Gewachsen am Talentiertesten
Nico Rosbergs Weltmeistertitel ist der Lohn analytischer Arbeit – des Fahrers am Fahrer
etzt sind sie die längste Zeit bemüht worden: die Vater-/SohnVergleiche. Jetzt sind sie auserzählt: die Hase-und-Igel-Geschichten. Die gingen so: Wo immer Nico Erik Rosberg, Formel-1-Rennfahrer seit 206 Grands Prix, hinkam, war da schon einer. Einer, der schnell(er) war, präsent(er) war, bekannt(er) war, der Schatten warf: Papa Keke erst, Champion 1982, gesegnet mit einer Fahrzeugbeherrschung irgendwo zwischen verwegen und selbstmörderisch. Später: der aufstrebende Mark Webber bei Williams, der zurückgekehrte Michael Schumacher bei Mercedes, der nimmersatte Lewis Hamilton ebenda. Sprössling von, Stallgefährte von, Teamrivale von ... Bis Sonntag war Nico Rosberg das. Am Sonntag wurde er Igel. Weltmeister!
Die Geschichte dieses Weltmeistertitels begann vielleicht schon am 12. März 2006: Sakhir, Großer Preis von Bahrain, die schnellste Rennrunde dreht der Williams-Cosworth mit der „10“. Nico Rosbergs Williams. Siebter ist der Debütant im Ziel – und dieser 42. Umlauf ein Versprechen für die Zukunft: 20 Jahre und 258 Tage jung war Nico Rosberg damals.
Die Geschichte dieses Weltmeistertitels begann vielleicht erst im Spätjahr 2009. Am 23. November verkündet Mercedes GP die Verpflichtung Nico Rosbergs; er ist der erste Deutsche in einem Werksteam aus Untertürkheim seit Hans Herrmann und Karl Kling anno ’55. Die Schlagzeilen gehören ihm, bis Michael Schumacher rückfällig wird. Fortan sind die Rollen fürs Publikum klar verteilt: Silberpfeil-Zweitbesetzung neben PSBranchen-Ikone, Weltmeistersohn neben Rekordweltmeister. Drei Jahre, 2010, 2011, 2012, dann ist die Ära Schumacher vorbei. Wer zusammenrechnete, sah die vermeintliche Nummer 1 nach WM-Punkten (197:324), Siegen (0:1; Nico Rosbergs Premieren-Coup gelang in Schanghai 2012), Podiumsplatzierungen (1:5) und nach Qualifikationsduellen (18:40) distanziert. Heute noch hallt Michael Schumachers Wort zum Abschied nach: „Nico ist bestimmt kein Nasenbohrer.“
Austin 2015 ändert vieles
Die Geschichte dieses Weltmeistertitels begann ganz bestimmt am 25. Oktober vorigen Jahres. In Austin, beim Großen Preis der USA, macht Lewis Hamilton seinen WM-Triumph vorzeitig klar. Gleich nach dem Start drängt er Nico Rosbergs Boliden damals rigoros ab, einen Verbremser des dennoch Führenden wird der Brite sieben Runden vor Ultimo zudem eiskalt ausnutzen. Die Entrüstung ist groß bei Nico Rosberg, die Demütigung noch größer: Vor der Siegerehrung wirft Lewis Hamilton dem Geschlagenen betont beiläufig die „Pirelli“-Kappe mit dem Aufdruck „2nd“zu. Der schleudert sie wütend retour.
Und beschließt, die Dinge zu ändern. Sich zu ändern. Analysiert seine Schwächen, arbeitet an ihnen, statt sich an Lewis H. abzuarbeiten. Das beginnt bei den Nadelstichen, die der Brite übers Jahr gern gezielt setzt. Ignorieren! Wie Nico Rosberg jüngst auch Formel-1-Strippenzieher Bernie Ecclestones Einlassung ignoriert hat, dass ein Weltmeister Rosberg „dem Sport nicht unbedingt was bringen“würde, „weil man über ihn nichts schreiben kann“. Rosberg’sche Replik: Schlicht „wurscht“, das! „Ich bin hier, um Rennen zu gewinnen.“Und der „einfachste Weg, das nächste Rennen zu gewinnen“, sei „nur an das nächste Rennen zu denken“.
Hilfreich dabei: die Familie. Kraft gibt das Glück mit Ehefrau und Sandkastenliebe Vivian, dem 14 Monate alten Töchterchen Alaïa (samt Kater Rocky Balboa und Labrador Bailey). Ruhe auch, Gelassenheit. Es mag schlagzeilenträchtigere, spektakulärere Lebensentwürfe geben – jenen Lewis Hamiltons etwa –, für Nico Rosberg jedoch ist sein jetziger stimmig. Familienmensch war er schon immer, die Beziehung zu Mutter Sina und Vater Keke ist nach wie vor eng.
Apropos: Als „finnisches Naturtalent“an Lenkrad und Gas, aber „keinen besonders harten Arbeiter“hat Mercedes-Formel-1-Aufsichtsratsvorsitzender Niki Lauda den jungen Rosberg sen. in Erinnerung. „Ich fahre sauberer und präziser“, hat der Filius früher schon konstatiert. Lächelnd. Das mit der Arbeit muss er nicht sagen: Seine Ausdauer bei Team-Briefings ist berüchtigt, sein Quantum an (Ingenieurs-)Wissen über den F1 W07 Hybrid verblüfft. Alternative zum Motorsport wäre einst ein Studium der Luft- und Raumfahrttechnik gewesen.
Eine neue Entschlossenheit
Heute sagt Mercedes-Motorsportchef Toto Wolff: „Nico hat eine fast wissenschaftliche, datengesteuerte Herangehensweise.“Und Papa Keke weiß: „Er hat einen ziemlich guten Kopf auf seinen Schultern.“Im Rennen war, was Nico Rosberg tat, deshalb stets überlegt, meist effektiv. Ist es immer noch. Nur: Eine neue Entschlossenheit fiel diese Saison auf, eine so noch nicht gekannte Qualität. „Er ist“, beobachtete etwa Mercedes-Technik-Direktor Paddy Lowe, „jetzt viel stärker im Positionskampf.“Rad-an-Rad-Duelle ging der Nico Rosberg des Jahres 2016 aggressiver an. Siehe Barcelona, siehe Spielberg. Niki Lauda denkt zurück an Austin vergangenen Herbst: „Statt in Depressionen zu verfallen, hat Nico sich diese Härte antrainiert.“
Damit war das Paket geschnürt, das Lewis Hamilton nach 21 WM-Läufen auf Abstand hielt. Auf Fünf-PunkteAbstand. Dass der Titelverteidiger mit dem Defektpech haderte – nachvollziehbar! Doch Zuverlässigkeit kommt und geht in der Formel 1. Geprägt aber hat diese Saison eines: die konstant hochklassige Leistung Nico Rosbergs. Der ist nicht zerbrochen an 2014 und 2015, an den zwei gegen Lewis Hamilton verlorenen Titeln. Er ist gewachsen. An seinem Widerpart, an der Aufgabe. „Er fährt ja“, sagte Toto Wolff in Abu Dhabi, „gegen den talentiertesten Fahrer, den man als Teamgefährten haben kann. Den zu bezwingen ...“War die Igel-Werdung des Nico Erik Rosberg. Und weltmeisterlich.