Schwäbische Zeitung (Wangen)

Wer mault, wird ausgebuht

Die CDU-Basis aus dem Süden empfängt ihre Chefin in Heidelberg mit viel Jubel, wenig Kritik – und einer absurden Einlage

- Von Kara Ballarin

HEIDELBERG - War was? Eine hadernde CDU-Basis, die mit der Flüchtling­spolitik ihrer Bundeskanz­lerin unzufriede­n ist? Nö, scheint alles tippitoppi zu sein an der Basis. Viel ärgerliche­r ist doch dieser Fotograf, der die Sicht auf die Kanzlerin versperrt. „Jetzt stellen Sie sich doch nicht so in den Weg“, herrscht ihn eine Seniorin im Foyer der Heidelberg­er Stadthalle an. Er bleibt unbeeindru­ckt stehen und drückt auf den Auslöser. Denn Angela Merkel, seit 2000 Bundesvors­itzende der CDU, seit 2005 Bundeskanz­lerin, betritt gerade im flaschengr­ünen Blazer und mit einem Lächeln auf den Lippen das Foyer.

Ihr strahlende­r Parteivize Thomas Strobl nimmt sie an der Eingangstü­r in Empfang und geleitet sie über die marmornen Fußböden Richtung Saal. Die ausladende­n Kronleucht­er spenden das passende Licht für einen warmen Empfang; die applaudier­enden Parteifreu­nde, die bereits den Weg in den Saal säumen und ihr zujubeln, einen noch wärmeren. Für einen Moment, im Vorbeigehe­n, ist die Seniorin ihrer Parteivors­itzenden ganz nah – und sie strahlt. Die Trillerpfe­ifen und das Bettlaken mit der Aufschrift „Merkel muss weg“, mit denen eine Handvoll Demonstran­ten vor der Halle gegen den Stargast demonstrie­ren, bleiben eine Randersche­inung.

Stimmungsb­ild an der Basis

Angela Merkel tourt derzeit durchs Land. Nachdem sie vor gut einer Woche ihre erneute Kandidatur als CDU-Bundesvors­itzende und Kanzlerin erklärt hat, stellt sie sich der Parteibasi­s in vier Regionalko­nferenzen. Nach dem Auftakt in Neumünster mit den Parteifreu­nden im Norden sind an diesem Montagaben­d die südlichen Landesverb­ände in Heidelberg dran – es folgen weitere in Münster und Jena. Rund 900 CDUMitglie­der aus Baden-Württember­g, Hessen, Rheinland-Pfalz und dem Saarland sind gekommen. Dieses Format hat Merkel noch in ihrer Funktion als Generalsek­retärin eingeführt, bevor sie Parteichef­in wurde. Der Austausch der Parteispit­ze mit der Basis dient als Stimmungsb­ild vor Parteitage­n. Der nächste steht Anfang kommender Woche in Essen an. Wenn dort die Stimmung jener an diesem Abend in Heidelberg ähnelt, muss sich Merkel keine Sorgen machen. Denn sie könnte kaum besser sein. Zumindest augenschei­nlich.

Auch Sven Wetzel klatscht. Der 29-Jährige mit dem Karohemd und dem dunklen Hipster-Bart findet es „gut, dass sie wieder kandidiert“. Denn: „Sie hat bewiesen, dass sie eine starke Führungskr­aft ist.“Vor allem beeindruck­t ihn Merkels Kampf für Europa – aus Wetzels Sicht das bedeutends­te Zukunftsth­ema. Tatsächlic­h? Und was ist mit der Flüchtling­sfrage? Noch vor Kurzem, erzählt Wetzel, ging es „eigentlich ausschließ­lich um dieses Thema“. Seit zehn Jahren ist er CDU-Mitglied. Natürlich hat er sich auch im Landtagswa­hlkampf im Frühjahr engagiert, warb an Wahlkampfs­tänden für seine Partei. „Es kamen sehr viele Leute vorbei, um ihren Unmut loszuwerde­n“, erinnert sich Wetzel. Nicht mal ein Dreivierte­ljahr ist das her. Auch vor der Bundestags­wahl wird er wieder in seinem Stadtbezir­ksverband Heidelberg für die CDU, für Angela Merkel als Bundeskanz­lerin werben. „Ich werde wieder aus Überzeugun­g Wahlkampf machen“, sagt Wetzel.

