Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Trauer gehört für Dorothea Pohl zum Leben

Friedrichs­hafenerin war vor 25 Jahren die erste Trauerredn­erin in der Bodenseere­gion

- Von Gunthild Schulte-Hoppe

FRIEDRICHS­HAFEN - Vor 25 Jahren ist Dorothea Pohl nach eigenen Angaben die erste hauptberuf­liche Trauerredn­erin in der Bodenseere­gion gewesen. Mittlerwei­le hat sie rund 2300 Trauerfeie­rn gestaltet. Auch wenn sie seit zwei Jahren offiziell Rentnerin ist, denkt sie noch nicht ans Aufhören.

Wer in den vergangene­n Jahren eine Trauerfeie­r auf dem städtische­n Friedhof in Friedrichs­hafen besucht hat, hat mit großer Wahrschein­lichkeit Dorothea Pohl schon einmal erlebt. Mit ruhiger, geradezu beruhigend­er Art, und ihrer warmen, festen Stimme führt sie die Trauergeme­inde durch die schwere Stunde des endgültige­n Abschieds von einem geliebten Menschen.

Für Dorothea Pohl ist ihre Arbeit mehr als ein Beruf, es ist eine Berufung. „Ich bin dorthin geführt worden“, sagt sie. Dem Thema Trauer begegnete die gelernte Sekretärin schon als junge Frau, als sie 1980 mit ihrem damaligen Ehemann Peter Pohl ein Bestattung­sunternehm­en gründete. Auch nach der Trennung 1986 arbeitete sie dort weiter.

Während ihrer Selbststän­digkeit konnten Angehörige die Trauerredn­erin unabhängig vom Bestattung­sunternehm­en buchen. Seit sie Rentnerin ist, arbeitet Dorothea Pohl nur noch für das Bestattung­shaus Pohl. Noch immer gestaltet die 67-Jährige 130 bis 140 Trauerfeie­rn im Jahr, die meisten davon in Friedrichs­hafen. Die Nachfrage sei ungebroche­n hoch und Dorothea Pohl ist froh, eine Stellvertr­etung gefunden zu haben.

Ihre schwerste Zeit erlebte Dorothea Pohl 1996, als ihr damals 12-jähriger Sohn Thomas an Leukämie erkrankte. Viele Wochen verbrachte sie an seiner Seite im Ulmer Universitä­tsklinikum und musste hilflos zusehen, wie es ihm immer schlechter ging. „Ich hatte mich auf Anraten der Ärzte schon von ihm verabschie­det“, sagt sie. Wie durch ein Wunder besserte sich der Zustand des Jungen und Thomas Pohl wurde wieder gesund. „Das war die schlimmste Zeit meines Lebens“, erinnert sich Dorothea Pohl, die in dieser Phase mit Hoffen und Sorge, mit Abschied und Tod konfrontie­rt war. Die prägende Phase ihres Lebens zeigte ihr ihren weiteren berufliche­n Weg auf.

Durch das Buch „Ich sehe deine Tränen“von Jorgos Canacakis und ein Seminar bei griechisch­en Psychother­apeuten fand sie ihre Berufung. Als Grundlage dienten Seminare, Fortbildun­gen und eigene Lebenserfa­hrungen. „Ein Stück weit kann man den Beruf lernen. Aber das Einfühlung­svermögen ist eine Gabe, die man mitbringen muss“, ist sich die Trauerredn­erin sicher. Im Laufe der Jahre habe sie ihren eigenen Stil gefunden, bei dem sie den Verstorben­en in den Mittelpunk­t stellt. „Das wissen die Angehörige­n sehr zu schätzen“, sagt Dorothea Pohl. Die Leidensges­chichte und den Tod stellt sie an den Anfang, um die Trauergeme­inde später mit positiven Gedanken an ihn (oder sie) zu entlassen. Passende Musikstück­e, die mit den Angehörige­n abgestimmt sind, untermalen die Feier.

Hatte sie früher größtentei­ls konfession­slose Kunden, so habe sich dies im Laufe der Jahre umgekehrt. Christlich­e Rituale wie Gebete oder das Vaterunser baut sie auf Wunsch ein. Um eine Trauerrede zu erstellen, verbringt die Häflerin sechs bis acht Stunden an ihrem Schreibtis­ch, manchmal auch mehr. Als herausford­ernd empfindet sie Reden über Menschen, die am Leben gescheiter­t sind oder Suizid begangen haben. Gleichzeit­ig seien es ihre Lieblingsr­eden, „weil ich den Verstorben­en einen würdevolle­n Abschied bereiten und das Positive im Menschen hervorhebe­n möchte“.

Dorothea Pohl wirkt wie der Ruhepol in der Aussegnung­shalle, trotzdem könne es vorkommen, dass ihr die Stimme wegbricht. Besonders wenn ein Kind gestorben ist und Eltern in der ersten Reihe sitzen, falle ihr das Sprechen schwer. „Das ist der Horror“, sagt sie.

Immer wieder werde sie gefragt, wie sie es aushält, Tag für Tag mit Trauernden und dem Thema Tod umgehen zu müssen. „Ich hatte noch nie ein Problem damit. Mir ist es noch nie zu viel geworden“, sagt Dorothea Pohl im Rückblick auf ihre 25-jährige Tätigkeit. „Für diese Aufgabe muss man gut geerdet sein. Und das bin ich. Zudem fühle ich mich vom Himmel gut geführt und gestärkt“, fügt sie hinzu. Trauerredn­erin zu sein, sieht sie als eine erfüllende Aufgabe. „Ich kann viel geben und bekomme dafür Dankbarkei­t und Wertschätz­ung zurück. In welchem Beruf gibt es das?“Die Dankesschr­eiben ihrer Auftraggeb­er hat sie aufgehoben und in einer Kiste gesammelt. „Die lese ich alle noch mal, wenn ich mal viel Zeit habe“, sagt sie. Bis dahin wird Dorothea Pohl aber sicher noch viele Trauerfeie­rn gestalten. „So lange ich denken, schreiben, reden und gehen kann.“

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FOTO: GUNTHILD SCHULTE-HOPPE Als Trauerredn­erin hat Dorothea Pohl insgesamt mehr als 2300 Trauerfeie­rn gestaltet.

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