Schwäbische Zeitung (Wangen)

Das große Rätsel um 43 Vermisste

Ein dubioses Gutachten im Fall der verschwund­enen Studenten sorgt in Mexiko für Ärger

- Von Klaus Ehringfeld

MEXIKO-STADT - Der Fall der verschwund­enen 43 Studenten in Mexiko geht in eine neue Runde. Kurz vor Ablauf ihres Mandats kam es zum offenen Bruch zwischen den unabhängig­en Experten, die das Verschwind­en der 43 Studenten untersuche­n, und der mexikanisc­hen Justiz. Die von der Interameri­kanischen Menschenre­chtskommis­sion beauftragt­en Mediziner, Staatsanwä­lte und Psychologe­n aus vier Ländern warfen der Generalsta­atsanwalts­chaft am Wochenende die Verletzung von Absprachen und Manipulier­ung von Informatio­nen vor.

Die 43 Lehramtsst­udenten der Landuniver­sität Ayotzinapa waren in der Nacht vom 27. September 2014 in der Stadt Iguala von einer Allianz aus korrupten Polizisten und Schergen der Drogenkart­elle verschlepp­t worden. Bis heute fehlt von ihnen jede Spur. Das Verbrechen sorgte weltweit für Entsetzen und gilt in Mexiko als dramatisch­es Beispiel für die partielle Verwicklun­g des Staates in das organisier­te Verbrechen.

In drei Wochen, am 24. April, stellt die unabhängig­e Expertengr­uppe (GIEI) ihren Abschlussb­ericht vor. Auslöser des Konflikts ist die nicht abgesproch­ene Veröffentl­ichung eines neuen Gutachtens durch die Generalsta­atsanwalts­chaft am Freitag. Dieses legt scheinbar nahe, dass doch ein Teil der Studenten auf einer Müllkippe in der Ortschaft Cocula verbrannt wurde. In dem dreiseitig­en Papier heißt es, dass bei einer vierten Untersuchu­ng der Müllkippe durch Brandexper­ten die Reste von 17 Leichen gefunden wurden. Allerdings, so verlautete am Wochenende aus dem Umfeld der Expertengr­uppe, sei völlig unklar, ob diese menschlich­en Überreste in irgendeine­m Zusammenha­ng mit einem Verbrechen an den Studenten stehen.

In einer Erklärung wirft die GIEI der Staatsanwa­ltschaft vor, sich nicht an die Absprache gehalten zu haben, nur gemeinsam mit den Experten die Ergebnisse zu veröffentl­ichen. Zudem habe man zuvor die Eltern der Opfer informiere­n wollen. Beides sei nicht geschehen. Zudem spricht die GIEI dem Gutachten die Wissenscha­ftlichkeit ab. Die sechs Brandexper­ten sind sich zudem offenbar selbst in der Interpreta­tion der Ergebnisse nicht einig. Dennoch preschte die Staatsanwa­ltschaft mit der Veröffentl­ichung vor. Dieser jüngste Konflikt ist der Höhepunkt eines monatelang­en Prozesses der Entfremdun­g zwischen den ausländisc­hen Experten und der mexikanisc­hen Regierung. Wenige Monate nach dem Verschwind­en präsentier­te die Justiz angeblich geständige Schuldige und eine Version der Tat, die der damalige Generalsta­atsanwalt Jesús Murillo Karam als „historisch­e Wahrheit" bezeichnet­e. Demnach sollen die Studenten von Killern der „Guerreros Unidos“getötet und anschließe­nd auf einer Müllhalde in Cocula, einem Nachbarort von Iguala, verbrannt worden sein. Diese Version wurde von der GIEI bereits in ihrem ersten Bericht als unhaltbar verworfen. Insbesonde­re die Angabe, die 43 Leichen seien auf der Müllkippe verbrannt und die Überreste dann in einen nahen Fluss geworfen worden, entkräftet­en die Experten überzeugen­d.

Keine Gewissheit, keine Urteile

In den eineinhalb Jahren seit dem Verschwind­en gab es mehr als 100 Festnahmen, eine 2000 Seiten starke Ermittlung­sakte, aber noch keine Verurteilt­en und keinerlei Gewissheit, was mit den 43 jungen Männern in der Nacht vom 26. auf den 27. September 2014 in der Stadt Iguala im Bundesstaa­t Guerrero passiert ist. Gesichert ist lediglich, dass die Lehramtsst­udenten verschlepp­t und vermutlich ermordet wurden, nachdem sie mehrere Busse gekapert hatten, mit denen sie eigentlich nach Mexiko-Stadt zu einer Demonstrat­ion fahren wollten. Das jetzt vorgestell­te angebliche Gutachten kann demnach nur den Sinn haben, der ursprüngli­chen Regierungs­version Glaubwürdi­gkeit zurückzuge­ben. Aber die Experten aus Kolumbien, Guatemala, Chile und Spanien waren am Wochenende regelrecht konsternie­rt. Das Mandat der GIEI endet am 30. April. Eine Verlängeru­ng hatte Mexikos Regierung schon vor einigen Tagen kategorisc­h ausgeschlo­ssen.

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FOTO: AFP „Wir vermissen 43!“, steht auf dem Plakat eines Demonstran­ten in Mexiko-Stadt. Immer wieder gehen die Eltern der Vermissten seit September 2014 auf die Straße, um an die Verschwund­enen zu erinnern.

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