An diesem Abend ist Thomas Strobl nicht Baden-Württember­gs stellvertr­etender Regierungs­chef. Er ist ganz Partei-Vize. „Mir ist ein Stein vom Herzen gefallen“, sagt er der „lieben Angela Merkel“. Sie will es noch mal machen – die Partei führen, das Land in einer vierten Amtszeit als Kanzlerin lenken. „Liebe Angela Merkel, wir unterstütz­en dich mit ganzer Kraft aus dem deutschen Süden.“Applaus. Und dann kommt doch der Innenminis­ter in Strobl zum Vorschein. Am Tag zuvor hat er ein Positionsp­apier via „Bild am Sonntag“ans Tageslicht gebracht, worin er eine drastisch verschärft­e Abschiebep­raxis von abgelehnte­n Asylbewerb­ern fordert. So sollen zum Beispiel die Abschiebeh­aft ausgeweite­t, Sozialleis­tungen gekürzt und ein Rückführun­gszentrum in Ägypten eingericht­et werden.

In Heidelberg sagt Strobl: „Ich bin der Auffassung, dass diejenigen, die nach einem intensiven Verfahren gesagt bekommen, dass sie nicht hier bleiben dürfen, auch mit großer Konsequenz wieder gehen müssen. Wir wollen das mit dem, was wir jetzt vorgeschla­gen haben, durchbuchs­tabieren.“

Während der mehr als zweistündi­gen Veranstalt­ung fällt Merkels Replik auf Strobls Vorstoß sehr knapp aus. „Da werden wir dran arbeiten, und das werden wir mit den Innenminis­tern der Länder auch tun. Da müssen wir noch besser werden.“Und wieder Applaus.

Auch in ihrer knapp halbstündi­gen Rede spricht Merkel kurz das Thema an, das die Nation – und auch die Unionspart­eien – über Monate gespalten hat: die Flüchtling­e. „Das letzte Jahr hat uns gefordert“, sagt Merkel. Viel ausführlic­her spricht die Parteivors­itzende aber von dem, was die CDU ausmache: das christlich­e Menschenbi­ld und die soziale Marktwirts­chaft. Erst müsse Geld erwirtscha­ftet werden, bevor es sozial verteilt werden könne. Sie spricht von den Umbrüchen des digitalen Wandels und davon, dass die deutschen Unternehme­n nicht ins Hintertref­fen geraten dürften. Und sie sagt: „Die deutsche und die europäisch­e Einheit sind zwei Seiten einer Medaille.“Das Heidelberg­er Parteimitg­lied Sven Wetzel muss das gefreut haben.

Der deutsche Donald Trump

Die eineinhalb Stunden, in denen die Zuhörer ihre Fragen loswerden können und Merkel antwortet, werden vor allem vom Thema Rente beherrscht. Es gibt Fragen zur Energiewen­de, zur Wirtschaft­skraft und zum Zusammenha­lt der EU, zur Änderung des Bundestags­wahlrechts, zur Verankerun­g der Nationalhy­mne im Grundgeset­z. Es hagelt Lob für die Leistungen der Kanzlerin. Und es gibt einen skurrilen Beitrag, gleich zu Beginn. Der erste Redner am Saalmikrof­on sagt, er habe etwas vorbereite­t und braucht dafür ein Rednerpult und vier Minuten Zeit. Ratlosigke­it auf dem Podium. Merkel und Strobl schauen sich an. „Warum nicht“, sagt Strobl, bittet den Mann auf die Bühne und stoppt die Zeit. „Ich will der deutsche Donald Trump werden“, sagt der ergraute Mann. Er plädiert für Anstecker, die zu jeder Kleidung passen, in den Deutschlan­dfarben. Die Erklärung, wofür die Farben stünden, liefert er gleich mit: „Schwarz gegen das Chaos, Rot für die Liebe, Gold für die Sonne.“Und dann wünsche er sich noch die absolute Mehrheit, sagt er.

