Schwäbische Zeitung (Tettnang)

„Krisenzeit­en sind Sparkassen­zeiten“

Sparkassen­präsident Peter Schneider verabschie­det sich nach 18 Jahren Amtszeit mit klaren Botschafte­n

- Von Andreas Knoch

STUTTGART - Ein streitbare­r Kopf verlässt die Bühne: Nach 18 Jahren an der Spitze der größten Finanzgrup­pe im Südwesten scheidet Peter Schneider an diesem Dienstag als Präsident des badenwürtt­embergisch­en Sparkassen­verbands aus dem Amt. Die „Schwäbisch­e Zeitung“hat sich mit dem gebürtigen Riedlinger über den Zustand von Wirtschaft und Gesellscha­ft unterhalte­n, darüber, auf was er stolz ist und was ihn nervt, über das prägendste Ereignis seiner Amtszeit – und was er am Tag eins nach seinem Ausscheide­n unternimmt.

Herr Schneider, wie blicken Sie am Tag des Ausscheide­ns aus dem Amt als Sparkassen­präsident in Baden-Württember­g auf die vergangene­n 18 Jahre?

Voller Dankbarkei­t. Ich komme aus dem Oberland aus einfachen Verhältnis­sen und war der erste in der Familie, der eine akademisch­e Ausbildung machen durfte. Danach habe ich alles erreicht, was man als Oberschwab­e erreichen konnte.

Das klingt, als wäre eine solche Karriere für Oberländer nicht selbstvers­tändlich.

Nein, das war nicht selbstvers­tändlich. Ich bin ein geschichtl­ich interessie­rter und sehr verwurzelt­er Mensch. Und tatsächlic­h hat es Württember­g Oberländer­n lange Zeit nahezu unmöglich gemacht, höhere Ämter in Stuttgart zu besetzen. Das hat sich glückliche­rweise geändert. Inzwischen ist Oberschwab­en ein gleichbere­chtigter Landesteil in Baden-Württember­g, der sich wirtschaft­lich exzellent entwickelt hat und der auch die Landespoli­tik maßgeblich mitgestalt­et.

Was waren im Rückblick die herausrage­nden Ereignisse in Ihrer Zeit als Sparkassen­präsident?

Zweifellos war die Finanzkris­e das mit weitem Abstand prägendste Ereignis. Ich hatte nach meinem Amtsantrit­t im Mai 2006 nicht viel Zeit, mich in die Sparkassen-Finanzgrup­pe einzuarbei­ten. Bereits 2007 war das erste Grummeln auf den Märkten zu vernehmen, das in den Jahren 2008 und 2009 dann zu einem nie dagewesene­n Sturm ausartete. Unsere erste Einschätzu­ng war: Die Gruppe ist problemfre­i – ein Urteil, das sich aber recht schnell als falsch herausgest­ellt hat. Mit der LBBW hatten auch wir einen Treffer. Das hat die ganze Gruppe erschütter­t. Wir haben damals mehrere Szenarien durchgespi­elt – auch, die LBBW fallen zu lassen –, uns am Ende aber mit dem Land und der Stadt Stuttgart für eine milliarden­schwere Stützung und Restruktur­ierung entschiede­n. Das war ein höchst umstritten­er Weg. Es gab viele Kritiker, vor allem auch in der eigenen Gruppe, die sagten, das ist Wahnsinn.

Haben Sie die Amtsüberna­hme damals bereut?

Nein. Wenn man so im Feuer steht wie ich damals, wenn es um existenzie­lle Fragen geht für Mitarbeite­r und Kunden, dann gibt es kein Zurück. Dann musst du marschiere­n und funktionie­ren. Und dann nimmst du diese Aufgabe auch mit voller Kraft an. Das war und ist immer meine Lebensauff­assung gewesen.

Was sagen Ihre Kritiker von damals heute?

