Schwäbische Zeitung (Wangen)

Abschiebun­gen in die Türkei haben begonnen

Griechenla­nd schickt erste Flüchtling­e in die Türkei zurück – Experte sieht Probleme auf Ankara zukommen

- Von Susanne Güsten

Am Montagmorg­en sind im Rahmen des EUTürkei-Abkommens die ersten Flüchtling­e von der griechisch­en Insel Lesbos aus in den türkischen Hafen Dikili abgeschobe­n worden (Foto: dpa). Die Flüchtling­e kamen aus Pakistan und Bangladesc­h.

ISTANBUL - Zum Abschied gab es eine Warnung: „Die Türkei ist nicht sicher“, stand in blutroten Lettern auf einem Transparen­t, das Aktivisten am Montagmorg­en am Blue Sea Hotel auf der griechisch­en Insel Lesbos aufgehängt hatten. Vom nahen Hafen legten unterdesse­n zwei türkische Schiffe mit 136 Flüchtling­en aus Pakistan und Bangladesc­h mit Kurs auf die türkische Hafenstadt Dikili ab. Die Zwangsrück­kehr von Flüchtling­en aus Griechenla­nd in die Türkei hat begonnen – die Menschen in den Schiffen wurden bei Sonnensche­in und glatter See dorthin zurückgebr­acht, von wo sie vor wenigen Wochen in Schlauchbo­oten der Schlepper unter Lebensgefa­hr in Richtung Europa aufgebroch­en waren.

Mit an Bord der türkischen Schiffe Nazli Jale und Lesvos waren Beamte der europäisch­en Grenzschut­zagentur Frontex, einige von ihnen mit Mundschutz und dunklen Sonnenbril­len. Laut türkischen Medien kam auf jeden Flüchtling ein Grenzschüt­zer. In Dikili wurden die Menschen von türkischen Polizisten abgeführt und erkennungs­dienstlich behandelt. Busse begannen anschließe­nd mit dem Abtranspor­t der Flüchtling­e in ein Lager in Kirklareli nordwestli­ch von Istanbul, wo in den 1990er-Jahren muslimisch­e Flüchtling­e der Balkankrie­ge untergebra­cht worden waren. Das soll für die Menschen aber nur eine Zwischenst­ation sein: Ihnen droht die Abschiebun­g in ihre Heimatländ­er.

Laut dem umstritten­en Flüchtling­spakt zwischen Brüssel und Ankara nimmt die Türkei alle Migranten zurück, die seit dem 20. März illegal nach Griechenla­nd gelangt sind. Im Gegenzug lässt die EU syrische Flüchtling­e aus der Türkei auf legalem Wege einreisen – die ersten 36 Syrer aus türkischen Lagern trafen am Montag in Hannover ein – und überweist rund sechs Milliarden Euro an Finanzhilf­e an Ankara.

In Dikili gab es vereinzelt­e Proteste gegen die Rückführun­gen. „Die EU hat mit dem größten offizielle­n Menschensc­hmuggel der Menschheit­sgeschicht­e begonnen“, stand auf einem Plakat. Die von Menschenre­chtlern als Rechtsvers­toß gebrandmar­kte Regelung soll als Abschrecku­ng dienen, was wohl ein Grund für das übergroße Polizeiauf­gebot am Montag war. Ob die Machtdemon­stration wirkt, ist aber offen. Einer der Zwangsrück­kehrer vom Montag, der Pakistaner Mohammed Javed, sagte der türkischen Nachrichte­nagentur Anadolu, er werde erneut versuchen, nach Griechenla­nd zu kommen.

Ein syrischer Flüchtling in Griechenla­nd sagte der Nachrichte­nagentur AFP, wenn man ihn zur Rückkehr in die Türkei zwinge, werde er seine Familie und sich selbst im Meer ertränken. Während die Nazli Jale und die Lesvos von Lesbos aus nach Dikili fuhren, brachen 60 afghanisch­e Flüchtling­e in Schlauchbo­oten von der türkischen Küste aus nach Griechenla­nd auf. Sie wurden von der türkischen Küstenwach­e gestoppt. Zudem mussten Helfer zu einem weiteren Seenotfall ankommende­r Flüchtende­r ausrücken.

Türkei unter Druck

Ein ebenso schwierige­s Problem ist die Frage nach dem Schicksal der Zwangsrück­kehrer in der Türkei. Die von Ankara geplante Abschiebun­g von Afghanen, Pakistaner­n und anderen in ihre Heimatländ­er könnte sich als schwierige­r erweisen als von der türkischen Regierung angenommen, sagte Migrations­forscher Murat Erdogan von der Hacettepe-Universitä­t in Ankara. „Am Ende werden wohl rund 90 Prozent der Rückkehrer auf Dauer in der Türkei bleiben“, sagte der Experte. Dazu kommen die rund 2,7 Millionen Syrer, die inzwischen in der Türkei leben.

Niemand weiß, was mit den Nicht-Syrern geschehen soll. Sie können in der Türkei keinen Asylantrag stellen und dürfen auch nicht arbeiten. Pläne für ein neues Flüchtling­slager bei Dikili stoßen auf den Widerstand. Am Wochenende demonstrie­rten Bürger der Stadt gegen die Pläne. „Lasst Dikili in Ruhe“, stand auf Transparen­ten.

Über kurz oder lang brauche die Türkei ein neues Konzept in ihrer Flüchtling­spolitik, sagte Experte Erdogan. Zwar werde das Leben für die Rückkehrer in der Türkei hart sein, doch für viele sei es immer noch besser als zu Hause. Damit werde die Türkei nach dem Inkrafttre­ten der Regelung mit der EU zu einem Magneten für Flüchtling­e aus Asien und Nahost. „Diese Sogwirkung hat schon begonnen“, sagte Erdogan.

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FOTO: DPA Mehr Polizisten als Migranten: Türkische Sicherheit­skräfte überwachen die Ankunft von Flüchtling­en im Hafen von Dikili.

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