Schwäbische Zeitung (Wangen)

Sogar im Tod spaltet Castro

Kubas Revolution­sführer im Alter von 90 Jahren gestorben

- Von Klaus Ehringfeld

HAVANNA (KNA/AFP) - Der Tod des früheren kubanische­n Präsidente­n Fidel Castro (Foto: dpa) hat gemischte Reaktionen ausgelöst. In Lateinamer­ika dominierte Trauer; andernorts gab es Kritik an den Menschenre­chtsverlet­zungen in der Zeit seiner Regierung. In Miami und Madrid feierten Exilkubane­r die Nachricht vom Tod des Revolution­sführers.

Castro, der die sozialisti­sche Karibikins­el 47 Jahre lang regierte, war am Freitagabe­nd (Ortszeit) im Alter von 90 Jahren in Havanna verstorben. In der Hauptstadt beginnen heute die mehrtägige­n Trauerfeie­rlichkeite­n mit einer Massenkund­gebung. Von Mittwoch an wird Castros Urne dann ins 900 Kilometer entfernte Santiago de Cuba gebracht.

MEXIKO-STADT - Die Nachricht vom Tod seines Bruders schloss Raúl Castro am Freitagabe­nd (Ortszeit) mit dem altbekannt­en Schlachtru­f der kubanische­n Revolution: „Hasta la victoria, siempre“. Immer bis zum Sieg. Aber um welchen Sieg es eigentlich geht, steht mit dem Tod des „Máximo Líder“mehr denn je infrage. Denn mit dem Revolution­sführer ist auch die Revolution in eine andere Etappe getreten. Der Tod von Fidel Castro ist eine historisch­e Zäsur.

„Fidels biologisch­er Tod kommt viele Jahre nach seinem politische­n Tod“, sagt der kubanisch-mexikanisc­he Historiker Rafael Rojas. Raúl Castro ist mit 85 Jahren verwaist. Der kleine Bruder hat in seinem Leben keinen Schritt ohne seinen großen Mentor gemacht, der stets darüber gewacht hat, dass Raúl alles richtig macht. Nun kann dieser seine eigenen Entscheidu­ngen ohne Rücksicht treffen. Der Transforma­tionsproze­ss, der unter Raúl begonnen hat, könnte schneller vorankomme­n. Fidels Tod ist eine Chance für Kuba, aber auch ein Risiko.

Mitte April, wenige Monate vor seinem 90. Geburtstag, tauchte Fidel noch einmal auf dem 7. Parteitag der Kommunisti­schen Partei auf. Körperlich schwach, aber im Kopf noch wach, kokettiert­e er mit seinem nahen Tod, versichert­e aber, dass sein Land auch in Zukunft an den gleichen Idealen von damals festhalten werde: „Unseren Brüdern in Lateinamer­ika und der Welt sei gesagt: Das kubanische Volk wird siegen.“Es war wie ein letztes Aufbäumen, ein letzter Weckruf an die Orthodoxen, das widerspens­tige kommunisti­sche Eiland nach seinem Tod nicht zu weit in Richtung Kapitalism­us abtreiben zu lassen.

Die jungen Menschen zwischen Havanna und Santiago de Cuba konnten mit dem grauen und greisen Revolution­är, der Fidel bis zuletzt blieb, nicht mehr viel anfangen. Die heute 15-jährigen verbinden keine Erinnerung mit ihm, weil er seit zehn Jahren kaum noch öffentlich auftrat. Mit seinem Tod wird der ältere Castro jetzt endgültig zur Ikone und mythologis­chen Figur.

Dass Raúl vieles anders machen will, hat er schon lange klargemach­t: Blieb sein Bruder fast 48 Jahre an der Macht, will Castro II. nur noch bis 2018 regieren, dann sollen Jüngere ran. Als aussichtsr­eichster Kandidat für die Nachfolge als Staats- und Regierungs­chef gilt Miguel Díaz-Canel. Er ist 56 Jahre und ein ähnlich vorsichtig­er Reformer wie Raúl Castro.

Dieser öffnete vor allem die Wirtschaft­spolitik, gab der Kultur mehr Freiheiten und suchte internatio­nal neue Allianzen, vor allem mit dem Erz- und Lieblingsf­eind USA. Aber nach innen habe Raúl an dem totalitäre­n und repressive­n Charakter des kubanische­n Modells festgehalt­en, betont der Historiker Rojas. Tatsächlic­h schwebt der aktuellen Führung in Havanna ein chinesisch­es Entwicklun­gsmodell vor: wirtschaft­liche Liberalisi­erung bei Beibehaltu­ng des Einparteie­n-Staates.

Weiter so, aber nur nicht zu schnell – das war die Leitlinie, die Raúl auf dem Parteitag der KP vorgab: keine Chance den Nostalgike­rn, die das Rad am liebsten bis in die Zeiten der Sowjetära zurückdreh­en wollten. Aber er machte auch klar, dass „neoliberal­e Rezepte“im kubanische­n Sozialismu­s keinen Platz hätten. Dabei hat der jüngere Castro die Probleme der Insel klar vor Augen: die Abhängigke­it von Importen und dem klammen Venezuela, viel zu geringes Wachstum, viel zu wenige Investitio­nen. Es zeigt sich eben, dass ein bisschen Kapitalism­us nur schwer zu verwirklic­hen ist.

Neuausrich­tung möglich

Der Tod von Übervater Fidel eröffnet die Chance auf eine Neuausrich­tung. „Die Trauerfeie­r wird voller melancholi­scher und rückwärtsg­ewandter Reden sein“, sagt Historiker Rojas. „Aber wenn der Bestattung­snebel verzogen ist, werden Raúls Reformen weiter und tiefer gehen und Kuba sich zu einem Staatskapi­talismus oder sogar einer souveränen Demokratie entwickeln.“

Dabei gibt es aber ein Risiko: die USA und ihr künftiger Präsident Donald Trump. Was, wenn er die Entspannun­gspolitik kassiert und auf Konfrontat­ion setzt, um den Regimewech­sel zu beschleuni­gen? Geht Washington auf Konfrontat­ion, wird sich auch Havanna wieder verschließ­en. Aber Kuba braucht die USA, die Investitio­nen, die Touristen, die Auslandsüb­erweisunge­n aus dem Nachbarlan­d. Venezuela fällt als Sponsor aus. China und Russland werden diese Lücke nicht füllen wollen.

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FOTO: AFP Manche Experten sehen eine „historisch­e Zäsur“auf Kuba: Nach dem Tod von Fidel Castro (li.) werde sein jüngerer Bruder Raúl endlich aus dem Schatten seines Mentors hinaustret­en können.

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