Schwäbische Zeitung (Tettnang)
„Krisenzeiten sind Sparkassenzeiten“
Sparkassenpräsident Peter Schneider verabschiedet sich nach 18 Jahren Amtszeit mit klaren Botschaften
STUTTGART - Ein streitbarer Kopf verlässt die Bühne: Nach 18 Jahren an der Spitze der größten Finanzgruppe im Südwesten scheidet Peter Schneider an diesem Dienstag als Präsident des badenwürttembergischen Sparkassenverbands aus dem Amt. Die „Schwäbische Zeitung“hat sich mit dem gebürtigen Riedlinger über den Zustand von Wirtschaft und Gesellschaft unterhalten, darüber, auf was er stolz ist und was ihn nervt, über das prägendste Ereignis seiner Amtszeit – und was er am Tag eins nach seinem Ausscheiden unternimmt.
Herr Schneider, wie blicken Sie am Tag des Ausscheidens aus dem Amt als Sparkassenpräsident in Baden-Württemberg auf die vergangenen 18 Jahre?
Voller Dankbarkeit. Ich komme aus dem Oberland aus einfachen Verhältnissen und war der erste in der Familie, der eine akademische Ausbildung machen durfte. Danach habe ich alles erreicht, was man als Oberschwabe erreichen konnte.
Das klingt, als wäre eine solche Karriere für Oberländer nicht selbstverständlich.
Nein, das war nicht selbstverständlich. Ich bin ein geschichtlich interessierter und sehr verwurzelter Mensch. Und tatsächlich hat es Württemberg Oberländern lange Zeit nahezu unmöglich gemacht, höhere Ämter in Stuttgart zu besetzen. Das hat sich glücklicherweise geändert. Inzwischen ist Oberschwaben ein gleichberechtigter Landesteil in Baden-Württemberg, der sich wirtschaftlich exzellent entwickelt hat und der auch die Landespolitik maßgeblich mitgestaltet.
Was waren im Rückblick die herausragenden Ereignisse in Ihrer Zeit als Sparkassenpräsident?
Zweifellos war die Finanzkrise das mit weitem Abstand prägendste Ereignis. Ich hatte nach meinem Amtsantritt im Mai 2006 nicht viel Zeit, mich in die Sparkassen-Finanzgruppe einzuarbeiten. Bereits 2007 war das erste Grummeln auf den Märkten zu vernehmen, das in den Jahren 2008 und 2009 dann zu einem nie dagewesenen Sturm ausartete. Unsere erste Einschätzung war: Die Gruppe ist problemfrei – ein Urteil, das sich aber recht schnell als falsch herausgestellt hat. Mit der LBBW hatten auch wir einen Treffer. Das hat die ganze Gruppe erschüttert. Wir haben damals mehrere Szenarien durchgespielt – auch, die LBBW fallen zu lassen –, uns am Ende aber mit dem Land und der Stadt Stuttgart für eine milliardenschwere Stützung und Restrukturierung entschieden. Das war ein höchst umstrittener Weg. Es gab viele Kritiker, vor allem auch in der eigenen Gruppe, die sagten, das ist Wahnsinn.
Haben Sie die Amtsübernahme damals bereut?
Nein. Wenn man so im Feuer steht wie ich damals, wenn es um existenzielle Fragen geht für Mitarbeiter und Kunden, dann gibt es kein Zurück. Dann musst du marschieren und funktionieren. Und dann nimmst du diese Aufgabe auch mit voller Kraft an. Das war und ist immer meine Lebensauffassung gewesen.
Was sagen Ihre Kritiker von damals heute?
