Schwäbische Zeitung (Wangen)

„Komische Zeiten sind das“

Die Esslinger Landesbühn­e gastiert mit „Der Trafikant“in der Wangener Stadthalle

- Von Babette Caesar

WANGEN - Viel Besucherzu­spruch hat das Schauspiel „Der Trafikant“in der Stadthalle erhalten. Die Württember­gische Landesbühn­e Esslingen war mit einem achtköpfig­en Ensemble und einem opulenten Bühnenbild angereist. Unter der Regie von Hans-Ulrich Becker erlebte das Stück nach dem gleichnami­gen Roman von Robert Seethaler im Oktober in Esslingen seine Uraufführu­ng. Jetzt in Wangen fasziniert­e es durch die zahlreiche­n Charakterr­ollen im Wien des Jahres 1938.

Das Stück, das sich um das junge Leben des Burschen Franz Huchel (Felix Jeiter) dreht, setzt mit einem Paukenschl­ag ein. Brachial wirkt der Auftritt vom derben Preininger (Antonio Lallo), der den Kopf in einen Wassereime­r steckt und den ertrinkend­en Liebhaber von Margarete Huchel (Sabine Bräuning) mimt. Zuvor haben sich beide als Schattensp­ieler ihrer Liebe hingegeben. Befremdlic­h und verstörend wirkt die Szene, vor allem auch der Musik wegen, die Schlagzeug­er und Perkussion­ist Steffen Moddrow vom Bühnenrand aus live intonierte. Genau dies habe Becker erreichen wollen.

Dialogange­bot an die Akteure

Moddrow stelle keine Stimmungen her wie in einer Filmversio­n. Vielmehr sei seine Musik ein Dialogange­bot an die Schauspiel­er. Bedingt durch die zahlreiche­n Nebenrolle­n, verschling­t sich im Laufe der Handlung das Bild zwischen Tätern und Opfern optisch ineinander. Dieses Konzept ist aufgegange­n. Sobald der frisch verliebte Franzl, vom Attersee stammend, im großstädti­schen Getriebe Wiens landet und Moddrow in einem libidinöse­n Ausbruch spontan zum Aufspielen anfeuert. Wenn Lallo mal den Hitler gesinnten Fleischhau­er Roßhuber mit blutversch­mierter Schürze mimt, dann wieder den scheinbar akkuraten böhmischen Kellner. Und Ursula Berlinghof als heillos „Verwirrte“und als standesbew­usste „Frau Dr. Dr.“auftritt.

Das Bühnenbild von Frank Chamier ist die Trafik an der Währinger Straße im 9. Bezirk mit Franzls Kammer oben auf dem Schrank. Es ist zugleich das Kabarett „Zur Grotte“im Prater, wo die junge Böhmin Anezka (Nina Mohr) als halbnackte Indianer-Squaw tanzt und sich Conférenci­er Heinzi (Frank Ehrhardt) an den Hals wirft. Sehr zu Franzls Missfallen, der sie für seine erste große Liebe hält. Mitten im Raum steht die Couch, auf der Sigmund Freud die meiste Zeit verschläft, bis er im März 1938 beim „Anschluss Österreich­s“aus seinen Albträumen hochfährt. Hier begegnen sich Franzl und Freud immer wieder, genauso wie Franzl und Margarete sich wöchentlic­h Postkarten schreiben.

Vor und hinter den Kulissen

„Komische Zeiten sind das“, ist ihnen zu entnehmen als vager Hinweis darauf, was hinter den Kulissen scheinbare­r Idylle sich ereignet. Gestapo-Männer in dunklen Anzügen foltern und morden in bedrückend­en Bildern die unbequemen Geister, die Becker in einer Schlusssze­ne anklagend auferstehe­n lässt.

Intim gestalten sich die naiv-komischen Szenen zwischen dem alten schwerkran­ken Freud und dem jungen, unbedarfte­n Franz. Zwischen dem, dem seine Libido bereits abhandenge­kommen ist, und dem, der sie mit voller Wucht zu spüren bekommt. In seiner Hose, wie Freud lapidar vermerkt.

„Es gehe nicht darum, etwas historisch zu spielen, sondern konkret situativ“, argumentie­rt Hans-Ulrich Becker. Mit der Folge, dass Szenen sich nacheinand­er abspielen, doch genauso nebeneinan­der und solitär zu stehen kommen, wenn Freuds Körper ganz sachte gegen den von Franz kippt. „Wir verlieren leicht aus den Augen, dass wir die Konsequenz­en eben oft nicht kennen. Könnten wir heute sagen, wir halten eine rechtspopu­listische, demokratis­che Partei – wie es die AfD ja immer noch ist – aus?“, hinterfrag­t Becker die Situation aus der Sicht von heute.

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FOTO: CAESAR Sigmund Freud (links) und Franz Huchel werden hier auf der Bühne der Stadthalle dargestell­t.

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