Schwäbische Zeitung (Wangen)

„Wir müssen nicht für die Ewigkeit bauen“

Architekt Francis Kéré entwirft für sein Heimatland Burkino Faso Schulen und für Berlin vielleicht ein Theater

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MÜNCHEN - Francis Kéré ist ein Zauberer. Er weiß, wie aus dem Nichts etwas entstehen kann, das hat der 51-jährige Architekt, der an der TU Berlin studiert hat, in seiner afrikanisc­hen Heimat mit Schulen und Krankenhäu­sern bewiesen. Gute Ideen und die Gemeinscha­ft ersetzen dort das Geld. Damit wäre Kéré für Berlin der richtige Mann. Jetzt soll er auf einem Hangar des Flughafens Tempelhof ein mobiles Theater für die Volksbühne entwickeln. Kéré war auch an Christoph Schlingens­iefs Operndorf-Projekt in Burkina Faso beteiligt. Unter dem Titel „Radically Simple“richtet ihm das Architektu­rmuseum in München eine Werkschau aus. Christa Sigg hat sich mit Francis Kéré unterhalte­n.

Herr Kéré, Sie werden in Mannheim und Münster ehemalige USKasernen umbauen, und in Berlin folgt gleich der nächste Coup.

Na, ich bin ja auch ein deutscher Architekt, hier wurde ich ausgebilde­t, mein Büro ist in Berlin – übrigens keine zehn Minuten vom Flughafen entfernt. Und dass nun Chris Dercon, der künftige Intendant, mit mir ein temporäres Theater machen will, ist doch eine wunderbare Sache.

Wo sind die Bauherren schwierige­r zufrieden zu stellen, in Afrika oder Europa?

In Europa. Die Sache ist simpel: In Burkina Faso überlebt eine Lehmwand keine Regenzeit. Wenn Sie es schaffen, dort ein Gebäude zu bauen, das über Jahre unveränder­t steht, machen Sie einen Bauherren sehr, sehr glücklich. Hier ist man verwöhnt, hier man hat alles.

Und entspreche­nd steigen die Ansprüche.

Vielleicht haben die Menschen vergessen, was ihnen alles zur Verfügung steht. Hier gibt es Ressourcen, Zugang zu Informatio­nen, Bildungsch­ancen, Kreativitä­t … für mich ist Deutschlan­d ein Paradies.

Sie haben ein Faible für leichte, bunte Materialie­n. Hier wird grau in grau gebaut, viel weiß, manchmal schwarz. Sind wir zu ernst?

Ich glaube, wir sollten uns endlich klarmachen, dass unsere Lebensdaue­r begrenzt ist. Wir müssen nicht für die Ewigkeit bauen. Die Nachfrage nach Wohnraum steigt, alles ist im Wandel. Wenn jedes Gebäude ewig halten soll, werden wir diesen Aufgaben nicht gerecht.

Auf der anderen Seite wird hier oft teuer gebaut, und nach zehn Jahren muss man schon wieder sanieren.

Es muss schon gut gebaut werden, aber nicht schwerfäll­ig. Man sollte Architektu­r sowieso als etwas Freudvolle­s betrachten. Und dazu gehören auch Farben und eine gewisse Leichtigke­it.

Bestimmt das auch Ihren Umbau der Taylor Barracks in Mannheim, die Sie in ein riesiges Wohn- und Arbeitsare­al umwandeln werden?

Sicher auch, dazu kommt die Nachhaltig­keit, das ist der Kern des Mannheimer Projekts. Wir wollen verdichten und gleichzeit­ig eine lebenswert­e Umgebung mit viel Natur schaffen. Der Wohnraum muss außerdem gut und günstig sein. Das ist überhaupt das Gebot der Stunde, die Nachfrage ist gewaltig. Wir wollen sämtliche Einkommens­schichten zusammen bringen und genauso die Generation­en. Ich sehe zum Beispiel ein Haus vor, wo Senioren auf die Spielwiese einer Kita schauen. Daraus kann sich eine Menge entwickeln. Die Jungen brauchen die Alten und umgekehrt.

Sie waren der Erste im Dorf, der eine Schule besuchen durfte. Dann konnten Sie über ein Stipendium in Deutschlan­d studieren. Lastet da nicht viel Druck auf den Schultern?

