Finsternis mit Krähe
Opernhaus Zürich: Teodor Currentzis und Barrie Kosky verschärfen die Abgründe von Verdis „Macbeth“
ZÜRICH - Draußen explodiert der Frühling, drinnen bedecken tote Vögel einen auf dem Boden liegenden Menschen. Der schwarze Bühnenraum steigt nach hinten an wie ein finsterer Korridor, kleine Leuchten begrenzen ihn. Aus dem Orchestergraben kommen raue, geschärfte Klänge: Vom ersten Takt dieser Neuinszenierung von Verdis „Macbeth“am Opernhaus Zürich an ziehen Musik und Bühne in ihren Bann.
Teodor Currentzis, der gebürtige Grieche, der im russischen Perm wirkt und den CD-Markt mit aufregenden Einspielungen bereichert, befeuert auch die Philharmonia Zürich mit seinem leidenschaftlichen Dirigat. Barrie Kosky, der Australier, Chefregisseur und Intendant der Komischen Oper Berlin, erzeugt in seiner konsequenten Regie im beklemmenden Bühnenbild von Klaus Grünberg und mit den Kostümen von Klaus Bruns eine Hochspannung, die sich nach drei Stunden in einhelligem Beifall des Premierenpublikums entlädt.
Sänger ziehen alle Register
Verdis dunkelste Oper nach Shakespeare wird natürlich auch von zwei herausragenden Sängerdarstellern, einigen kleineren Partien und einem großen Chor getragen: Tatjana Serjan, die auch bei den Bregenzer Festspielen der vergangenen Jahre stets in ihren intensiven Frauenporträts überzeugte, verkörpert die Rolle der machthungrigen und starken Lady Macbeth in all ihren Facetten, mit Bühnenpräsenz, lodernden Koloraturen, lockenden Einflüsterungen, Farben und zerbrechlichen Tönen. Seit vielen Jahren begleitet Serjan diese anspruchsvolle Partie, in der Verdi keine „schöne“, sondern eine „hohle, erstickte“Stimme vorschwebte: Sie erschafft sie immer wieder neu, kompromisslos und mit ganzer Hingabe.
Herausgehoben ist ihre Wahnsinnsszene, in der sie das Blut des ermordeten Königs von ihren Fingern waschen möchte: Ihr Nachtgewand, das einzige Weiß in diesem schwarz durchtränkten Stück, leuchtet. Ihr zur Seite sitzt eine täuschend echt animierte Rabenkrähe – da bringt die Abteilung Bühnenplastik sogar so etwas wie Humor in die Darstellung menschlicher Abgründe.
Für Markus Brück, den Bariton der Deutschen Oper Berlin, ist der mordende Macbeth sowohl ein Rollen- als auch ein Hausdebüt an der Limmat, in dem er alle Register seiner Sing- und Schauspielkunst zieht. Die Machtgier des Königsmörders, die Abhängigkeit von seiner Gattin, Angst, die in Wahn umschlägt – all das spiegelt sich in der wandelbaren Stimme und in der Körpersprache des Sängers.
Regisseur Barrie Kosky schont ihn nicht, denn alles – die Prophezeiungen der Hexen, die Morde an König Duncan sowie an Banco, die Erscheinungen und letztlich auch Macbeths eigener Tod – spielt sich im Inneren der Protagonisten ab: Wenn Macbeth die Hexen befragt, verzerrt sich sein Gesicht wie in Edvard Munchs „Schrei“, er spricht die Worte der Erscheinungen mit. Auch die große Szene, wenn die zukünftigen schottischen Könige vorüberziehen, drückt sich allein in Markus Brücks Gesicht aus.
Entsprechend gibt es auch keine fantasievoll gewandeten, herumwuselnden Hexen, der Chor singt zischend und wortdeutlich flüsternd aus dem Off, während eine Gruppe schweigender, fast nackter Wesen die Bühne bevölkert. Auch in den anderen großen Chorszenen ist er kaum zu sehen, dennoch wird die Klangkultur des von Ernst Raffelsberger einstudierten Chors zum Schluss gebührend gewürdigt.
Reduziertes Bühnenbild
Regisseur Kosky konzentriert sich ganz auf Macbeth und seine Lady, verstärkt so deren symbiotische Abhängigkeit. Die kleineren Rollen bekommen weniger Gewicht, sind in ihren langen schwarzen Mänteln und den wallenden Haaren auch fast nicht zu unterscheiden. Musikalisch glänzen auch Wenwei Zhang als Banco, Pavol Breslik als verzweifelter Macduff und Airam Hernandez als neuer König Malcolm in ihren kurzen und intensiven Arien.
So spannend und zugleich reduziert Kosky das Bühnengeschehen entwickelt, so intensiv hat auch Teodor Currentzis mit dem Orchester gearbeitet. Die dunklen Klangfarben der Holzbläser, die zu raunen und zu ächzen scheinen, der samtige Grundton der Streicher, die Attacke von Blechbläsern und Schlagwerk erschaffen ein rundum spannendes Musiktheater voll psychologischer Unerbittlichkeit.