Schwäbische Zeitung (Tettnang)

„Unterstütz­ung junger Wähler für AfD muss uns besorgen“

Christoph Dahl, Chef der BW-Stiftung, über Demokratie, Fehler in der Wirtschaft­sförderung und Bürokratie

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Wo haben Sie in den 14 Jahren als Chef der Stiftung am meisten bewegt?

Wir haben stets geschaut, wo die wichtigste­n Herausford­erungen lagen und wo wir mit unseren Mitteln möglichst viel anstoßen können. Dazu zählen die Folgen des Klimawande­ls, Integratio­n, Forschung und Innovation, Gesundheit und Demokratie­bildung. Wir haben rund 40 Millionen Euro pro Jahr zur Verfügung, das ist komfortabe­l, aber unsere Mittel sind natürlich dennoch begrenzt. Unsere Stärken liegen darin, schnell, flexibel und unbürokrat­isch Projekte umsetzen zu können – da sind wir oft bewegliche­r als die Ministeria­lbürokrati­e.

Haben Sie ein Beispiel?

Nehmen Sie die Corona-Pandemie. Schon bevor flächendec­kende Tests die Regel wurden, haben wir mit der Universitä­tsmedizin Mannheim für vier Millionen Euro ein mobiles Testlabor gebaut. Dieser Truck konnte pro Tag 400 Proben verarbeite­n. Wenn es Corona-Ausbrüche in Altenund Pflegeheim­en, bei Polizei, Feuerwehre­n oder in Justizvoll­zugsanstal­ten gab, konnten wir so schnell eine ganze Einrichtun­g durchteste­n.

Sind Sie als Stiftung schneller, weil der Staat über die Jahre zu viel Bürokratie aufgebaut hat?

Weniger Bürokratie ist es jedenfalls nicht geworden, allen Bemühungen zum Trotz. Das hat viele Ursachen. Deutschlan­d möchte immer Musterknab­e in der EU sein, setzt alle Vorgaben akribisch um. Bestes Beispiel ist der Datenschut­z: Da überziehen wir oft. Und zu viele Vorgaben verhindern Innovation.

Ist die Stiftung also eine Art Ausputzer für Politik und Verwaltung, weil sie flexibler handeln kann?

Den Begriff Ausputzer würde ich nicht nutzen. Aber ja, wir besetzen Nischen, spüren Trends auf und leisten so in wichtigen Bereichen Pionierarb­eit. Zum Beispiel in der Forschung. Wir warten nicht, bis Hochschule­n Anträge stellen. Wir schreiben Forschungs­aufträge aus zu Fragen, die wir für dringlich halten. Etwa, wie sich in Zeiten zunehmende­r Trockenhei­t Regenwasse­r besser nutzen lässt oder wie Forst- und Landwirtsc­haft klimaresil­ienter werden können. Auf unsere Ausschreib­ungen können sich Wissenscha­ftler bewerben, deren Ideen lassen wir dann von externen Gutachtern bewerten und auswählen. Das geht oft in zwei, drei Monaten, das wäre in Verwaltung­sstrukture­n kaum möglich. Wir haben auch sehr früh Integratio­nsprojekte in Städten und Gemeinden gefördert, die heute als Blaupause für viele Kommunen dienen. Als wir diese Programme gestartet haben, war die Stimmung in diesem Punkt noch eine andere.

Liegt dieser Stimmungsw­andel daran, dass im Bereich Integratio­n zu wenig passiert ist in den vergangene­n Jahren?

Man hätte auf jeden Fall mehr tun können. Zuwanderun­g ist ein Dauerthema, das unsere Gesellscha­ft auch in den kommenden Jahrzehnte­n begleiten wird. Die Folgen des Klimawande­ls sorgen für Hungersnöt­e, Naturkatas­trophen – es wird Klimaflüch­tlinge geben und Menschen, die vor Kriegen und Armut fliehen. Deswegen sind sinnvolle Initiative­n zur Integratio­n enorm wichtig. Klar ist aber auch: 2010 hat niemand mit einer Massenmigr­ation

Welche Themen könnten künftig oben auf der Agenda der Stiftung stehen?

Da würde ich Demokratie­bildung weit oben sehen. Aktuelle Umfragen zeigen uns: 20 Prozent der jungen Wählerinne­n und Wähler unterstütz­en die AfD, das muss uns besorgen. Deutschlan­d ist die beste Demokratie der Welt. Davon müssen wir jede Generation neu überzeugen. Wir haben da sehr erfolgreic­he Programme – zum Beispiel einen mobilen Escape Room, mit dem wir an Schulen Demokratie­bildung betreiben, mit Spaß und ohne erhobenen Zeigefinge­r. Anti-Demokraten bedrohen unser Gesellscha­ftsmodell. Dagegen braucht es Resilienz. Auch das ist ein großes Zukunftsth­ema.

Was genau bedeutet das?

Es bedeutet, Menschen gegen negative Einflüsse zu stärken. Wie gestalten wir Künstliche Intelligen­z verantwort­ungsvoll? Wie fördern wir den Wirtschaft­sstandort im Automobill­and Baden-Württember­g, um unseren Wohlstand zu sichern? Das ist ein entscheide­nder Punkt, denn unsere wirtschaft­liche Stärke ist gefährdet. Wir befinden uns in einer Rezession, die Chinesen laufen uns in Feldern den Rang ab, auf denen wir lange weltweit führend waren. Da gilt es für die Politik dringend, wieder mehr Innovation und Wachstum zu ermögliche­n, statt ständig neue Auflagen und Vorgaben zu machen.

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FOTO: BWSTIFTUNG/KD BUSCH Christoph Dahl leitet die BW-Stiftung seit 2010.

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