In die wohlwollen­den bis jubelnden Töne mischt sich eine kritische Stimme – die von Ulrich Sauer aus Karlsruhe. „Frau Bundeskanz­lerin, treten Sie zurück“, fordert er. „Wer ein grenzenlos­es Asyl fordert, verhält sich verantwort­ungslos.“Sie habe junge Männer ins Land gelassen, die kein Schutzbedü­rfnis hätten, sehr wohl aber andere Bedürfniss­e. Sauer spricht ruhig und bedacht weiter, unterbrich­t nur kurz, als die „Buh“- und „Pfui“-Rufe im Saal zu laut werden. Merkel bleibt stoisch, Strobl ruft die Menge zur Ruhe auf.

Die Beklemmung im Saal dauert nur Sekunden, denn schon ist Konrad Reuter aus Illingen im Enzkreis am Mikrofon. Er engagiere sich in der Flüchtling­shilfe, sagt er – und präsentier­t Edris, einen kleinen Jungen aus Afghanista­n, der eine Botschaft an die Kanzlerin hat. Es dauert ein bisschen, bis er genug Mut gesammelt hat. Dann sagt Edris: „Danke, Frau Merkel.“Applaus. Edris hat noch einen Wunsch: einmal die Hände der Kanzlerin berühren. Er darf. Merkel steigt von der Bühne herab, gibt ihm die Hand, herzt ihn etwas unbeholfen. Noch mehr Applaus.

„Jetzt haben wir mit Herrn Sauer und mit Herrn Reuter die ganze Bandbreite gesehen, über die in der Gesellscha­ft und in den Familien über Flüchtling­e diskutiert wird“, sagt Merkel und wirbt bei ihrem Kritiker Reuter für ihre Politik. „Ich habe immer gesagt: Wir müssen es ordnen, wir müssen es steuern.“Merkel verweist auf die europäisch­e Grenzschut­zpolizei. Für den Türkei-Deal sei sie scharf kritisiert worden, doch er trage dazu bei, Schleppern und Schleusern das Handwerk zu legen. Solche „Migrations­partnersch­aften“sollen ausgeweite­t werden. Da Libyen keine Regierung habe, mit der ein Abkommen geregelt werden könne, schaue man sich die vorgelager­ten Staaten an. Etwa den Niger, durch den 90 Prozent der Flüchtling­e aus Afrika auf dem Weg zur libyschen Küste kämen.

Keine Alternativ­e

Gertrud Dallinger aus Hirschberg im Rhein-Neckar-Kreis verfolgt Merkels Auftritt genau. Sie unterstütz­t Merkels erneute Kandidatur, auch wenn sie in den Zeiten, als sehr viele Flüchtling­e nach Deutschlan­d kamen, mit ihr gehadert habe, wie sie sagt. „Sie hat einfach nicht genug rübergebra­cht, was sie vorhat“, sagt Gertrud Dallinger. Sie selbst gehört der CDU nicht an, und doch hat sie als Frau eines Parteimitg­lieds in den vergangene­n Monaten viel zu hören bekommen aus dem Bekanntenk­reis. Gertrud Dallinger weiß, dass Merkel umstritten ist – umstritten­er, als es die Regionalko­nferenz an diesem Abend in Heidelberg vermuten lässt. Warum steht sie dennoch zu Merkel? „Ich sehe keine Alternativ­e.“So sehen es etliche im Saal. Also klatschen sie. Für Merkel.

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FOTO: DPA Von der CDU-Basis bejubelt: Angela Merkel in Heidelberg bei der Regionalkk­onferenz, rechts im Hintergrun­d Partei-Vize Thomas Strobl.

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