Die Diskussionen sind nicht ganz verstummt. Es gibt immer noch Leute, die sagen, die SparkassenGruppe hat zu viele Beteiligungen, ist zu komplex. Im Abstand von fast 15 Jahren muss man aber sagen: Die Entscheidung von damals war richtig. Wir haben die Landesbank noch und sie spielt eine zentrale Rolle in der Finanzierung der Wirtschaft des Landes – gerade wenn es darum geht, Unternehmen ins Ausland zu begleiten. Heute ist die LBBW nicht nur die stärkste Landesbank, sie ist auch eine der größten Banken in Deutschland. Wir sind damals im Vorwärtsgang aus der Krise, wie übrigens in den darauffolgenden Krisen auch. Wir haben zusammen mit den Genossenschaftsbanken die Wirtschaft mit Krediten versorgt, als sich andere Banken vom Acker gemacht haben. Dafür habe ich immer geworben. Krisenzeiten sind Sparkassenzeiten. Da können wir unsere Stärken ausspielen. SchönwetterBanking kann jeder.
Auf was sind Sie besonders stolz?
Darauf, dass die Sparkassen-Finanzgruppe zusammengeblieben ist und auf den kollegialen, anständigen Umgang miteinander. Das war immer mein Credo: Wir müssen den Allfinanzansatz mit eigenen Unternehmen darstellen. Da ist die Wertschöpfung am größten. Das ist unternehmerisch herausfordernd, ja. Aber wer sind wir: Unternehmer oder Risikovermeider? Wir fetzen uns darüber auch schon einmal hinterm Vorhang. Aber wenn der Vorhang aufgeht, dann stehen wir. Der Kunde mag keinen zerstrittenen Haufen, der zögert und zaudert. Und darin liegt auch der unternehmerische Erfolg der
Sparkassen-Finanzgruppe begründet.
Und was nervt Sie so richtig?
Dass wir in Deutschland nicht mehr erkennen, was die Wirtschaft für den Erhalt von Wohlstand bedeutet. Maßgebliche Entscheider in der Politik glauben heute, man könne das Land mit immer mehr Segnungen und immer mehr Schulden in die Zukunft führen. Doch damit hinterlassen wir der kommenden Generation ein bitteres Erbe. Viele reden von Nachhaltigkeit. Das ist wichtig. Doch finanziell sind wir davon meilenweit entfernt.
Wie beurteilen Sie die Lage der Wirtschaft, vor allem hier im Südwesten?
Deutschland ist in einer schwierigen Situation. Wir rangieren bei den Wachstumsraten der Industrieländer am Ende, verlieren bei der Produktivität und in der Bildung. In Europa machen es fast alle Länder besser als wir. Ich sehe mit tiefer Sorge, dass der Saldo zwischen Auslands- und Inlandsinvestitionen immer negativer wird. Früher hätte die Politik in einer solchen Situation den Schulterschluss mit der Wirtschaft gesucht. Heute schimpft man übereinander. Da fehlt mir das Miteinander. In weiten Teilen der Politik – so kommt es mir vor – fehlt zudem das Verständnis für grundlegende wirtschaftliche Zusammenhänge.
Was braucht es für eine hoffnungsvollere Zukunft?
Wir müssen produktiver und kostengünstiger werden. Und wir brauchen politische Führung. Man muss den Menschen sagen, dass wir mehr arbeiten müssen anstatt weniger. Sonst überlebt das eine Volkswirtschaft in einer globalen Welt, wie wir sie heute haben, nicht. Noch haben wir das Potenzial für eine Wende. Wir waren vor zehn Jahren unbestritten Weltspitze im Automobilbau. Warum sollen wir das nicht wieder schaffen. Ich glaube an den Erfindergeist hier im Land und an die Kraft der Wirtschaft, vor allem die des Mittelstands. Ganz eindeutig.
Gibt es Dinge, die Sie in Ihrer Amtszeit gern abgehakt hätten?
Die Kapitalstärkung zur Rettung der LBBW in Höhe von drei Milliarden Euro hätte ich gern zurückbezahlt gehabt, wenn ich gehe. Das habe ich nur zu einem Drittel geschafft – auch, weil immer neue Anforderungen uns in den vergangenen Jahren viel Geld gekostet haben.
Sie haben in Ihrer Zeit als Sparkassenpräsident immer wieder die Geldpolitik der EZB und die überbordende Finanzaufsicht gegeißelt. Finden Sie zum Abschied überwiegend kritische oder doch anerkennende Worte zur Arbeit der Währungshüter?
