Heimgesucht von Nachtgespenstern
Boulanger Trio begeistert in Ravensburg mit unbekannteren Werken
RAVENSBURG-WEISSENAU - Ihre eigenen Konzertreihen in Berlin, Hamburg und Wien nennen die drei Musikerinnen des Boulanger Trios „Boulangerie“– Bäckerei also. Benannt aber haben sie sich nach Nadja Boulanger, die das Musikleben in Paris als Komponistin, Dirigentin und Pianistin geprägt hat – gemeinsam mit ihrer Schwester Lili. Jetzt war das Ensemble in Ravensburg zu Gast.
Das Engagement der Schwestern auch für die neue und die unbekanntere Musik ist dem Trio Boulanger, das vor zehn Jahren in Hamburg gegründet wurde, Inspiration und Vorbild. Das zeigte die Programmgestaltung, denn ein Abend, bei dem drei von vier Stücken selten bis nie in unserem Konzertleben auftauchen und mit Herzblut und Leidenschaft präsentiert werden, ist selten. Das Publikum im Festsaal in Weißenau dankte es dem Trio mit Konzentration und Begeisterung. An diesem Abend spielten Geigerin Birgit Erz, Cellistin Ilona Kindt und Pianistin Karla Haltenwanger Kompositionen von Johannes Brahms, Ernst Bloch, Edvard Grieg und Max Reger: Es war ein Bad im romantischen Klang, den die Musikerinnen aber mit größter Vielfalt und Differenzierungskunst durchleuchteten.
Angeregtes Zusammenspiel
Da brauste das c-Moll-Trio op. 101 von Brahms mit gewichtigen Akkordpassagen, die einerseits festlich jubelnd, andererseits schwergewichtig den großen romantischen Ton anschlugen. Der zweite Satz wirbelte rhythmisch pulsierend und vorwärtsdrängend mit feinen Beleuchtungswechseln: Im langsamen Satz waren die beiden Streicherstimmen in inniger Harmonie über den weichen Arpeggien der Pianistin verbunden, sodass man sich an die Lieder des Komponisten erinnert fühlte. Im Finale arbeiteten die Musikerinnen, immer im angeregten Zusammenspiel, das etwas Sperrige von Brahms’ Tonsprache heraus, hatten aber auch genügend Raum für die lyrischen Einschübe.
Vor 100 Jahren reiste der Schweizer Komponist Ernest Bloch zum ersten Mal in die USA, kurze Zeit später ließ er sich in Cleveland nieder. Sein 1924 entstandenes Klaviertrio „Three Nocturnes“steigt aus den Tiefen des Cellos auf, bringt in Seufzerfiguren und Glockenklängen eine ganz eigene Nachtstimmung, lässt im zweiten Satz die Streicher sehnsüchtig singen. Die Wehmut dieser beiden Sätze weicht im dritten einer wilden Aufruhr, als würde der Komponist von Nachtgespenstern heimgesucht. Mit einem einzelnen langsamen Satz von Edward Grieg, der in einem großen Spannungsbogen die Nähe zu Schumann und Mendelssohn zeigt, entließ das Trio Boulanger die Zuhörer in die Pause.
Befragt nach seinem Beruf hatte der aus der Oberpfalz stammende Komponist Max Reger einmal „Akkordarbeiter“angegeben: Nicht ohne Ironie, aber sicher auch mit einem wahren Kern, denn in seiner Musik, ob für Chor, Orgel, Kammermusik oder Orchester, scheinen sich die Akkorde übereinander zu türmen. Hinzu kommt die tiefe Verehrung für Johann Sebastian Bach und seine Kunst des Kontrapunkts. Kein Wunder, dass sich das Thema seines Klaviertrios als chromatisches Viertonmotiv durchzieht, verdichtet und doch ungeheuer großräumig ausbreitet. Im Verlauf des üppigen Stücks fanden die Musikerinnen aber ebenso einen leichteren Tonfall und ließen im langsamen Satz in großem Atem die Melodie eines tröstlichen Chorals aufleuchten. Zur Entspannung nach Regers Klangfülle verabschiedete sich das sympathische Trio aus Hamburg mit einer Elegie von Josef Suk.