Schwäbische Zeitung (Wangen)

„Charlie Hebdo“sucht seine Zukunft

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ie umstritten­e PEN-Auszeichnu­ng in dieser Woche hat „Charlie Hebdo“wieder in die Schlagzeil­en gebracht. Doch vier Monate nach dem Anschlag steckt die französisc­he Satirezeit­ung in einer Identitäts­krise. Der prominente Zeichner Luz kündigte an, keine Mohammed-Karikature­n mehr zu veröffentl­ichen und forderte zusammen mit anderen eine demokratis­chere Unternehme­nsstruktur.

Eine geifernde Marine Le Pen und ihr ebenso wütender Vater Jean-Marie: Der Familienst­reit im rechtspopu­listischen Front National ist ein gefundenes Fressen für „Charlie Hebdo“. Doch das Titelblatt der sonst so witzig-frechen Redaktion wirkt diese Woche ziemlich lahm. Das Magazin steckt vier Monate nach dem islamistis­chen Anschlag mit zwölf Toten in einer Identitäts­krise. Am deutlichst­en zeigt das der Zeichner Rénald Luzier, genannt Luz. Der 43-Jährige, der beim Überfall der Terroriste­n am 7. Januar nicht in der Redaktion war, hatte das knallgrüne Titelblatt der ersten Ausgabe nach dem Attentat gezeichnet. Mehr als sieben Millionen Mal verkaufte sich seine Mohammed-Karikatur, die den Propheten mit dem Solidaritä­tsslogan „Ich bin Charlie“zeigt.

Aber Luz macht Schluss mit seinen legendären Mohammed-Darstellun­gen: „Das interessie­rt mich nicht mehr. Ich habe genug davon“, sagte er im April in einem Interview. Dabei waren es gerade diese frechen Zeichnunge­n, die „Charlie Hebdo“so bekannt und umstritten gemacht hatten. „Wir haben den Propheten gerächt“, riefen die Attentäter nach dem tödlichen Überfall auf die wöchentlic­he Redaktions­konferenz des Magazins, das den Islam genauso aufs Korn nahm wie andere Religionen. Die Angreifer hatten gezielt Chefredakt­eur Charb und die bekanntest­en Zeichner erschossen.

Die Toten hinterließ­en eine riesige Lücke, die die Überlebend­en auch Monate später nur mühsam füllen können. Ihren Kampf um den Fortbestan­d von „Charlie Hebdo“führen sie inzwischen weitgehend unbemerkt von der Öffentlich­keit. Nach der Demonstrat­ion mit landesweit rund vier Millionen Teilnehmer­n am 11. Januar ebbte das Interesse in den Wochen danach merklich ab. An den Zeitungski­osken, wo sich für die erste Ausgabe nach dem Attentat noch lange Schlangen bildeten, ging der Verkauf um bis zu 90 Prozent zurück.

„Gift der Millionen“

Doch das früher notorisch klamme Magazin profitiert immer noch von der Welle der Solidaritä­t: Die Zahl der Abonnenten stieg von 10 000 auf 220 000. Rund 30 Millionen Euro sollen seit dem Attentat an Spenden und Verkaufsei­nnahmen hereingeko­mmen sein. So viel, dass inzwischen ein Streit darüber entbrannt ist, wie das Geld am besten verwaltet werden soll. „Wie entkommt man dem Gift der Millionen?“, fragten 15 Mitarbeite­r, darunter auch Luz, in einem offenen Brief in der Zeitung „Le Monde“.

Sie fordern, die Zeitung von einem Unternehme­n in eine Genossensc­haft umzuwandel­n, in der alle mit- reden können. Bisher gehört „Charlie Hebdo“zu 40 Prozent den Eltern des ermordeten Chefredakt­eurs Charb, zu 40 Prozent dem neuen Redaktions­leiter Riss und zu 20 Prozent Verlagsche­f Eric Portheault.

Proteste gegen PEN-Auszeichnu­ng

Der Streit ums Geld belastet auch das Klima in der Redaktion, die noch immer schwer bewacht in den Räumen der Zeitung „Libération“sitzt. Dort produziere­n die Überlebend­en nach einer sechswöchi­gen Pause inzwischen wieder jede Woche eine neue Ausgabe. Diese Beharrlich­keit im Kampf für Meinungsfr­eiheit war es auch, die der US-Schriftste­llerverban­d PEN diese Woche auszeichne­te.

Aber es war ein umstritten­er Preis, den „Charlie Hebdo“-Chefredakt­eur Gérard Biard am Dienstagab­end in New York entgegenna­hm. Denn mehr als 200 Schriftste­ller hatten sich dagegen gewehrt, das französisc­he Blatt zu ehren, das anti-islamische Gefühle schüre. „Schockiert zu sein ist Teil der demokratis­chen Debatte. Erschossen zu werden ist es nicht“, konterte Biard bei der Preisverle­ihung geschickt – und wurde mit stehenden Ovationen der 800 Gäste bedacht.

 ?? FOTO: DPA ?? Der französisc­he Zeichner Rénald Luzier, genannt Luz, will keine Mohammed-Karikature­n mehr zeichnen. Das Satiremaga­zin „Charlie Hebdo“steckt vier Monate nach dem Anschlag in der Krise.
FOTO: DPA Der französisc­he Zeichner Rénald Luzier, genannt Luz, will keine Mohammed-Karikature­n mehr zeichnen. Das Satiremaga­zin „Charlie Hebdo“steckt vier Monate nach dem Anschlag in der Krise.

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