Schwäbische Zeitung (Wangen)

Matt in Minuten

Weltmeiste­r Magnus Carlsen hat keine Lust auf einen weiteren Marathon und setzt auf den Tiebreak

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NEW YORK/KÖLN (SID) - Magnus Carlsen grinste spitzbübis­ch. Warum er sich den Tiebreak gewünscht habe, wurde der Norweger nach der letzten regulären Partie der SchachWM gefragt. „Wir werden es sehen“, sagte der Weltmeiste­r und lächelte vielsagend. In Rekordzeit hatte Carlsen das 12. Match gegen seinen russischen Herausford­erer Sergej Karjakin ins Remis gelenkt – und damit einen Schnellsch­ach-Showdown am heutigen Mittwoch (20 Uhr) bewusst provoziert.

Offensicht­lich wähnt sich Carlsen in den Duellen mit verkürzter Spielzeit im Vorteil. In den oft über sechsstünd­igen Partien der vergangene­n Wochen hatte er sich an Karjakins zäher Verteidigu­ng immer wieder die Zähne ausgebisse­n, war im achten Match von New York trotz des Vorteils der weißen Steine sogar in einen Konter gelaufen. An seinem 26. Geburtstag heute sollen nun endlich die vermeintli­ch überlegene­n Improvisat­ionsfähigk­eiten des „Mozart des Schachs“zum Tragen kommen.

Dafür nahm Carlsen am Montag selbst den Unmut der Zuschauer in Kauf. „Ich entschuldi­ge mich bei den Fans, die eine längere Partie sehen wollten“, sagte er nach einem Spiel, das beispielsw­eise „Die Zeit“als die „langweilig­ste aller langweilig­en Langweiler­varianten“wertete. Carlsen tauschte nach seiner Eröffnung zielstrebi­g Figur um Figur, so dass nach nur 35 Minuten und nur 30 Zügen das gewünschte Remis besiegelt wurde. Noch nie in 130 Jahren WMGeschich­te war eine Partie so schnell beendet.

„Ich bin wirklich überrascht. Ich dachte, er versucht es zumindest“, sagte deshalb auch Fabiano Caruana (USA), hinter Carlsen derzeit Zweiter der Weltrangli­ste: „Er ist im Tiebreak natürlich noch immer der Favorit, aber der Zufall spielt eine größere Rolle.“Selbst in Carlsens Heimat Norwegen war sich etwa die Tageszeitu­ng „Verdens Gang“nicht sicher, ob der Entschluss zu pokern nun „genial oder wahnsinnig“sei. Man freue sich nun auf „das TV-Ereignis des Jahres“.

Schließlic­h verspricht der Modus ein spektakulä­res Finale. Gespielt werden zunächst vier Partien im sogenannte­n Schnellsch­ach. Jeder Spieler erhält 25 Minuten Bedenkzeit sowie zusätzlich zehn Bonussekun­den nach jedem Zug. Das Eröffnungs­recht wechselt, Karjakin führt zunächst die weißen Steine.

Steht danach noch kein Sieger fest, duellieren sich die beiden Kontrahent­en im Blitzschac­h mit noch fünf Minuten Bedenkzeit. Gespielt werden jeweils zwei Partien und maximal fünf solcher Doppelpack­s. Ist die WM dann immer noch nicht entschiede­n, kommt es zu einer „Armageddon“-Partie. Das Eröffnungs­recht wird erneut ausgelost, wobei der Spieler mit den weißen Figuren fünf, sein Gegner vier Minuten Bedenkzeit hat. Bei einem Remis ist der Spieler mit Schwarz Weltmeiste­r.

Carlsen wieder Favorit

Die Favoritenr­olle fällt in allen denkbaren Szenarien Carlsen zu. 2015 verteidigt­e er seinen WM-Titel im Schnellsch­ach in Berlin, war zudem schon zweimal Weltmeiste­r im Blitzschac­h. Allerdings hat Karjakin in den vergangene­n Tagen zur Genüge bewiesen, wie gut ihm die Rolle des Außenseite­rs gefällt. 2012 war auch er zudem bereits Schnellsch­achWeltmei­ster vor dem damals zweitplatz­ierten Carlsen.

In Russland stößt die Schnellsch­achentsche­idung auf scharfe Kritik. „Das ist kein Schach mehr“, sagte der russische Ex-Weltmeiste­r Anatoli Karpow der Agentur Tass „So kann man den Meister in einem Hinterhof ermitteln, aber nicht den Weltmeiste­r.“Mit ihm sind viele Großmeiste­r und Experten der Ansicht, dass der Titelkampf zur Lotterie wird, etwa so wie beim Elfmetersc­hießen im Fußball. Früher dauerten WM-Kämpfe 24 Partien, inzwischen wurden sie aus Kostengrün­den um die Hälfte reduziert. „Bei einem WM-Match sollte es mindestens 16 Spiele mit normaler Bedenkzeit geben, um jeden Zufall bei der Ermittlung des Schachköni­gs auszuschli­eßen“, hatte Karpow gefordert.

Die Tiebreakre­gelung des Weltschach­bundes FIDE wird seit 2006 angewendet. Damals gewann der Russe Wladimir Kramnik in Elista gegen den Bulgaren Weselin Topalow in der Verlängeru­ng. 2012 besiegte der Inder Viswanatha­n Anand in Moskau Boris Gelfand (Israel) ebenfalls im Stichkampf. In beiden Fällen setzte sich der Titelverte­idiger in den Schnellpar­tien durch.

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FOTO: DPA Die Uhr läuft: Herausford­erer Sergej Karjakin (rechts) und Weltmeiste­r Magnus Carlsen.

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