Zustände „zum Teil unmenschlich“
Gefängnisneubau in Rottweil verzögert sich trotz positivem Bürgerentscheid weiter
ROTTWEIL - Seit 40 Jahren laufen die Planungen für ein neues Gefängnis in Rottweil. Als der Bürgerentscheid im September 2015 positiv endete, schien es schnell zu gehen mit dem Neubau. Doch jetzt wurde bekannt, dass die Arbeiten frühestens 2020 beginnen. Justizminister Guido Wolf (CDU) erklärte zwar gestern in Rottweil, sein Ziel sei 2018/19, aber das kann die Kritiker nicht besänftigen, die „teilweise menschenunwürdige Verhältnisse“in den alten Gefängnissen beklagen.
Zwei- oder Dreibettzellen
Das Entsetzen zieht Kreise. Ursula Spreter, die seit 15 Jahren als Anstaltsbeirätin in den Vollzugsanstalten Rottweil, Villingen, Oberndorf und Hechingen mitarbeitet, ist empört. Schon bei ihrem Einstand, berichtet sie, seien die Verhältnisse für Bedienstete und Häftlinge unzumutbar gewesen. Damals habe man mit einem Baubeginn von 2009 gerechnet. Ein Großteil der Bevölkerung habe kein Verständnis dafür, was seither passiert sei. Dabei wüsste die meisten gar nicht, wie es wirklich zugehe in den Gefängnissen: Meist gebe es nur Zwei- oder Dreibettzellen, jeweils mit eingebauten Toiletten, die oft nur durch einen Vorhang oder ein halbhohes Mäuerchen abgetrennt seien. Milchglas verstelle den Blick zum Himmel und führe im Sommer zu unerträglicher Hitze. „Das ist unmenschlich.“
In Rottweil tobte jahrelang ein Streit um den Standort für das neue Gefängnis, nachdem die CDU/FDPRegierung den seit Jahrzehnten reservierten und allseits akzeptierten Platz an der B 27 Richtung VillingenSchwenningen gekippt hatte. Schließlich fiel die Wahl auf eine Fläche oberhalb der Neckarburg in Sichtweise der Autobahn und unweit des Thyssen-Krupp-Testturms. Als der Bürgerentscheid eine Mehrheit von 58:42 Prozent brachte, war die Lage mit einem Mal befriedet. Doch der gut gemeinte Vorschlag aus den Reihen des Rottweiler Gemeinderats, das Gebäude um etwa 300 Meter in ein Waldstück zu verlegen, brachte neue Probleme. Die Probebohrungen und Umwelt-Untersuchungen begannen von vorne – mit entsprechenden Verzögerungen: Frühestens 2020 ist jetzt das Ziel für den Baubeginn. Der Rottweiler Alt-Oberbürgermeister Thomas Engeser sprach vielen aus der Seele, als er feststellte: „Es ist unglaublich, wie viel Zeit sich die Verantwortlichen bei vollen Gefängnissen lassen.“
Justizminister Wolf räumte gestern ein, dass die Gefängnisse in Baden-Württemberg „teilweise überbelegt“seien. Zwar gebe es fünf neue Häftlingshäuser in Stuttgart-Stammheim, und auch in Mannheim stehe eine Erweiterung an, aber das werde nicht reichen. Deshalb benötige man den Neubau in Rottweil so schnell wie möglich. Sein Ziel sei die Finanzierung im Haushaltsplan 2018/19. Allerdings werden dann weitere Jahre für die Planung und den Bau vergehen.
Die Zeit eilt
Dabei eilt die Zeit, auch das räumt Wolf ein, schon deshalb, weil inzwischen jeder Häftling einen gesetzlichen Anspruch auf eine Einzelzelle hat. „In der Regel“sei das auch in der Praxis der Fall, betont der Minister, aber es gebe auch Ausnahmen. Offensichtlich konzentrieren sich die besonders stark in den Gefängnissen aus dem vorletzten Jahrhundert in Rottweil, Villingen, Oberndorf und Hechingen. Wolf, der gestern das Landgericht und die Staatsanwaltschaft Rottweil besuchte, will sich davon demnächst selbst ein Bild machen.
Für Parteifreundin Ursula Spreter ist das kein Trost. „Fauna, Flora, Mausohr, Abendsegler und Fledermausarten haben Vorrang. Ich frage mich, wo bleibt da der Mensch?“, fragt sie und fügt hinzu: „Die Verantwortlichen haben keine Ahnung von den Zuständen.“