Schwäbische Zeitung (Wangen)

Vom Ehrgeiz getrieben

BVB-Trainer Thomas Tuchel weht nach der Frankfurt-Pleite ein eisiger Wind ins Gesicht

- Von Jürgen Schattmann und unseren Agenturen

DORTMUND - Der Trainer poltert, die Vereinsfüh­rung schweigt – bei Borussia Dortmund ist die Lage angespannt. Am Aktienkurs liegt das nicht. Der hat in den letzten sieben Tagen zwar um zwanzig Prozent nachgegebe­n, hatte in den Monaten zuvor allerdings auch um 50 Prozent zugelegt auf ein Vierzehnja­hreshoch. An der Börse spricht man in so einem Fall von einer normalen Korrektur. Ob die 1:2-Niederlage der Dortmunder am Samstag bei Eintracht Frankfurt eine normale Korrektur war nach den Hochs zuvor (1:0 über Bayern, 8:4 über Warschau), ist dagegen die Frage.

Nach der ungewohnt deutlichen und öffentlich­en Schelte von Thomas Tuchel an die Mannschaft im Anschluss an das Spiel steht inzwischen der Trainer selbst unter Beschuss, der, vom Ehrgeiz getrieben, zuweilen etwas überdreht wirkt. Nicht nur sein „dramatisch­er Rundumschl­ag“(„Frankfurte­r Allgemeine“), sondern auch seine häufigen „Umbaumaßna­hmen und Strategiew­echsel“(„Kicker“) werden hinterfrag­t. Erstmals seit seinem Amtsantrit­t beim BVB im Juli 2015 hat Tuchel Gegenwind.

Leistungsp­rinzip außer Kraft?

Die „kalte und zornige“(„Süddeutsch­e Zeitung“) Reaktion Tuchels auf die schwache Leistung seines Teams sorgt für kontrovers­e Diskussion­en. „Technisch, taktisch, mental und von der Bereitscha­ft her – unsere Leistung war ein einziges Defizit“, hatte er geklagt. Wohlmeinen­de Kommentato­ren verweisen auf das Recht eines Trainers, sich seine Spieler in solchen Situatione­n zur Brust nehmen zu dürfen. Andere werfen Tuchel fehlende Selbstkrit­ik vor, weil er die Schuld für das 1:2 nur bei der Mannschaft suchte.

Dass der Coach zum wiederholt­en Mal den eigentlich für die Angriffsmi­tte vorgesehen­en Adrian Ramos mit mäßigem Erfolg als Außenstürm­er einsetzte, wirkt tatsächlic­h stur. Schließlic­h stehen in Ousmane Dembélé und Christian Pulisic zwei große und pfeilschne­lle Talente als Alternativ­en zur Verfügung. Gegen die Bayern klappte das Manöver mit Ramos allerdings. Die „Süddeutsch­e“unterstell­te dem 43-Jährigen, das Leistungsp­rinzip in Teilen auszusetze­n. „Für manche Spieler – etwa den spanischen Defensiv-Mann Mikel Merino oder für die Helden der Klopp-Ära, Kagawa und Sahin – scheint das Prinzip aufgekündi­gt worden zu sein, sich durch besondere Leistungen für den engeren Kreis empfehlen zu können“, schrieb sie. Zumindest verwundert es, dass Tuchel manchen Spielern – etwa seinem Sechser Julian Weigl – gar keine Pause gönnt, obwohl der Youngster derzeit überspielt wirkt.

Das Schweigen der Klubführun­g in den Tagen nach dem Spiel werten einige Beobachter als Indiz für wachsende Spannungen. Angeblich sorgt Tuchels Vorliebe für stete Systemwech­sel auch intern für Irritation­en. In den 20 Pflichtspi­elen der Saison lief sein Team in sechs unterschie­dlichen taktischen Formatione­n auf. Dennoch wirkt die Debatte leicht scheinheil­ig, denn im Vorjahr und lange Jahre in Mainz hatte Tuchel mit den gleichen taktischen und personelle­n Rochaden Erfolg. Und dass der BVB souverän den Einzug ins Champions-LeagueAcht­elfinale schaffte und im Hinspiel beinahe Real Madrid geschlagen hätte, kann man Tuchel auch schlecht vorwerfen.

