Malen nach Zahlen
Der Mensch läuft heute ja Gefahr, sich in Alltag und digitaler Welt zu verlieren. In der Freizeit lautet daher das Motto: zurück zu den Ursprüngen. Hoch im Kurs steht dabei die Selbstfindung als Jäger und Sammler. Was auch dem Angeln neue Beliebtheit verschafft, vereint es doch die Idylle in der Natur mit dem Jagdinstinkt. Am besten entwickelt sich der Instinkt bei Verwendung elektronischer Bissanzeiger und Echolot, andere suchen die Spiritualität im Drohnen-Angeln oder wünschen sich eine Rückkehr zum Sprengstofffischen.
Wer nicht jagt, findet beim Pilgern zu sich. Ganz wie früher zu Fuß. Oder mit dem Fahrrad. Oder dem Auto. Oder per Hubschrauber. Oder per Charterflug. Wahre Abenteurer wählen die Füße, weil das WanderNavi (analog zum Auto-Navi) echten Nervenkitzel verspricht mit dem alle halbe Stunde ausgesprochenen Satz: „Die Route wird neu berechnet.“
Wem Wandern zu aufregend ist, der sucht Ausgleich in der Kreativität. Eine Gegenbewegung zur Digitalisierung ist das Erwachsenen-Malen mit Buntstiften (Adult Colouring). Weshalb die großen Stiftehersteller gegen jede Prognose Rekordumsätze melden. Genauso wie die Hersteller von Ausmalbüchern. Denn statt sich vor ein weißes Blatt zu setzen, malen die neuen Wilden – nach Zahlen. Die Explosion an Kreativität ist vorprogrammiert, wenn ein 48-jähriger Angestellter nach Feierabend einen Zahlen-Ozean mit Piratenschiff ausmalt. Und so zu seinen kindlichen Ursprüngen zurückkehrt. Wobei die Buntstiftkünstler ihre Selbstfindung vervollständigen: indem sie ihre Werke bei Instagram posten. (dg)