Schwäbische Zeitung (Wangen)

Streit um TIMSS-Studie: Grundschul-Experten warnen vor Schönfärbe­rei

Deutschlan­ds Viertkläss­ler rutschen in Mathematik ins Mittelfeld ab und liegen in Naturwisse­nschaften unter dem EU-Schnitt

- Von Rasmus Buchsteine­r

BERLIN - „Jonas pflanzt je 8 Bäume in 5 Reihen. Wie viele Bäume pflanzt er insgesamt?“, heißt es in der Aufgabe. „A: 13, B: 32, C: 35, D: 40.“Fast jeder vierte Viertkläss­ler in Deutschlan­d ist nicht in der Lage, Aufgaben wie diese zu lösen, erreicht nicht die Kompetenzs­tufe III. Der Dortmunder Bildungsfo­rscher Wilfried Bos stellte am Dienstag in Berlin die Ergebnisse der TIMSS-Studie vor, eines Grundschul-Leistungsv­ergleichs für Mathematik und Naturwisse­nschaften.

Hier gehe es um elementare Kenntnisse der Rechenarte­n. Wer diese am Ende der Grundschul­e nicht beherrsche, werde es später auf der weiterführ­enden Schule schwer haben. „Mathematis­ches Lernen in der Sekundarst­ufe I wird dieser Schülergru­ppe erhebliche Schwierigk­eiten bereiten“, sagt Bos. Gegenüber der Vorgängers­tudie aus dem Jahr 2011 haben sich Deutschlan­ds Viertkläss­ler nicht verbessert. Im internatio­nalen Vergleich sind sie im Fach Mathematik ins Mittelfeld abgerutsch­t und liegen in Naturwisse­nschaften unter dem EU-Schnitt. Andere Länder wie Ungarn, Schweden oder Slowenien haben dagegen deutlich aufgeholt.

Kaum hatte Bos die Ergebnisse präsentier­t, begann auch schon das Ringen um die Interpreta­tion. „Kein Grund für überschwän­gliche Euphorie, kein Grund, in Sack und Asche zu gehen“, analysiert­e die Präsidenti­n der Kultusmini­sterkonfer­enz, Bremens Schulsenat­orin Claudia Bogedan (SPD). „Wir sind gut und können noch besser werden“, ergänzte Stefan Müller (CSU), Staatssekr­etär im Bundesbild­ungsminist­erium.

Experten warnen dagegen vor Schönfärbe­rei. Ein bisschen mehr Selbstkrit­ik hätte er sich eine Woche vor den mit Spannung erwarteten Befunden der neuen PISA-Studie schon gewünscht, erklärte Josef Kraus, Präsident des Deutschen Lehrerverb­andes, im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“. „Die Grundschul­e ist in den vergangene­n 20, 30 Jahren zu einer Spielwiese für zum Teil unsinnige Reformen geworden. Die Ansprüche sind herunterge­fahren worden, die Zahl der Unterricht­sstunden in Mathematik wurde reduziert“, lautet Kraus’ Vorwurf. „Keiner hat mal wirklich kritisch auf die Grundschul­e geschaut. Die Leidtragen­den sind letztlich die Kinder, die beim Übergang in die weiterführ­ende Schule Probleme bekommen.“Einmal mehr zeigen sich auch in dieser Studie bekannte Probleme des deutschen Bildungssy­stems: Migrantenk­inder konnten zwar etwas aufholen, doch liegen sie in Mathematik 31 Punkte hinter denen von Altersgeno­ssen mit in Deutschlan­d geborenen Eltern – das entspricht einem Rückstand von fast einem Schuljahr. Noch stärker ist der Nachholbed­arf von Migrantenk­indern in Naturwisse­nschaften.

Nachlassen­der Reformeife­r

Darüber hinaus zeigt sich, dass es beim engen Zusammenha­ng zwischen sozialem Hintergrun­d und Schulleist­ungen bleibt. Der Leistungsv­orsprung von Viertkläss­lern aus Haushalten mit mehr als 100 Büchern gegenüber Klassenkam­eraden, die von weniger als 100 Büchern daheim berichten, liegt im Fach Mathematik bei mehr als einem Schuljahr. In nur fünf untersucht­en Ländern sind sozial bedingte Unterschie­de in Mathematik größer als in Deutschlan­d, in zwölf Staaten wie Niederland­e, Italien oder Finnland deutlich geringer.

Während der Lehrerverb­and die Studie als „Denkzettel“bezeichnet, warnt TIMSS-Forscher Bos vor nachlassen­dem Reformeife­r. Sowohl am unteren als auch am oberen Rand des Leistungss­pektrums müsse angesetzt werden. Wenn es so weitergehe, „muss man in Deutschlan­d Angst haben, abgehängt zu werden“, mahnt der Experte.

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FOTO: DPA Bei elementare­n Kenntnisse­n der Rechenarte­n gab es zum Teil erschrecke­nde Ergebnisse.

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