Wenn Muslime konvertieren
Auch im Zuge der Zuwanderung lassen sich mehr Erwachsene taufen – Bei Rückkehr in die Heimat drohen Folgen bis zur Todesstrafe
RAVENSBURG (sz) - Immer mehr Muslime unter den Flüchtlingen in Deutschland konvertieren zum Christentum. Geistliche warnen jedoch, dass dieser Schritt aus voller Überzeugung geschehen müsse und wohl überlegt sein sollte. Vorteile beim Asylverfahren ergeben sich dadurch nicht. Außerdem geraten die Betroffenen in den Flüchtlingsunterkünften oftmals unter Druck. Bei einer Rückkehr in ihre Heimatländer drohen ihnen Repressalien bis hin zur Todesstrafe.
Jährlich lassen sich hierzulande erst im Erwachsenenalter an die 3000 Menschen zu Katholiken und rund 18 000 zu Protestanten taufen. Ihr Anteil an den Getauften steigt leicht an – auch unter dem Eindruck der Zuwanderung aus muslimischen Kulturen. Doch vor der Hoffnung auf ein „gnädigeres“Asylverfahren für Konvertiten warnen beide großen Kirchen. Schwerwiegender sei das Risiko, nach einer möglichen Abschiebung im Herkunftsland Repressionen zu erleiden – bis hin zur Todesstrafe.
Münchens Kardinal Reinhard Marx, Vorsitzender der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, hat die Erwachsenentaufe seiner Diözese heuer wegen der hohen Nachfrage auf zwei Gottesdienste verteilt. Einer – wie sonst auch – in der Osternacht, der andere am „Weißen Sonntag“, dem traditionellen Termin der Erstkommunion. Zu den 40 Täuflingen aus dem Großraum München kommen noch weitere aus allen Teilen des Erzbistums. Auch sie wird der Kardinal persönlich taufen, denn die Erwachsenentaufe ist in der Regel mit der Firmung verbunden – und für diese sind die Bischöfe zuständig.
Als erwachsen gilt, wer beim Empfang des Taufsakraments mindestens 14 Jahre alt ist. Aber auch die Zahl der Buben und Mädchen, die erst im Grundschulalter zur Taufe kommen, steigt beständig. Folge auch des Elternwillens, dass die Kinder bewusst über ihre Glaubenszugehörigkeit entscheiden sollen. Während in vergangenen Zeiten die Angst vor einem Tod noch ungetaufter Kinder die Säuglingstaufe zur Regel werden ließ.
Mittlerweile ist das Thema in beiden Kirchen weit entfernt von einem Grundsatzstreit. Neben dem Argument der persönlichen, bewussten Glaubensentscheidung steht die Erfahrung, dass als Säugling getaufte Kinder leichter in die Gemeinschaft der Gläubigen finden, Kirche schon in frühen Jahren als selbstverständlich erleben.
Anderen bleibt solche Selbstverständlichkeit verwehrt. Zumal, wenn sie aus kirchenfernen Gesellschaften kommen. Wie viele der Spätaussied- ler, die in den vergangenen Jahren großen Anteil an der Erwachsenentaufe stellten. Und oft viele Jahre brauchten, diesen letzten Schritt zur Integration in ein neues Lebensumfeld zu gehen. Häufig mit dem Anlass einer Eheschließung oder zur Geburt und Taufe der eigenen Kinder. Drei von vier Kindern aus Partnerschaften mit mindestens einem katholischen Elternteil werden katholisch getauft, ein seit vielen Jahren stabiler Faktor.