Als ich zur Schule ging, haben das viele Leute als Verlust betrachtet. Mein Vater wurde belächelt: „Der Häuptling lässt seinen Erstgebore­nen lesen und schreiben lernen, anstatt ihn auf die Felder zu schicken“. Aber mein Vater hatte sich mehr dabei gedacht. Wenn er Post von der Regierung bekam, musste er oft monatelang warten, bis ein Beamter ins Dorf kam, um den Brief vorzulesen. Der Druck stieg, als ich zum Studieren ging. „Er muss zurückkomm­en, um zu heiraten“, hieß es dauernd. Im Dorf hat ja keiner gesehen, was ich mache. In Burkina ist das Wichtigste, Kinder groß ziehen, das ist die Zukunft. Erst als ich mit den Bauprojekt­en in Gando begann, hat man verstanden, weshalb ich weg war.

Wie kam Ihnen Deutschlan­d Anfang der 1990er-Jahre vor?

Kalt! Sehr kalt! Fürchterli­ch kalt!

Sie meinen aber nicht nur die Temperatur­en?

Nein, die Leute hatten alle keine Zeit. München war ja meine erste Station in Europa, hier habe ich im Carl Duisberg Centrum sechs Monate lang Deutsch gelernt. Damals bin ich immer in die Innenstadt gefahren, wo ein riesiges Thermomete­r an einer Hauswand hing. Ich war völlig begeistert, wie tief die Temperatur­en hier sinken können!

Machen die Menschen bei niedrigen Temperatur­en eher dicht?

Wohl schon, aber die größte menschlich­e Distanz löst sich auf, und dann haben die Leute doch Zeit, und dann sind sie doch warm. In Süddeutsch­land waren sie sogar besonders liebenswür­dig.

Stimmt es, dass die Bewohner Ihres Dorfes enttäuscht waren, als Sie mit ihnen zusammen die erste Grundschul­e aus Lehm bauen wollten?

O ja! Die Menschen meiner Heimat sehnen sich nach Modernität, sie dachten, dass ihr traditione­lles Material nicht lange hält. Deshalb wollten sie eine westliche Schule. Aber ein Bau muss ja zum Land passen und auf lange Sicht finanzierb­ar sein.

Zur Stabilisie­rung setzen Sie aber Stahlträge­r ein.

Genau, wir haben das Alltäglich­e mit neuer Technologi­e weiterentw­ickelt. Jetzt wird der Lehm in Formen gepresst, damit kann man schneller und stabiler bauen. Doch es wäre unsinnig, in Burkina ein Haus zu errichten, das mit Klimaanlag­en gekühlt wird. Das verschling­t Unmengen an Strom. Also habe ich einen Kühlungskr­eislauf entwickelt, der sich selbst trägt.

In Deutschlan­d wurden Sie durch die Arbeit mit Christoph Schlingens­ief bekannt. Welche Erinnerung­en haben Sie an ihn?

Viele! Wahnsinn! Ich erinnere mich an einen umtriebige­n Künstler, der nie aufgehört hat, das Gewohnte infrage zu stellen, auch sich selbst. Christoph war immer auf der Suche, in ihm steckte eine unglaublic­he Energie, die er auch auf andere übertragen hat. Er war ein Visionär.

In Burkina Faso ein Opernhaus zu bauen, haben viele kritisiert.

Und zu Recht.

Also sind Sie erst einmal auf die Bedürfniss­e der Bevölkerun­g eingegange­n und haben eine Schule gebaut. Ein bisschen subversiv war das schon.

Sagen Sie das aber nicht laut. Doch im Ernst, Christoph hat mir einmal gesagt, er teilt gerne und mag sich auch in die Arbeit anderer einbringen. Insofern war das ein Angebot zu einer ganz offenen Kooperatio­n. Dass ein Opernhaus im europäisch­en Sinne nicht akzeptiert würde, war völlig klar. Wir hatten in Burkina niemals das Geld für so etwas. Für Christoph war aber der Prozess, das gemeinsame Entwickeln ganz entscheide­nd. Er sah in meiner Arbeit eine soziale Plastik, weil alle eingebunde­n waren, und das fand er gut.

Gehen Sie eigentlich in die Oper?

Aber ja, Oper ist etwas Wunderbare­s! Und wenn Sie mit einem Künstler wie Christoph gearbeitet haben, verstehen Sie auch den Sinn dieser Einrichtun­g. Ich liebe die schönen Künste, meine Kultur schätze ich aber genauso. Ich mag die Gegensätze, sie helfen mir, meine Position in der Mitte zu stärken.

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FOTO: DANIEL SCHWARTZ/GRAN HORIZONTE MEDIA Mit dem Entwurf für die Gando-Schule in Burkina Faso beendete Francis Kéré sein Studium an der Technische­n Universitä­t in Berlin. 2016 wurde der Erweiterun­gsbau eröffnet.
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FOTO: DPA Architekt Francis Kéré hat sein Büro in Berlin.

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