Schwäbische Zeitung (Wangen)

ZF lässt Autos um die Ecke gucken

Zulieferer stellt Sicherheit­ssystem X2Safe vor – Radler und Fußgänger im Blick

- Von Martin Hennings

FRIEDRICHS­HAFEN - Bisher war das eine Sache für Magier, Trickferng­läser aus dem Zauberkast­en oder 007: durch Wände oder besser gesagt um die Ecke gucken. Die ZF Friedrichs­hafen AG lehrt diese Kunst nun Autos, Uhren und Handys. X2Safe heißt das digitale Konzept zur Unfallverm­eidung, das der Autozulief­erer am Dienstag in München vorgestell­t hat.

Das Einzige, was bei der Premiere von X2Safe an den extravagan­ten britischen Spitzenage­nten 007 erinnert, ist das Fahrzeug, in das ZF-Ingenieure das System eingebaut haben: ein Tesla S. Ansonsten bleibt der Zulieferer vom Bodensee bei der Präsentati­on vor Journalist­en bodenständ­ig: ein Fahrrad, eine Fußgängeri­n, ein Handy und ein paar Planen, die Häuserwänd­e simulieren, zeigen, was ZF und die ganze Branche in Sachen Unfallverm­eidung und autonomes Fahren ein Stück voranbring­en kann.

Und so funktionie­rt X2Safe: Das System sammelt, analysiert und bewertet Bewegungsd­aten von Autos, Radlern und Fußgängern. Anhand dieser Informatio­nen kann es mögliche Zusammenst­öße vorausbere­chnen, noch bevor sich die künftigen Unfallgegn­er gegenseiti­g sehen. Die Intelligen­z des Systems besteht laut Konzern darin, dass der von ZF entwickelt­e Algorithmu­s das Verhalten aller Verkehrste­ilnehmer in der näheren Umgebung individuel­l analysiere­n kann und dann über eine Reaktion entscheide­t. Hält ein Fußgänger etwa Rotphasen von Ampeln nicht ein oder überquert Straßen an dafür nicht geeigneten Stellen, könne es dieses Verhalten als besonders unsicher bewerten und gehe von einem größeren individuel­len Gefährdung­spotenzial aus.

Nutzer müssen online sein

Damit X2Safe arbeiten kann, muss das System – zum Beispiel über eine einfach herunterzu­ladende App – im Fahrzeug, auf dem Handy oder einer Smartwatch installier­t und mit dem Internet verbunden sein. Torsten Gollewski, Leiter der ZF-Vorentwick­lung, nennt das Produktkon­zept „einen sehr pfiffigen Ansatz“, weil man die „Rechnerlei­stung und damit die Intelligen­z in die Cloud verlegt“habe und so unabhängig von der digitalen Ausstattun­g einzelner Autos sei.

Klingt futuristis­ch, funktionie­rt aber bei der Vorstellun­g vor Journalist­en ohne Ruckeln: Im Tesla blinkt es erst gelb, dann rot, auch akustisch wird der Fahrer vor der Fußgängeri­n gewarnt, die gleich ums Eck biegen wird. Das Handy der Frau warnt ebenfalls vor dem heranbraus­enden Wagen – je nach Einstellun­g der Handy-App durch Piepen, Vibrieren oder über den Kopfhörer.

Je mehr Nutzer X2Safe hat, desto erfolgreic­her kann das cloudbasie­rte System arbeiten. „Schwarmint­elligenz“sei das Prinzip, sagt Malgorzata Wiklinska. In der von ihr geleiteten ZF-Denkfabrik ist die Innovation entstanden. Eine Vernetzung mit möglichen Konkurrenz­systemen sei technisch kein Problem.

Warum ZF mit X2Safe die schwächere­n Verkehrste­ilnehmer ins Visier nimmt, erklärt Wiklinska mit zwei Zahlen: 1,25 Millionen Menschen sterben jährlich auf der Straße, 50 Prozent davon sind Radler, Fußgänger oder Motorradfa­hrer. Natürlich geht es bei X2Safe aber auch ums Geschäft. Lösungen wie diese sind unerlässli­ch, wenn das autonome Fahren Realität wird.

Hinzu kommt, dass X2Safe nicht nur warnen, sondern auch Reaktionen des Autos auslösen kann: Notbremsun­gen oder automatisc­he Ausweichma­növer zum Beispiel. Das System kann schon im Vorfeld eingreifen, ein mögliches Bremsmanöv­er frühzeitig vorbereite­n und so die Reaktionsz­eit im Falle eines Falles erheblich verkürzen. Und weil sich ZF nicht nur aufs cloudbasie­rte Datensamme­ln versteht, sondern vor allem auch aufs Schalten, Lenken und Bremsen passt X2Safe sehr gut in die Strategie des Konzerns, die zum Ziel hat, führender Systemanbi­eter beim vernetzten und autonomen Fahren zu werden.

Bereits im kommenden Jahr soll die X2Safe-App zum Herunterla­den bereitsteh­en. Torsten Gollewski rechnet damit, dass das System binnen 36 Monaten großflächi­g zum Einsatz kommt.

 ?? FOTO: OH ?? Die von ZF entwickelt­e Software X2Safe soll für mehr Verkehrssi­cherheit sorgen und Autofahrer sowie Fußgänger und Radfahrer vor möglichen Kollisione­n frühzeitig warnen.
FOTO: OH Die von ZF entwickelt­e Software X2Safe soll für mehr Verkehrssi­cherheit sorgen und Autofahrer sowie Fußgänger und Radfahrer vor möglichen Kollisione­n frühzeitig warnen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany