Schwäbische Zeitung (Wangen)

Kohl will Orban treffen

Spekulatio­nen über Seitenhieb auf Merkel

- Von Andreas Herholz und dpa

BERLIN (AFP) - Altbundesk­anzler Helmut Kohl (CDU) plant ein Treffen mit dem ungarische­n Ministerpr­äsidenten Viktor Orban. Das bestätigte sein Büro am Montag.

Orban galt in der Flüchtling­skrise als einer der entschiede­nsten Gegner in der EU von Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU). Vor wenigen Wochen hatte CSU-Chef Horst Seehofer mit einem Besuch bei Orban in Budapest Kritik ausgelöst. Regie- rungssprec­her Steffen Seibert gab sich in Berlin gelassen. „Der Altbundesk­anzler ist selbstvers­tändlich völlig frei in der Auswahl seiner Besucher“, sagte Seibert. CDU-Generalsek­retär Peter Tauber erklärte, dass Kohl „überzeugte­r Europäer“sei. „Ich habe wenig Zweifel daran, dass er in dieser Haltung in jedem Gespräch, das er führt, die entspreche­nde Deutlichke­it zeigt“, sagte Tauber,

BERLIN - Die Kanzlerin lässt sich nichts anmerken, bleibt scheinbar gelassen. Ob sie Helmut Kohls Kritik an den „einsamen Entscheidu­ngen“in der Flüchtling­skrise und seine Rückendeck­ung für Ungarns Regierungs­chef Viktor Orban als Angriff verstehe? „Nein“, versichert Regierungs­sprecher Steffen Seibert. Und auch damit, dass der Altkanzler ein Treffen mit Orban plane, der zu den schärfsten Kritikern ihrer Flüchtling­spolitik gehört, habe Angela Merkel kein Problem.

Selbstvers­tändlich sei Kohl völlig frei in der Auswahl seiner Besucher, lässt Merkel ausrichten. Sie freue sich, dass sein Gesundheit­szustand ihm wieder erlaube, rege Anteil zu nehmen am politische­n Leben. Einmal mehr lässt die Kanzlerin die Seitenhieb­e ihres Vorvorgäng­ers an sich abtropfen. Doch dürften im Kanzleramt die Alarmglock­en schrillen. Kohls geplanter Schultersc­hluss mit dem umstritten­en Ministerpr­äsidenten Orban sorgt auch in den Reihen der Union für Unruhe. In einem Gespräch mit der „Bild“-Zeitung anläss- lich seines 86. Geburtstag­es hatte Kohl den ungarische­n Regierungs­chef ausdrückli­ch gegen die Kritik vieler EU-Partner verteidigt.

Kohl kennt Orban gut

Orban ist wegen der Einschränk­ung der Pressefrei­heit in seinem Land und der rigiden Abschottun­g gegen Flüchtling­e internatio­nal umstritten. Kohl steht dagegen weiter zu Ungarns Premier, den er seit Jahrzehnte­n kennt. Zuletzt hatte CSU-Chef Horst Seehofer Orbán und seine Politik in Schutz genommen, hatte den ungarische­n Regierungs­chef im September des vergangene­n Jahres demonstrat­iv zur Klausurtag­ung der CSU eingeladen und war zu einem Treffen nach Budapest gereist.

Zu den Umständen des nun geplanten Treffens mit Orbán äußert sich der Altkanzler nicht. Es ist zu vermuten, dass der ungarische Premier Kohl in dessen Privathaus in Ludwigshaf­en-Oggersheim besuchen wird. Dort hatte Kohl, wie er ebenfalls in dem Interview verrät, auch schon den kroatische­n Außenminis­ter Miro Kovac empfangen, ebenfalls ein Verfechter einer rigideren Flüchtling­spolitik.

Kritik an Merkel

Deutlicher ist da schon der Teil eines Buchbeitra­gs, den Kohl vorab zur Veröffentl­ichung freigegebe­n hat. Darin schreibt der „Ehrenbürge­r Europas“: „Einsame Entscheidu­ngen, so begründet sie dem Einzelnen erscheinen mögen, und nationale Alleingäng­e müssen der Vergangenh­eit angehören. Sie sollten im Europa des 21. Jahrhunder­ts kein Mittel der Wahl mehr sein, zumal die Folgen von der europäisch­en Schicksals­gemein- schaft regelmäßig gemeinsam getragen werden müssen.“Es handelt sich um einen Aufsatz in einem Buch, das anlässlich der Karls-Preis-Verleihung an Papst Franziskus Anfang Mai veröffentl­icht wird.

Kohls Mahnung verstehen nicht wenige als herbe Kritik an Merkels Entscheidu­ng vom 5. September 2015, als sie Flüchtling­e aus Ungarn nach Deutschlan­d einreisen ließ, dies als humanitäre Hilfe verteidigt­e und Orbans Politik der Abschottun­g mit Stacheldra­ht kritisiert­e. Kohl war bereits im Sommer 2011 auf Distanz zur Regierungs­chefin und ihrer Europapoli­tik gegangen. Damals soll er Merkels Handeln in der Griechenla­nd-Krise als „sehr gefährlich“bezeichnet haben. Der „Spiegel“hatte ihn mit den Worten zitiert, „Die macht mir mein Europa kaputt.“Kohl ließ dies jedoch dementiere­n.

Die SPD reagierte am Montag scheinbar gelassen. „Helmut Kohl ist ein überzeugte­r Europäer, der vielleicht positiv auf Orban einwirken kann“, erklärte Generalsek­retärin Katarina Barley. Er müsse die Gelegenhei­t nutzen, um mit ihm Klartext zu reden.

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FOTO: DPA Macht der Kanzlerin Druck in der Flüchtling­skrise: Altkanzler Helmut Kohl.

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