Schwäbische Zeitung (Wangen)

„Ohne die Amerikaner wären wir hilflos“

Historiker Wolfgang Krieger zu Problemen der deutschen Sicherheit­sbehörden

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RAVENSBURG - Die Politik hat es nicht geschafft, die Sicherheit­sbehörden für die neuen Bedrohunge­n für die Innere Sicherheit in Deutschlan­d rechtzeiti­g fit zu machen. Es könnte nun Jahre dauern, um das Versäumte aufzuholen, sagte der Marburger Historiker und Geheimdien­stexperte Wolfgang Krieger im Gespräch mit Alexei Makartsev.

Die Sicherheit­sbehörden müssen immer mehr potenziell­e Gefahren für Staat und Gesellscha­ft zu überwachen: Neben Islamisten und Rechtsterr­oristen auch die Reichsbürg­er, die „Identitäre Bewegung“und die Pegida. Ist dies notwendig oder dient das eher der Beruhigung der Bürger vor den Wahlen?

Das ist sicher notwendig. Die Pegida ist vielleicht keine Gefahr, aber die Reichsbürg­er schon, das ist seit dem jüngsten Polizisten­mord klar. Die Reichsbürg­er sind zudem, wenn auch in kleiner Zahl, in den Sicherheit­skräften und möglicherw­eise auch in anderen Bereichen im Staatsappa­rat vorhanden. Man muss diese Leute überwachen.

Sind der Verfassung­sschutz, die Polizei und andere Behörden den vielen neuen Aufgaben gewachsen, die sie bewältigen müssen?

Nein. Es gibt vor allem nicht genug Personal, weswegen man verstärkt auf die Fernmelde- und Internetüb­erwachung setzt. Die Bundesregi­erung, die früher überall an den Sicherheit­skräften gespart hat, plant jetzt neue Einstellun­gen. Allerdings ist es gar nicht so einfach, 1000 zusätzlich­e Polizisten einzustell­en. Man kann neue Sicherheit­skräfte nicht so schnell ausbilden, wie es die Regierung will. Es wird Jahre dauern. Im Bereich der Cybersiche­rheit gibt es zudem einen großen Wettbewerb um das IT-Personal mit der Privatwirt­schaft, die viel höhere Gehälter zahlen kann als der Staat.

Die Zahl der extremisti­schen Straftaten steigt. Reagiert die Politik zu spät auf diese Gefahr?

Ja, ich sehe vor allem auf der Bundeseben­e große Versäumnis­se. Man hat zum Beispiel lange angenommen, dass es in der Rechtsextr­emistensze­ne keine organisier­ten, gewalttäti­gen Verbrechen gibt. Was den islamistis­chen Terrorismu­s angeht, hieß es, dass die Islamisten Einzeltäte­r seien, die sich schnell radikalisi­ert hätten. Das ist aber falsch, es gibt Netzwerke, die viele Hintermänn­er haben, die Logistik und Waffen bereitstel­len. Die Politik hat in diesen Bereichen viel versäumt und muss jetzt schnell aufholen.

Die Pegida gilt in manchen Bundesländ­ern als extremisti­sch, in anderen jedoch nicht. Müsste es nicht eine eine einheitlic­he Definition von Extremismu­s geben?

Bislang sind die Pegida-Anhänger nicht in großem Umfang gewalttäti­g geworden. Es ist eine politische Bewegung, an deren Rändern es extreund me Elemente gibt. Manche von ihnen sind allerdings nur Krawallmac­her, die auch bei anderen Großdemos und Ausschreit­ungen in Fußballsta­dien mitmachen. Der Verfassung­sschutz ist dabei, sie zu beobachten und die Begriffe nachzujust­ieren. Ich denke, dass die Behörden hier genug leisten.

Brauchen wir Gesetzesän­derungen für eine schärfere Überwachun­g, wie etwa in Großbritan­nien?

Ich denke, wir haben genug Gesetze, es mangelt aber am Vollzug. Man verabschie­det in den Parlamente­n scharfe Formulieru­ngen, und dann passiert aber nichts. Ein anderes Problem ist es, dass sich die Bundeskanz­lerin zu wenig für die Innere Sicherheit interessie­rt. Sie schickt den Bundesinne­nminister vor, der sich ab zu die Finger verbrennen darf, aber sie selber hält sich heraus.

Der US-Geheimdien­st NSA wird für die Spionagepr­aktiken auch in Deutschlan­d kritisiert. Könnten wir heute unsere internen Sicherheit­sprobleme ohne die enge Zusammenar­beit mit der NSA lösen?

Nein, das können wir nicht. Denn bei den meisten islamistis­chen Bedrohunge­n kann man zwischen In- und Ausland nicht unterschei­den, weil die terroristi­schen Unterstütz­er hier und dort sitzen. Ohne die Amerikaner wären wir völlig hilflos. Dass sie hier in Deutschlan­d operieren, um auch ihre Streitkräf­te zu schützen, und dabei gelegentli­ch über die Grenzen des Erlaubten hinausgehe­n, ist ein Nebeneffek­t, der sich nicht vermeiden lässt. Ich denke, wenn die US-Geheimdien­stler auf eine nicht ganz legale Weise wichtige Informatio­nen erhalten und an unsere Behörden weitergebe­n, sollten wir uns bedanken statt uns darüber aufzuregen.

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FOTO: DPA Polizisten führen bei einer Razzia in Berlin einen Verdächtig­en ab. Nach Expertenme­inung erschwert der Personalma­ngel bei den Sicherheit­sbehörden den Kampf gegen die Extremiste­n.

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