Kohl will Orban treffen
Spekulationen über Seitenhieb auf Merkel
BERLIN (AFP) - Altbundeskanzler Helmut Kohl (CDU) plant ein Treffen mit dem ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban. Das bestätigte sein Büro am Montag.
Orban galt in der Flüchtlingskrise als einer der entschiedensten Gegner in der EU von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Vor wenigen Wochen hatte CSU-Chef Horst Seehofer mit einem Besuch bei Orban in Budapest Kritik ausgelöst. Regie- rungssprecher Steffen Seibert gab sich in Berlin gelassen. „Der Altbundeskanzler ist selbstverständlich völlig frei in der Auswahl seiner Besucher“, sagte Seibert. CDU-Generalsekretär Peter Tauber erklärte, dass Kohl „überzeugter Europäer“sei. „Ich habe wenig Zweifel daran, dass er in dieser Haltung in jedem Gespräch, das er führt, die entsprechende Deutlichkeit zeigt“, sagte Tauber,
BERLIN - Die Kanzlerin lässt sich nichts anmerken, bleibt scheinbar gelassen. Ob sie Helmut Kohls Kritik an den „einsamen Entscheidungen“in der Flüchtlingskrise und seine Rückendeckung für Ungarns Regierungschef Viktor Orban als Angriff verstehe? „Nein“, versichert Regierungssprecher Steffen Seibert. Und auch damit, dass der Altkanzler ein Treffen mit Orban plane, der zu den schärfsten Kritikern ihrer Flüchtlingspolitik gehört, habe Angela Merkel kein Problem.
Selbstverständlich sei Kohl völlig frei in der Auswahl seiner Besucher, lässt Merkel ausrichten. Sie freue sich, dass sein Gesundheitszustand ihm wieder erlaube, rege Anteil zu nehmen am politischen Leben. Einmal mehr lässt die Kanzlerin die Seitenhiebe ihres Vorvorgängers an sich abtropfen. Doch dürften im Kanzleramt die Alarmglocken schrillen. Kohls geplanter Schulterschluss mit dem umstrittenen Ministerpräsidenten Orban sorgt auch in den Reihen der Union für Unruhe. In einem Gespräch mit der „Bild“-Zeitung anläss- lich seines 86. Geburtstages hatte Kohl den ungarischen Regierungschef ausdrücklich gegen die Kritik vieler EU-Partner verteidigt.
Kohl kennt Orban gut
Orban ist wegen der Einschränkung der Pressefreiheit in seinem Land und der rigiden Abschottung gegen Flüchtlinge international umstritten. Kohl steht dagegen weiter zu Ungarns Premier, den er seit Jahrzehnten kennt. Zuletzt hatte CSU-Chef Horst Seehofer Orbán und seine Politik in Schutz genommen, hatte den ungarischen Regierungschef im September des vergangenen Jahres demonstrativ zur Klausurtagung der CSU eingeladen und war zu einem Treffen nach Budapest gereist.
Zu den Umständen des nun geplanten Treffens mit Orbán äußert sich der Altkanzler nicht. Es ist zu vermuten, dass der ungarische Premier Kohl in dessen Privathaus in Ludwigshafen-Oggersheim besuchen wird. Dort hatte Kohl, wie er ebenfalls in dem Interview verrät, auch schon den kroatischen Außenminister Miro Kovac empfangen, ebenfalls ein Verfechter einer rigideren Flüchtlingspolitik.
Kritik an Merkel
Deutlicher ist da schon der Teil eines Buchbeitrags, den Kohl vorab zur Veröffentlichung freigegeben hat. Darin schreibt der „Ehrenbürger Europas“: „Einsame Entscheidungen, so begründet sie dem Einzelnen erscheinen mögen, und nationale Alleingänge müssen der Vergangenheit angehören. Sie sollten im Europa des 21. Jahrhunderts kein Mittel der Wahl mehr sein, zumal die Folgen von der europäischen Schicksalsgemein- schaft regelmäßig gemeinsam getragen werden müssen.“Es handelt sich um einen Aufsatz in einem Buch, das anlässlich der Karls-Preis-Verleihung an Papst Franziskus Anfang Mai veröffentlicht wird.
Kohls Mahnung verstehen nicht wenige als herbe Kritik an Merkels Entscheidung vom 5. September 2015, als sie Flüchtlinge aus Ungarn nach Deutschland einreisen ließ, dies als humanitäre Hilfe verteidigte und Orbans Politik der Abschottung mit Stacheldraht kritisierte. Kohl war bereits im Sommer 2011 auf Distanz zur Regierungschefin und ihrer Europapolitik gegangen. Damals soll er Merkels Handeln in der Griechenland-Krise als „sehr gefährlich“bezeichnet haben. Der „Spiegel“hatte ihn mit den Worten zitiert, „Die macht mir mein Europa kaputt.“Kohl ließ dies jedoch dementieren.
Die SPD reagierte am Montag scheinbar gelassen. „Helmut Kohl ist ein überzeugter Europäer, der vielleicht positiv auf Orban einwirken kann“, erklärte Generalsekretärin Katarina Barley. Er müsse die Gelegenheit nutzen, um mit ihm Klartext zu reden.