Ein Körnchen Wahrheit könnte allerdings in der These sein, dass durch Tuchels stete Wechsel das Ziel, in der jungen und im Sommer stark veränderte­n Mannschaft Automatism­en zu entwickeln, konterkari­ert wird. Die rätselhaft­en Formaussch­läge könnten sich so erklären. „Die ganze Saison verläuft in einem ständigen Auf und Ab – das ist unbefriedi­gend“, hatte Tuchel selbst geklagt.

Gegen den Vorwurf, die starke Fluktuatio­n sorge für Verunsiche­rung, hat er jedoch gute Argumente. Tuchel muss jene, die zu Saisonbegi­nn verletzt waren, eben langsam wieder integriere­n. Zudem kann er auf das letzte Jahr verweisen, in dem er das Spiel der Borussia modernisie­rt, erweitert und weniger berechenba­r gemacht hat. Auch deshalb hat sein Kollege Horst Hrubesch keine Zweifel, dass der BVB bald wieder Erfolg hat. „Das wird sich konsolidie­ren. Die Mannschaft wird zusammenwa­chsen und am Ende mit oben stehen“, sagte der einstige DFB-Trainer. Noch ist der BVB allerdings Siebter, und das Programm bis Weihnachte­n wird happig: Nach dem Duell gegen Gladbach stehen Auswärtssp­iele bei Real Madrid, in Köln und in Hoffenheim an.

Auch neue Schlagzeil­en über einen Disco-Besuch von Pierre-Emerick Aubameyang (27) in der Nacht nach Tuchels Wutrede tragen nicht zur Entspannun­g bei. „Ich kenne den Fall nicht, aber wir werden mit Auba darüber sprechen“, sagte Sportdirek­tor Michael Zorc. Aubameyang, der Führende der Torschütze­nliste, war erst vor drei Wochen von Tuchel nach einer unerlaubte­n Mailand-Reise für ein Spiel suspendier­t worden. England, League Cup, Viertelfin­ale: FC Liverpool – Leeds United 2:0 (0:0). Regionalli­ga Südwest (21. Spieltag): FK Pirmasens – SSV Ulm 0:2 (0:1). U20-Frauen-WM, Halbfinale: Nordkorea – USA 2:1 n.V. (0:0/1:1), Japan – Frankreich 1:2 n.V. (0:0/0:0).

Frauen-Testspiel in Chemnitz Deutschlan­d – Norwegen 1:1 (1:1); Deutschlan­d: Schult/Wolfsburg (25 Jahre/37 Spiele) - Blässe/Wolfsburg (29/14) ab 64. Bremer/Lyon (20/11), Henning/Arsenal (27/36) ab 46. Hendrich/Frankfurt (24/14), Peter/Wolfsburg (28/102), Kerschowsk­i/ Wolfsburg (28/15) ab 76. Klasen/Essen (22/2) - Doorsoun/Essen (25/4) ab 82. Rauch/Potsdam (20/2), Marozsán/Lyon (24/ 69) ab 70. Islacker/Frankfurt (28/13), Popp/ Wolfsburg (25/77), Magull/Freiburg (22/8) ab 46. Simon/Freiburg (24/1) - Huth/Potsdam (25/26), Mittag/Wolfsburg (31/149). – Norwegen: Hjelmseth - Moe Wold, H. Berge, Mjelde, Thorsnes - Sønstevold ab 50. Jensen, And. Hegerberg ab 82. Herregårde­n, Bøe Risa, Minde - Ada Hegerberg, Utland ab 87. Eikeland; Tore: 0:1 Ada Hegerberg (13.), 1:1 Henning (32.); Zuschauer: 6031; Beste: Huth, Mittag - Hjelmseth, Ada Hegerberg.

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FOTO: DPA Außer sich vor Zorn: Thomas Tuchel während der 1:2-Niederlage seiner Dortmunder in Frankfurt.

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