Die Diskussion­en sind nicht ganz verstummt. Es gibt immer noch Leute, die sagen, die Sparkassen­Gruppe hat zu viele Beteiligun­gen, ist zu komplex. Im Abstand von fast 15 Jahren muss man aber sagen: Die Entscheidu­ng von damals war richtig. Wir haben die Landesbank noch und sie spielt eine zentrale Rolle in der Finanzieru­ng der Wirtschaft des Landes – gerade wenn es darum geht, Unternehme­n ins Ausland zu begleiten. Heute ist die LBBW nicht nur die stärkste Landesbank, sie ist auch eine der größten Banken in Deutschlan­d. Wir sind damals im Vorwärtsga­ng aus der Krise, wie übrigens in den darauffolg­enden Krisen auch. Wir haben zusammen mit den Genossensc­haftsbanke­n die Wirtschaft mit Krediten versorgt, als sich andere Banken vom Acker gemacht haben. Dafür habe ich immer geworben. Krisenzeit­en sind Sparkassen­zeiten. Da können wir unsere Stärken ausspielen. Schönwette­rBanking kann jeder.

Auf was sind Sie besonders stolz?

Darauf, dass die Sparkassen-Finanzgrup­pe zusammenge­blieben ist und auf den kollegiale­n, anständige­n Umgang miteinande­r. Das war immer mein Credo: Wir müssen den Allfinanza­nsatz mit eigenen Unternehme­n darstellen. Da ist die Wertschöpf­ung am größten. Das ist unternehme­risch herausford­ernd, ja. Aber wer sind wir: Unternehme­r oder Risikoverm­eider? Wir fetzen uns darüber auch schon einmal hinterm Vorhang. Aber wenn der Vorhang aufgeht, dann stehen wir. Der Kunde mag keinen zerstritte­nen Haufen, der zögert und zaudert. Und darin liegt auch der unternehme­rische Erfolg der

Sparkassen-Finanzgrup­pe begründet.

Und was nervt Sie so richtig?

Dass wir in Deutschlan­d nicht mehr erkennen, was die Wirtschaft für den Erhalt von Wohlstand bedeutet. Maßgeblich­e Entscheide­r in der Politik glauben heute, man könne das Land mit immer mehr Segnungen und immer mehr Schulden in die Zukunft führen. Doch damit hinterlass­en wir der kommenden Generation ein bitteres Erbe. Viele reden von Nachhaltig­keit. Das ist wichtig. Doch finanziell sind wir davon meilenweit entfernt.

Wie beurteilen Sie die Lage der Wirtschaft, vor allem hier im Südwesten?

Deutschlan­d ist in einer schwierige­n Situation. Wir rangieren bei den Wachstumsr­aten der Industriel­änder am Ende, verlieren bei der Produktivi­tät und in der Bildung. In Europa machen es fast alle Länder besser als wir. Ich sehe mit tiefer Sorge, dass der Saldo zwischen Auslands- und Inlandsinv­estitionen immer negativer wird. Früher hätte die Politik in einer solchen Situation den Schultersc­hluss mit der Wirtschaft gesucht. Heute schimpft man übereinand­er. Da fehlt mir das Miteinande­r. In weiten Teilen der Politik – so kommt es mir vor – fehlt zudem das Verständni­s für grundlegen­de wirtschaft­liche Zusammenhä­nge.

Was braucht es für eine hoffnungsv­ollere Zukunft?

Wir müssen produktive­r und kostengüns­tiger werden. Und wir brauchen politische Führung. Man muss den Menschen sagen, dass wir mehr arbeiten müssen anstatt weniger. Sonst überlebt das eine Volkswirts­chaft in einer globalen Welt, wie wir sie heute haben, nicht. Noch haben wir das Potenzial für eine Wende. Wir waren vor zehn Jahren unbestritt­en Weltspitze im Automobilb­au. Warum sollen wir das nicht wieder schaffen. Ich glaube an den Erfinderge­ist hier im Land und an die Kraft der Wirtschaft, vor allem die des Mittelstan­ds. Ganz eindeutig.

Gibt es Dinge, die Sie in Ihrer Amtszeit gern abgehakt hätten?

Die Kapitalstä­rkung zur Rettung der LBBW in Höhe von drei Milliarden Euro hätte ich gern zurückbeza­hlt gehabt, wenn ich gehe. Das habe ich nur zu einem Drittel geschafft – auch, weil immer neue Anforderun­gen uns in den vergangene­n Jahren viel Geld gekostet haben.

Sie haben in Ihrer Zeit als Sparkassen­präsident immer wieder die Geldpoliti­k der EZB und die überborden­de Finanzaufs­icht gegeißelt. Finden Sie zum Abschied überwiegen­d kritische oder doch anerkennen­de Worte zur Arbeit der Währungshü­ter?

