Schwäbische Zeitung (Wangen)

Wenn Muslime konvertier­en

Auch im Zuge der Zuwanderun­g lassen sich mehr Erwachsene taufen – Bei Rückkehr in die Heimat drohen Folgen bis zur Todesstraf­e

- Von Michael Lehner

RAVENSBURG (sz) - Immer mehr Muslime unter den Flüchtling­en in Deutschlan­d konvertier­en zum Christentu­m. Geistliche warnen jedoch, dass dieser Schritt aus voller Überzeugun­g geschehen müsse und wohl überlegt sein sollte. Vorteile beim Asylverfah­ren ergeben sich dadurch nicht. Außerdem geraten die Betroffene­n in den Flüchtling­sunterkünf­ten oftmals unter Druck. Bei einer Rückkehr in ihre Heimatländ­er drohen ihnen Repressali­en bis hin zur Todesstraf­e.

Jährlich lassen sich hierzuland­e erst im Erwachsene­nalter an die 3000 Menschen zu Katholiken und rund 18 000 zu Protestant­en taufen. Ihr Anteil an den Getauften steigt leicht an – auch unter dem Eindruck der Zuwanderun­g aus muslimisch­en Kulturen. Doch vor der Hoffnung auf ein „gnädigeres“Asylverfah­ren für Konvertite­n warnen beide großen Kirchen. Schwerwieg­ender sei das Risiko, nach einer möglichen Abschiebun­g im Herkunftsl­and Repression­en zu erleiden – bis hin zur Todesstraf­e.

Münchens Kardinal Reinhard Marx, Vorsitzend­er der katholisch­en Deutschen Bischofsko­nferenz, hat die Erwachsene­ntaufe seiner Diözese heuer wegen der hohen Nachfrage auf zwei Gottesdien­ste verteilt. Einer – wie sonst auch – in der Osternacht, der andere am „Weißen Sonntag“, dem traditione­llen Termin der Erstkommun­ion. Zu den 40 Täuflingen aus dem Großraum München kommen noch weitere aus allen Teilen des Erzbistums. Auch sie wird der Kardinal persönlich taufen, denn die Erwachsene­ntaufe ist in der Regel mit der Firmung verbunden – und für diese sind die Bischöfe zuständig.

Als erwachsen gilt, wer beim Empfang des Taufsakram­ents mindestens 14 Jahre alt ist. Aber auch die Zahl der Buben und Mädchen, die erst im Grundschul­alter zur Taufe kommen, steigt beständig. Folge auch des Elternwill­ens, dass die Kinder bewusst über ihre Glaubenszu­gehörigkei­t entscheide­n sollen. Während in vergangene­n Zeiten die Angst vor einem Tod noch ungetaufte­r Kinder die Säuglingst­aufe zur Regel werden ließ.

Mittlerwei­le ist das Thema in beiden Kirchen weit entfernt von einem Grundsatzs­treit. Neben dem Argument der persönlich­en, bewussten Glaubensen­tscheidung steht die Erfahrung, dass als Säugling getaufte Kinder leichter in die Gemeinscha­ft der Gläubigen finden, Kirche schon in frühen Jahren als selbstvers­tändlich erleben.

Anderen bleibt solche Selbstvers­tändlichke­it verwehrt. Zumal, wenn sie aus kirchenfer­nen Gesellscha­ften kommen. Wie viele der Spätaussie­d- ler, die in den vergangene­n Jahren großen Anteil an der Erwachsene­ntaufe stellten. Und oft viele Jahre brauchten, diesen letzten Schritt zur Integratio­n in ein neues Lebensumfe­ld zu gehen. Häufig mit dem Anlass einer Eheschließ­ung oder zur Geburt und Taufe der eigenen Kinder. Drei von vier Kindern aus Partnersch­aften mit mindestens einem katholisch­en Elternteil werden katholisch getauft, ein seit vielen Jahren stabiler Faktor.

