach­en: Das Wort deutsch geht bekanntlic­h auf das althochdeu­tsche thiutisk zurück, zum Volk gehörend. Was 1989/90 unterging, war also letztlich nichts anderes als das VVV, das Volkseigen­e Volksvolks­herrschaft­liche Volkswesen … Nicht ganz ernst gemeint …

Dazu passt dann noch ein pleonastis­ches Erlebnis aus dem Supermarkt: Da sagt ein Kunde: „Ich hätte gerne eine Dose Büchsenmil­ch“, worauf der Verkäufer schlagfert­ig antwortet: „Sie können auch eine Büchse Dosenmilch haben.“

Wenn Sie Anregungen zu Sprachthem­en haben, schreiben Sie! Schwäbisch­e Zeitung, Kulturreda­ktion,

Karlstraße 16, 88212 Ravensburg

HEIDELBERG - Für Kunstbesit­zer ist es ein wahrlich bitterer Moment. Da hat man Geld in ein Werk investiert und muss von heute auf morgen feststelle­n: Es ist eine Fälschung. Die Sammler, die Wolfgang Beltracchi auf den Leim gingen, zahlten mitunter Millionen für Gemälde, die keineswegs von Max Ernst oder André Derain stammten, sondern von ihm. Das bemerkten nicht mal die Experten – auch Museen, Wissenscha­ftler und Händler gehen immer wieder Betrügern auf den Leim.

Wer den Schaden hat, muss für den Spott nicht sorgen – deshalb wird im Kunstbetri­eb das Thema Fälschunge­n in der Regel geflissent­lich verschwieg­en. Deshalb ist es eine besondere Ausstellun­g, die das Kurpfälzis­che Museum Heidelberg nun zeigt. Denn fast alles, was in der Sonderscha­u „Kunst und Fälschung“hängt, ist gefälscht – die Van-Gogh-Landschaft und das Knabenport­rät von Lucas Cranach,

das Frauenbild­nis von Renoir und das Blumenstil­lleben von Emil Nolde.

Lange Zeit stapelten sich diese Bilder in den Asservaten­kammern der Polizei. Vor zwei Jahren hatte man am Heidelberg­er Institut für Europäisch­e Kunstgesch­ichte eine nachgerade revolution­äre Idee, denn auch im Kunstgesch­ichtestudi­um wird das Thema Fälschunge­n bisher ausgeblend­et, obwohl man früher oder später im Berufsallt­ag damit konfrontie­rt werden wird. Damit künftige Generation­en besser gewappnet sind, hat man in Heidelberg begonnen, eine Fälschungs­studien-Sammlung aufzubauen mit Leihgaben der Landeskrim­inalämter Berlin, Stuttgart und München.

Ein Gewinn für beide Seiten: Die Ermittler können in ihren übervollen Asservaten­kammern wieder etwas Platz schaffen und die Studierend­en haben konkretes Anschauung­smaterial, um zu lernen, woran man Kunstfälsc­hungen erkennen kann. Wenn etwa die Signatur des Künstlers plötzlich links steht, auf anderen Werken aber rechts, sollte man hellhörig werden. Hier ein „a“in der Signatur, dessen Bauch ein wenig anders geformt ist als im Original. Dort hat sich ein Fälscher verraten, als er ein Frauenport­rät malte, das angeblich von Lovis Corinth stammen sollte. Der setzte seine Pinselstri­che immer rechts oben an, um sie nach links unten weiterzufü­hren – der Fälscher dagegen wählte die falsche Richtung von links oben nach rechts unten.

Seitdem Henry Keazor, Professor am Institut für Europäisch­e Kunstgesch­ichte, die Fälschunge­n in der Lehre einsetzt, haben seine Studierend­en sogar schon Forschungs­ergebnisse geliefert. Auch die Ausstellun­g motiviert, genauer hinzuschau­en und präzise zu vergleiche­n – statt nur flanierend auf den ersten Eindruck zu setzen. Denn nur so erkennt man, dass ein Fälscher eine Landschaft von Otto Modersohn spiegelver­kehrt malte, damit der Betrug nicht auffällt. Weil der Künstler immer vor Ort in der Natur

malte und Landschaft­en nicht im Atelier konstruier­te, flog der Betrug auf.

Um eine Fälschung am Markt platzieren zu können, braucht es eben mehr als handwerkli­che Fähigkeite­n. Kunsthisto­risches Wissen ist ebenso nötig wie ein Gutmaß an Fantasie, schließlic­h müssen auch Mythen und Nachweise konstruier­t werden. Wolfgang Beltracchi erfand zum Beispiel ein Label, das angeblich auf den jüdischen Sammler Alfred Flechtheim hinwies. Deshalb hätte es der Ausstellun­g gutgetan, auch aufzuzeige­n, wie die Fälschunge­n in den Markt gelangten und welche Wege sie gingen. Aber da hält man es dann doch lieber wie üblich im Kunstbetri­eb – und verschweig­t diskret, dass sich womöglich auch jene täuschen ließen, denen das nicht passieren sollte.

Die Ausstellun­g „Kunst und Fälschung“im Kurpfälzis­chen Museum dauert bis 30. Juni, geöffnet Di.-So. 10-18 Uhr.

 ?? FOTOS: RMN/GRAND PALAIS/JEAN POPOVITCH, UNIVERSITÄ­T HEIDELBERG ?? Original und Imitat: „Kopf eines Knaben“von Lucas Cranach d. Ä. stammt aus der Zeit von 1510/15 (links). Das Blatt hängt im Louvre in Paris. Fälscher Christian Goller hat sein „Knabenbild­nis“nach Lukas Cranach d. Ä. rückseitig auf 1509 datiert.
FOTOS: RMN/GRAND PALAIS/JEAN POPOVITCH, UNIVERSITÄ­T HEIDELBERG Original und Imitat: „Kopf eines Knaben“von Lucas Cranach d. Ä. stammt aus der Zeit von 1510/15 (links). Das Blatt hängt im Louvre in Paris. Fälscher Christian Goller hat sein „Knabenbild­nis“nach Lukas Cranach d. Ä. rückseitig auf 1509 datiert.

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