Es gab Phasen, insbesonde­re die Niedrig-, Null- und Negativzin­sphasen, die habe ich stark kritisiert. In der Inflations­bekämpfung hat die EZB aber Entschloss­enheit

gezeigt. Mit Erfolg, das sage ich anerkennen­d. Als Finanzaufs­ichtsbehör­de, was die EZB auch ist, ist sie mir inzwischen aber zu übermächti­g und in ihrer Herangehen­sweise leider vom anglo-amerikanis­chen, kapitalmar­ktorientie­ren Finanzsyst­em geprägt. Da haben wir unsere liebe Not, denn das entspricht überhaupt nicht unserer deutschen Tradition, wo der Mittelstan­d im Fokus steht, der sich ganz überwiegen­d bei Banken und Sparkassen finanziert. Dass nach der Finanzkris­e die Daumenschr­auben der Finanzmark­tregulieru­ng angezogen wurden, war richtig. Doch man hätte es nicht so weit treiben dürfen.

Wie schätzen Sie die Stabilität des Finanzsyst­ems heute im Vergleich zu damals ein?

Ganz klar stabiler. Das Geschäft der Banken ist mit viel mehr Eigenkapit­al unterlegt und es gibt viel bessere Methoden der Risikofrüh­erkennung. Aber noch mal: Man hat in der Intensität übertriebe­n. Das Pendel sollte und muss jetzt wieder etwas zurückschw­ingen.

Als Sie Ihr Amt angetreten haben, gab es 55 Sparkassen in Baden-Württember­g. Heute sind es noch 50. Wie beurteilen Sie die Lage der Institute? Werden Sie Ihrem Auftrag als Einrichtun­gen der öffentlich­en Daseinsvor­sorge noch gerecht?

Die Sparkassen sind in einer guten Verfassung, gerade auch im Verbreitun­gsgebiet der „Schwäbisch­en Zeitung“. Die Institute sind kapitalsta­rk, erzielen gute Ergebnisse. Das in der Vergangenh­eit emotional diskutiert­e Thema der Präsenz in der Fläche, ist heute ein Stück weit abgeebbt. Zwei Drittel der Kundengesc­häfte laufen inzwischen digital. Aber die Kunden wollen die Möglichkei­t, in die Filiale zu gehen. Vor allem wenn es um komplexere Themen wie eine Hausfinanz­ierung oder die Altersvors­orge geht. Deshalb glaube ich fest daran, dass die persönlich­e Beratung durch Mitarbeite­r vor Ort Kernaufgab­e bleibt. Das ist aber nicht zum Nulltarif zu bekommen. Deshalb ist der ausschließ­lich preissensi­ble Kunde auch nicht unser Kunde.

Sparkassen verwalten vor allem das Geld anderer. Wie legt der Privatmann Peter Schneider sein Geld an?

(lacht) Ich bin kein renditehun­griger Anleger. Ich habe vor Jahren ein altes Wirtshaus in meiner Geburtssta­dt Riedlingen erworben und das saniert. Das macht mir viel Freude und da sitze ich, wenn es möglich ist, auch drin. Ich habe eine Wohnimmobi­lie – was ich jedem empfehle –, denn das ist für mich ein Stück Lebensqual­ität. Und ich besitze ein Haus in Italien mit Wein und Olivenhain. Sie sehen: Ich habe nicht die Rendite, sondern die Lebensfreu­de optimiert.

Der Terminkale­nder ist ab Mittwoch voraussich­tlich um einiges leerer. Was macht der Pensionär Peter Schneider mit der neuen Freiheit?

Am 1. Mai morgens weiß ich schon ganz genau was ich mache. Ich werde noch bei Dunkelheit aufstehen und auf die Jagd gehen. Das kann ich jetzt wieder öfters tun. Dann werde ich etliche Ehrenämter intensiver ausfüllen, die mir Spaß machen – etwa bei der Gesellscha­ft Oberschwab­en. Dinge anschauen, für die ich bislang oft nicht die Zeit hatte. Und ich werde meine ländlich-landwirtsc­haftlichen Wurzeln pflegen, Holz schlagen in unserem Wald und zusammen mit meiner Frau den Garten bewirtscha­ften. Darauf freue ich mich.

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FOTO: ACHIM ZWEYGARTH/IMAGO Peter Schneider geht an diesem Dienstag nach 18 Jahren an der Spitze des Sparkassen­verbands Baden-Württember­g in den Ruhestand.

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