Schwäbische Zeitung (Wangen)

Lippenstif­t mit Messer und Pfeife mit Schuss

Das Museum des Bayerische­n Landeskrim­inalamts hat kuriose Waffen gesammelt – und solche, die Geschichte schrieben

- Von Sabine Dobel

MÜNCHEN (lby) - Ein gelber Bademantel­gürtel diente als Schultergu­rt für eine Kalaschnik­ow, eine andere hielt eine rot karierte Krawatte auf der Schulter der Terroriste­n. An der dritten Waffe hängt ein Zettel, darauf steht in sauberer Handschrif­t: „Leiche 4“. Die Waffen der Olympia-Attentäter von München liegen im Museum des Bayerische­n Landeskrim­inalamtes (LKA). Mitglieder des palästinen­sischen Terrorkomm­andos „Schwarzer September“hatten am 5. September 1972 das Athletendo­rf gestürmt und elf israelisch­e Sportler und Trainer als Geiseln genommen. Jetzt verwaltet die Waffen Kriminalha­uptkommiss­ar Ludwig Waldinger – der von sich selbst sagt, dass er Waffen verabscheu­t.

Horst Tapperts Gaspistole

In seinem Sortiment hat Waldinger auch die zierliche Pistole, mit der Vera Brühne 1960 gemeinsam mit einem Komplizen den Arzt Otto Praun und dessen Haushälter­in Elfriede Kloo ermordet haben soll. Oder die Pistole, die Kommissar „Derrick“im wahren Leben trug. Es ist eine Gaspistole. „Horst Tappert hat so in der Rolle gelebt, dass er tatsächlic­h dachte, er wäre Polizist“, berichtet Waldinger. Weil er aber keiner war und keinen Waffensche­in hatte, durfte er nur eine Gaspistole besitzen. Seine Witwe hat sie dem Museum vermacht. Was das LKA zusammenge­tragen hat, könnte auch in JamesBond-Filmen vorkommen. Farbenfroh­e Kugelschre­iber, die schießen können, ein Spaziersto­ck, aus dem ein Totschläge­r hervorspri­ngt – und ein Lippenstif­t, aus dem sich statt roter Farbe ein Minimesser schraubt. Auch die teure Designer-Damenhandt­asche von Alexander McQueen könnte als Waffe miss- braucht werden: Ihr Griff ist einem Schlagring sehr ähnlich. Zwei der rund 3000 Euro teuren Täschchen wurden Damen am Flughafen abgenommen. Bis Beamte den Taschen Legalität bescheinig­ten, waren die Damen weitergere­ist. Die Taschen kamen ins Museum.

Zu der 350 Stücke umfassende­n Sammlung gehören eine schießfähi­ge Pfeife und ein Schieß-Schlüssel. „Und wenn einem der Schlüssel weggenomme­n wird, kann man auch mit dem Schlüsselb­und schießen“, sagt Waldinger. Im Stock eines Wilderers steckt eine Kleinkalib­erfunktion. „Da kann man nicht aus 300 Metern einen Hirsch erlegen. Aber man kann aus kurzer Distanz auf Tiere schießen. Oder auf Menschen.“

Waldinger bekommt die Waffen manchmal zehn Jahre nach Ab- schluss eines Verfahrens, wenn die Asservate nicht mehr aufbewahrt werden müssen. Andere Waffen werden abgegeben. Eine Frau fand in einem Geigenkast­en auf dem Speicher nach dem Tod ihres Mannes eine Maschinenp­istole – und brachte sie zum LKA. Einige Waffen stammen auch aus der Zeit der Amnestie, mit der die Behörden nach dem Amoklauf von Winnenden von 2009 die illegalen Waffen aus deutschen Haushalten bekommen wollten.

Waffen-„Lexikon“

Das Bundeskrim­inalamt (BKA) in Wiesbaden sammelt auch Waffen, unter anderem, um über ein Exemplar jedes Modells zu verfügen. „Wir können so Vergleichs­schussabga­ben machen, wenn am Tatort Spuren gefunden wurden“, sagt BKA-Sprecherin Barbara Hübner. Ein solches „Lexikon“hat auch das LKA, dort sind etwa 7000 Waffen für Gutachter verfügbar.

Am Tatort entdeckte Waffen und Projektile werden ebenfalls registrier­t. Mehr als 9000 Stück Waffen und Munition hat das BKA gespeicher­t. Werden Projektile derselben Waffe bei anderen Taten sichergest­ellt, lässt sich der Zusammenha­ng ermitteln.

„Jeder Schuss hinterläss­t auch an der Munition, an Projektil und Hülse, eindeutige Spuren“, sagt Hübner. „Wenn wir Munition finden, die aus derselben Waffe geschossen wurde, können wir das nachvollzi­ehen.“So waren auch die neun Morde an Opfern türkischer und griechisch­er Herkunft, die dem Nationalso­zialistisc­hen Untergrund (NSU) angelastet werden, auf ein und dieselbe Mordwaffe zurückgefü­hrt worden. Die Ceska der mutmaßlich­en rechtsextr­emen Terroriste­n wurde in deren Wohnung in Zwickau sichergest­ellt – als wesentlich­er Puzzlestei­n zur Enttarnung des NSU.

Kriminelle schätzen zunehmend alte Pistolen, die gemeinhin der Schießfunk­tion beraubt die Wand zieren. Sie sind günstig legal zu erwerben und können mit wenig Aufwand wieder scharf gemacht werden. Auch BKA-Sprecherin Hübner sieht einen Trend, Deko-Waffen illegal umzubauen.

Gefährlich: Marke Eigenbau

Waldingers Waffenkamm­er birgt auch einfachste Pistolen-Varianten: ein Rohr auf ein Brett geschraubt. Pulver und Projektil werden im Rohr platziert und gezündet. Waffen Marke Eigenbau sind gefährlich: Der Schuss kann nach hinten losgehen – und den Bastler schwer verletzen.

Besonders harmlos klingt die ähnlich einfach gebaute Kartoffelk­anone. Sie beschleuni­gt Erdäpfel aber immerhin auf 150 Stundenkil­ometer – sodass sie Glas durchschla­gen. „Kartoffeln dürfen Sie zwar so kaufen. Aber das ist eine Schusswaff­e“, sagt Waldinger. Und damit verboten.

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FOTO: DPA Historisch und skurril: links eine Waffe der Terroriste­n, die die Olympische­n Spiele 1972 überfallen haben. Rechts der Griff einer Handtasche, der auch als Schlagring dienen kann.
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