Es gab Phasen, insbesondere die Niedrig-, Null- und Negativzinsphasen, die habe ich stark kritisiert. In der Inflationsbekämpfung hat die EZB aber Entschlossenheit
gezeigt. Mit Erfolg, das sage ich anerkennend. Als Finanzaufsichtsbehörde, was die EZB auch ist, ist sie mir inzwischen aber zu übermächtig und in ihrer Herangehensweise leider vom anglo-amerikanischen, kapitalmarktorientieren Finanzsystem geprägt. Da haben wir unsere liebe Not, denn das entspricht überhaupt nicht unserer deutschen Tradition, wo der Mittelstand im Fokus steht, der sich ganz überwiegend bei Banken und Sparkassen finanziert. Dass nach der Finanzkrise die Daumenschrauben der Finanzmarktregulierung angezogen wurden, war richtig. Doch man hätte es nicht so weit treiben dürfen.
Wie schätzen Sie die Stabilität des Finanzsystems heute im Vergleich zu damals ein?
Ganz klar stabiler. Das Geschäft der Banken ist mit viel mehr Eigenkapital unterlegt und es gibt viel bessere Methoden der Risikofrüherkennung. Aber noch mal: Man hat in der Intensität übertrieben. Das Pendel sollte und muss jetzt wieder etwas zurückschwingen.
Als Sie Ihr Amt angetreten haben, gab es 55 Sparkassen in Baden-Württemberg. Heute sind es noch 50. Wie beurteilen Sie die Lage der Institute? Werden Sie Ihrem Auftrag als Einrichtungen der öffentlichen Daseinsvorsorge noch gerecht?
Die Sparkassen sind in einer guten Verfassung, gerade auch im Verbreitungsgebiet der „Schwäbischen Zeitung“. Die Institute sind kapitalstark, erzielen gute Ergebnisse. Das in der Vergangenheit emotional diskutierte Thema der Präsenz in der Fläche, ist heute ein Stück weit abgeebbt. Zwei Drittel der Kundengeschäfte laufen inzwischen digital. Aber die Kunden wollen die Möglichkeit, in die Filiale zu gehen. Vor allem wenn es um komplexere Themen wie eine Hausfinanzierung oder die Altersvorsorge geht. Deshalb glaube ich fest daran, dass die persönliche Beratung durch Mitarbeiter vor Ort Kernaufgabe bleibt. Das ist aber nicht zum Nulltarif zu bekommen. Deshalb ist der ausschließlich preissensible Kunde auch nicht unser Kunde.
Sparkassen verwalten vor allem das Geld anderer. Wie legt der Privatmann Peter Schneider sein Geld an?
(lacht) Ich bin kein renditehungriger Anleger. Ich habe vor Jahren ein altes Wirtshaus in meiner Geburtsstadt Riedlingen erworben und das saniert. Das macht mir viel Freude und da sitze ich, wenn es möglich ist, auch drin. Ich habe eine Wohnimmobilie – was ich jedem empfehle –, denn das ist für mich ein Stück Lebensqualität. Und ich besitze ein Haus in Italien mit Wein und Olivenhain. Sie sehen: Ich habe nicht die Rendite, sondern die Lebensfreude optimiert.
Der Terminkalender ist ab Mittwoch voraussichtlich um einiges leerer. Was macht der Pensionär Peter Schneider mit der neuen Freiheit?
Am 1. Mai morgens weiß ich schon ganz genau was ich mache. Ich werde noch bei Dunkelheit aufstehen und auf die Jagd gehen. Das kann ich jetzt wieder öfters tun. Dann werde ich etliche Ehrenämter intensiver ausfüllen, die mir Spaß machen – etwa bei der Gesellschaft Oberschwaben. Dinge anschauen, für die ich bislang oft nicht die Zeit hatte. Und ich werde meine ländlich-landwirtschaftlichen Wurzeln pflegen, Holz schlagen in unserem Wald und zusammen mit meiner Frau den Garten bewirtschaften. Darauf freue ich mich.