Abschiebungen in die Türkei haben begonnen
Griechenland schickt erste Flüchtlinge in die Türkei zurück – Experte sieht Probleme auf Ankara zukommen
Am Montagmorgen sind im Rahmen des EUTürkei-Abkommens die ersten Flüchtlinge von der griechischen Insel Lesbos aus in den türkischen Hafen Dikili abgeschoben worden (Foto: dpa). Die Flüchtlinge kamen aus Pakistan und Bangladesch.
ISTANBUL - Zum Abschied gab es eine Warnung: „Die Türkei ist nicht sicher“, stand in blutroten Lettern auf einem Transparent, das Aktivisten am Montagmorgen am Blue Sea Hotel auf der griechischen Insel Lesbos aufgehängt hatten. Vom nahen Hafen legten unterdessen zwei türkische Schiffe mit 136 Flüchtlingen aus Pakistan und Bangladesch mit Kurs auf die türkische Hafenstadt Dikili ab. Die Zwangsrückkehr von Flüchtlingen aus Griechenland in die Türkei hat begonnen – die Menschen in den Schiffen wurden bei Sonnenschein und glatter See dorthin zurückgebracht, von wo sie vor wenigen Wochen in Schlauchbooten der Schlepper unter Lebensgefahr in Richtung Europa aufgebrochen waren.
Mit an Bord der türkischen Schiffe Nazli Jale und Lesvos waren Beamte der europäischen Grenzschutzagentur Frontex, einige von ihnen mit Mundschutz und dunklen Sonnenbrillen. Laut türkischen Medien kam auf jeden Flüchtling ein Grenzschützer. In Dikili wurden die Menschen von türkischen Polizisten abgeführt und erkennungsdienstlich behandelt. Busse begannen anschließend mit dem Abtransport der Flüchtlinge in ein Lager in Kirklareli nordwestlich von Istanbul, wo in den 1990er-Jahren muslimische Flüchtlinge der Balkankriege untergebracht worden waren. Das soll für die Menschen aber nur eine Zwischenstation sein: Ihnen droht die Abschiebung in ihre Heimatländer.
Laut dem umstrittenen Flüchtlingspakt zwischen Brüssel und Ankara nimmt die Türkei alle Migranten zurück, die seit dem 20. März illegal nach Griechenland gelangt sind. Im Gegenzug lässt die EU syrische Flüchtlinge aus der Türkei auf legalem Wege einreisen – die ersten 36 Syrer aus türkischen Lagern trafen am Montag in Hannover ein – und überweist rund sechs Milliarden Euro an Finanzhilfe an Ankara.
In Dikili gab es vereinzelte Proteste gegen die Rückführungen. „Die EU hat mit dem größten offiziellen Menschenschmuggel der Menschheitsgeschichte begonnen“, stand auf einem Plakat. Die von Menschenrechtlern als Rechtsverstoß gebrandmarkte Regelung soll als Abschreckung dienen, was wohl ein Grund für das übergroße Polizeiaufgebot am Montag war. Ob die Machtdemonstration wirkt, ist aber offen. Einer der Zwangsrückkehrer vom Montag, der Pakistaner Mohammed Javed, sagte der türkischen Nachrichtenagentur Anadolu, er werde erneut versuchen, nach Griechenland zu kommen.
Ein syrischer Flüchtling in Griechenland sagte der Nachrichtenagentur AFP, wenn man ihn zur Rückkehr in die Türkei zwinge, werde er seine Familie und sich selbst im Meer ertränken. Während die Nazli Jale und die Lesvos von Lesbos aus nach Dikili fuhren, brachen 60 afghanische Flüchtlinge in Schlauchbooten von der türkischen Küste aus nach Griechenland auf. Sie wurden von der türkischen Küstenwache gestoppt. Zudem mussten Helfer zu einem weiteren Seenotfall ankommender Flüchtender ausrücken.
Türkei unter Druck
Ein ebenso schwieriges Problem ist die Frage nach dem Schicksal der Zwangsrückkehrer in der Türkei. Die von Ankara geplante Abschiebung von Afghanen, Pakistanern und anderen in ihre Heimatländer könnte sich als schwieriger erweisen als von der türkischen Regierung angenommen, sagte Migrationsforscher Murat Erdogan von der Hacettepe-Universität in Ankara. „Am Ende werden wohl rund 90 Prozent der Rückkehrer auf Dauer in der Türkei bleiben“, sagte der Experte. Dazu kommen die rund 2,7 Millionen Syrer, die inzwischen in der Türkei leben.
Niemand weiß, was mit den Nicht-Syrern geschehen soll. Sie können in der Türkei keinen Asylantrag stellen und dürfen auch nicht arbeiten. Pläne für ein neues Flüchtlingslager bei Dikili stoßen auf den Widerstand. Am Wochenende demonstrierten Bürger der Stadt gegen die Pläne. „Lasst Dikili in Ruhe“, stand auf Transparenten.
Über kurz oder lang brauche die Türkei ein neues Konzept in ihrer Flüchtlingspolitik, sagte Experte Erdogan. Zwar werde das Leben für die Rückkehrer in der Türkei hart sein, doch für viele sei es immer noch besser als zu Hause. Damit werde die Türkei nach dem Inkrafttreten der Regelung mit der EU zu einem Magneten für Flüchtlinge aus Asien und Nahost. „Diese Sogwirkung hat schon begonnen“, sagte Erdogan.