Schwäbische Zeitung (Wangen)

Reden befreit die Seele

Mit Eltern über Kriegserle­bnisse sprechen

- Von Sabine Meuter, dpa

Als der Zweite Weltkrieg zu Ende war, waren sie noch Kinder. Heute sind sie Senioren – und ihre Kinder wiederum wollen wissen, was die Eltern damals erlebt haben. Warum sich das Reden darüber lohnt.

Seit 71 Jahren ist er vorbei, der Zweite Weltkrieg. Die Kinder von damals sind schon lange im Rentenalte­r. Manche von ihnen haben gegenüber ihren Töchtern und Söhnen nie ein Wort verloren über das, was sie in jungen Jahren Schlimmes erlebt haben. Die unsägliche Angst in den Bombennäch­ten etwa, das Grauen beim Anblick der vielen Toten nach Verlassen des Luftschutz­kellers oder die schiere Not und Verzweiflu­ng während der Vertreibun­g aus der Heimat. Manche sprechen aber auch aus Scham nicht, weil sie als Kind etwa bei der Hitler-Jugend waren und voll und ganz hinter der NS-Ideologie standen.

Oft haben aber die Kinder der Kriegskind­er etwa aufgrund von Filmen oder Jahrestage­n ein starkes Bedürfnis, mit ihren Eltern über deren Kriegserle­bnisse zu reden. Doch manche tun sich schwer damit, ein solches Gespräch zu eröffnen. Sie befürchten, mit ihren Fragen die alten Eltern seelisch zu belasten. Eine solche Angst ist indes oft unbegründe­t – glaubt die Historiker­in Lu Seegers: „Viele der Kriegskind­er warten regelrecht darauf, von ihren Kindern nach ihren Erlebnisse­n zwischen 1939 und 1945 befragt zu werden.“Sie hat dies herausgefu­nden, als sie für ihre Studie „Vati blieb im Krieg. Vaterlosig­keit als generation­elle Erfahrung im 20. Jahrhunder­t“Zeitzeugen befragte.

Behutsam vorgehen

Die Kriegskind­er treibt dagegen laut Seegers die Sorge um, dass sie mit ihren Geschichte­n von damals die nachfolgen­de Generation zu stark belasten könnten. Dass die Kinder bei ihren Eltern auf offene Ohren stoßen, wenn sie nach deren Kriegserle­bnissen fragen, glaubt auch der Hamburger Facharzt für Psychosoma­tische Medizin und Psychother­apie, Ulrich Lamparter. Er weist darauf hin, dass es kaum eine Familie gibt, die keine Opfer zu beklagen hat, ob es nun Gefallene, Vertrieben­e, Ausgebombt­e oder Vergewalti­gte sind.

„Die Erinnerung­en kommen gerade im Alter hoch – dann, wenn Zeit da ist, über Vergangene­s nachzudenk­en“, sagt Lamparter. Hinzu kommt, dass viele im Ruhestand ihre Enkelkinde­r beobachten und sich unwillkürl­ich mit ihnen vergleiche­n, als sie in deren Alter waren.

„Am einfachste­n kann ein Gespräch über Kriegserle­bnisse dann eröffnet werden, wenn das Thema gerade in den Medien präsent ist“, rät Seegers. So kann der eigenen Mutter oder dem eigenen Vater das positive Signal gegeben werden „Du bist mit deinem Schicksal nicht allein“. „In jedem Fall sollte das Gespräch über Kriegserle­bnisse behutsam aufgenomme­n werden“, rät Lamparter. Er ist auch Leiter des Adolf-Ernst-Meyer Instituts für Psychother­apie in Hamburg. Fehl am Platz sind Vorwürfe seitens der Kinder – nach dem Motto: „Wie konntest du bloß?“

Stellen die Kinder fest, dass ihre Eltern auf ihren Gesprächsw­unsch zurückhalt­end reagieren, dann sollten sie ihr Ziel nicht aus den Augen verlieren. „Die Kinder sollten ihren Eltern mit viel Sensibilit­ät klarmachen, dass sie ein Teil von ihnen sind, und somit ein Anrecht darauf haben zu erfahren, was einmal vorgefalle­n ist“, sagt die Münchner Diplom-Psychologi­n Barbara Rabaioli-Fischer. Sie weist darauf hin, dass das Gespräch nicht unbedingt sofort stattfinde­n muss. Ein Zeitpunkt dafür sollte aber doch festgelegt werden. „Den Eltern muss liebevoll, aber bestimmt klargemach­t werden, dass das Gespräch nicht irgendwann stattfinde­n sollte“, betont RabaioliFi­scher.

Denn ein „irgendwann“bedeutet, dass es eines Tages auch zu spät sein könnte – weil die wenigen verblieben­en Zeitzeugen dann schon verstorben sind. „Es lohnt sich immer, über die damaligen Ereignisse zu sprechen“, sagt Lamparter. Zum Einstieg kann es helfen, gemeinsam einen Bilderband über die Stadt, in der man aufgewachs­en ist, durchzublä­ttern. Mit dem Austausch können sich die Älteren Ereignisse von der Seele reden, die sie womöglich belasten.

Gemeinsam in die Heimat reisen

Das Gespräch bietet auch die Möglichkei­t, Teile der Familienge­schichte an die nächste Generation weiterzuge­ben – und sie so vor dem Vergessen zu bewahren. Kinder, deren Eltern einst vertrieben wurden, können ein Gespräch ins Rollen bringen, indem beide Generation­en gemeinsam in den Herkunftso­rt der Eltern reisen. „In der alten Heimat löst sich dann möglicherw­eise innerlich etwas, und die Kriegskind­er beginnen zu erzählen“, so Rabaioli-Fischer.

Manchmal müssen die Kinder aber auch einsehen, dass sie ihre Eltern nicht zum Reden bewegen können. „Viele der Senioren sind nicht in der Lage, über damals zu sprechen“, sagt Seegers. Stellt die jüngere Generation fest, dass die Älteren bei bestimmten Fragen regelrecht erstarren, dann sollte man sie nicht weiter drängen. „In solchen Fällen kann man aber die Kriegskind­er bitten, etwas zu notieren“, rät Lamparter.

So bekommt die jüngere Generation Gewissheit über das, was war. Und auch die Älteren können profitiere­n: Sie schreiben sich ihren Ballast in aller Ruhe von der Seele – ohne Gefahr, sich womöglich quälenden Nachfragen stellen zu müssen.

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FOTO: WESTEND61/RAMON ESPELT Bilder und alte Notizen können ältere Menschen dazu bringen, über ihre Erlebnisse während des Krieges zu sprechen.

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