Aber was ist mit denen, denen die Taufe nicht in die Wiege gelegt wurde? Die ein halbes Leben glaubensfern zugebracht haben und dann doch ihren Glauben entdecken und leben wollen? Die Biografien sind voll von schweren Krankheiten und anderen Prüfungen.Und auch nach dem Entschluss zur Taufe wird den Anwärtern nichts geschenkt: „Christ wird man nicht über Nacht“, heißt es bei der Evangelischen Landeskirche in BadenWürttemberg. „Es braucht Zeit, die Kirche näher kennenzulernen. Es braucht Zeit, zu verstehen und anzunehmen, was zum Glauben gehört.“
In den katholischen Bistümern dauert die Vorbereitungszeit schnell mal ein ganzes Jahr. Auch in München, wo die Theologin Gabriela Grunden für die Orientierungskurse zur Erwachsenentaufe zuständig ist – und dafür sorgt, dass die Spätberufenen wohl bibelfester sind als viele „geborene“Christen. Wie Stefanie Krügel, die erst vor einem Jahr selbst die Erwachsenentaufe empfing und nun bei den Orientierungskursen unterrichtet: „Es ist mir eine große Freude, Zeugnis abzulegen von meinem Weg und gleichzeitig zu erleben, welche Wege Gott bereithält und wie viele Menschen doch durch ihn bewegt werden. Ich erfreue mich täglich neu daran, Teil dieser Gemeinschaft sein zu dürfen.“
Viele reden nicht so gerne öffentlich über ihren späten Weg zum Glauben. Mitunter gibt es Hänseleien am Arbeitsplatz und auch an Universitäten. Und für einen wachsenden Teil der späten Täuflinge bedeutet ihr Entschluss sogar eine Gefahr für Leib und Leben: Das gilt wohl nicht nur bei einer Rückkehr ins muslimische Heimatland, sondern auch in Deutschland. Pfarrer Helge Hohmann, Zuwanderungsbeauftragter der westfälischen Landeskirche,
„Es kann geschehen, dass Konvertiten, oder Flüchtlinge, die das beabsichtigen, in Flüchtlingsheimen unter Druck geraten.“ Zuwanderungsbeauftragter
Pfarrer Helge Hohmann
warnte im Evangelischen Pressedienst ausdrücklich vor solchen Folgen: „Es kann geschehen, dass Konvertiten oder Flüchtlinge, die das beabsichtigen, in Flüchtlingsheimen unter Druck geraten.“
Dabei glaubt Hohmann nicht, dass sich Flüchtlinge fürs Christentum entscheiden, „weil sie sich Vorteile beim Asylverfahren versprechen“. Vielmehr sei es so, dass sie nach ihrer Ankunft in Deutschland gerade aus den Kirchen große, vorher nicht gekannte Hilfe und Zuwen- dung erfahren. Aber bei einer Rückführung in muslimische Herkunftsländer drohen böse Folgen, bis hin zur Todesstrafe: „Darüber muss mit den Flüchtlingen gesprochen werden, ob sie auch diese Konsequenzen im Blick haben.“
Zum Schutz der Betroffenen
Während das Thema in Deutschland eher hinter den Kulissen diskutiert wird, gibt es in Österreich längst eine öffentliche Debatte: Die Evangelische Kirche dort hält die Namen und Pfarreien der neu getauften Muslime steng geheim: „Familien werden regelrecht verfolgt. Wir sind deshalb sehr zurückhaltend. Zum Schutz der Betroffenen.“So der Wiener Oberkirchenrat Karl Schiefermair.
Sauer stößt den meisten Seelsorgern im Nachbarland jedoch auf, dass die Bibelfestigkeit der Spättäuflinge regelmäßig auch noch vom Staat abgeprüft wird. Trotz der Vorbereitungskurse, die rund ein Jahr dauern, wie auch in Deutschland. Und trotz der klaren Hinweise der Kirchen, dass auch Getaufte vor einer Abschiebung keineswegs sicher sind.
Das aus früheren Jahren sattsam bekannte Thema „Nachfluchtgründe“wird wohl in Zukunft wieder eine größere Rolle spielen in den Asylverfahren. Auch für Menschen, die auf der Flucht zu einem neuen Glauben finden. Kardinal Marx hat ja nicht ausgeschlossen, dass die Aufgabe, den Geflohenen „das Christentum zu erklären“dazu führen kann, dass sie selbst Christen werden wollen.