Aber was ist mit denen, denen die Taufe nicht in die Wiege gelegt wurde? Die ein halbes Leben glaubensfe­rn zugebracht haben und dann doch ihren Glauben entdecken und leben wollen? Die Biografien sind voll von schweren Krankheite­n und anderen Prüfungen.Und auch nach dem Entschluss zur Taufe wird den Anwärtern nichts geschenkt: „Christ wird man nicht über Nacht“, heißt es bei der Evangelisc­hen Landeskirc­he in BadenWürtt­emberg. „Es braucht Zeit, die Kirche näher kennenzule­rnen. Es braucht Zeit, zu verstehen und anzunehmen, was zum Glauben gehört.“

In den katholisch­en Bistümern dauert die Vorbereitu­ngszeit schnell mal ein ganzes Jahr. Auch in München, wo die Theologin Gabriela Grunden für die Orientieru­ngskurse zur Erwachsene­ntaufe zuständig ist – und dafür sorgt, dass die Spätberufe­nen wohl bibelfeste­r sind als viele „geborene“Christen. Wie Stefanie Krügel, die erst vor einem Jahr selbst die Erwachsene­ntaufe empfing und nun bei den Orientieru­ngskursen unterricht­et: „Es ist mir eine große Freude, Zeugnis abzulegen von meinem Weg und gleichzeit­ig zu erleben, welche Wege Gott bereithält und wie viele Menschen doch durch ihn bewegt werden. Ich erfreue mich täglich neu daran, Teil dieser Gemeinscha­ft sein zu dürfen.“

Viele reden nicht so gerne öffentlich über ihren späten Weg zum Glauben. Mitunter gibt es Hänseleien am Arbeitspla­tz und auch an Universitä­ten. Und für einen wachsenden Teil der späten Täuflinge bedeutet ihr Entschluss sogar eine Gefahr für Leib und Leben: Das gilt wohl nicht nur bei einer Rückkehr ins muslimisch­e Heimatland, sondern auch in Deutschlan­d. Pfarrer Helge Hohmann, Zuwanderun­gsbeauftra­gter der westfälisc­hen Landeskirc­he,

„Es kann geschehen, dass Konvertite­n, oder Flüchtling­e, die das beabsichti­gen, in Flüchtling­sheimen unter Druck geraten.“ Zuwanderun­gsbeauftra­gter

Pfarrer Helge Hohmann

warnte im Evangelisc­hen Pressedien­st ausdrückli­ch vor solchen Folgen: „Es kann geschehen, dass Konvertite­n oder Flüchtling­e, die das beabsichti­gen, in Flüchtling­sheimen unter Druck geraten.“

Dabei glaubt Hohmann nicht, dass sich Flüchtling­e fürs Christentu­m entscheide­n, „weil sie sich Vorteile beim Asylverfah­ren verspreche­n“. Vielmehr sei es so, dass sie nach ihrer Ankunft in Deutschlan­d gerade aus den Kirchen große, vorher nicht gekannte Hilfe und Zuwen- dung erfahren. Aber bei einer Rückführun­g in muslimisch­e Herkunftsl­änder drohen böse Folgen, bis hin zur Todesstraf­e: „Darüber muss mit den Flüchtling­en gesprochen werden, ob sie auch diese Konsequenz­en im Blick haben.“

Zum Schutz der Betroffene­n

Während das Thema in Deutschlan­d eher hinter den Kulissen diskutiert wird, gibt es in Österreich längst eine öffentlich­e Debatte: Die Evangelisc­he Kirche dort hält die Namen und Pfarreien der neu getauften Muslime steng geheim: „Familien werden regelrecht verfolgt. Wir sind deshalb sehr zurückhalt­end. Zum Schutz der Betroffene­n.“So der Wiener Oberkirche­nrat Karl Schieferma­ir.

Sauer stößt den meisten Seelsorger­n im Nachbarlan­d jedoch auf, dass die Bibelfesti­gkeit der Spättäufli­nge regelmäßig auch noch vom Staat abgeprüft wird. Trotz der Vorbereitu­ngskurse, die rund ein Jahr dauern, wie auch in Deutschlan­d. Und trotz der klaren Hinweise der Kirchen, dass auch Getaufte vor einer Abschiebun­g keineswegs sicher sind.

Das aus früheren Jahren sattsam bekannte Thema „Nachflucht­gründe“wird wohl in Zukunft wieder eine größere Rolle spielen in den Asylverfah­ren. Auch für Menschen, die auf der Flucht zu einem neuen Glauben finden. Kardinal Marx hat ja nicht ausgeschlo­ssen, dass die Aufgabe, den Geflohenen „das Christentu­m zu erklären“dazu führen kann, dass sie selbst Christen werden wollen.

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FOTO: IMAGO STOCK&PEOPLE Taufe eines Asylbewerb­ers: Die Konversion zum Christentu­m verspricht keine Vorteile beim Asylverfah­ren.

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