Winterpaket für EU-Energiemarkt
Auf 1000 Seiten hat die EU-Kommission ihre Pläne für den Strommarkt vorgestellt
BRÜSSEL - Winterpaket nennt die EU-Kommission ihr Megaprojekt zur Reform des europäischen Energiemarkts. Das klingt nach Glitzerschnee und Weihnachtsbaum – und der zuständige EU-Kommissar Maros Sefcovic trieb die Parallele gestern noch weiter, als er sagte, man mache damit den EU-Abgeordneten ein Geschenk, mit dem sich zahlreiche Ausschüsse noch sehr lange beschäftigen könnten.
Nicht weniger als acht neue Gesetze sollen dafür sorgen, dass die Treibhausgase in der EU weiter sinken, Energie bezahlbar und die Versorgung gesichert bleibt. Das Kollegium verständigte sich dabei auf drei Kernziele: Die Verbesserung der Energieeffizienz, eine Führungsrolle der EU beim Ausbau der erneuerbaren Energien und eine faire Behandlung der Verbraucher.
Von der Industrie bekamm die EU-Kommission Beifall: „Die Vorschläge sind ein überfälliges Zeichen gegen nationale energiepolitische Alleingänge“, sagte Holger Lösch, Mitglied der Hauptgeschäftsführung des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) in Brüssel. Fast alle Umweltorganisationen kritisierten die Pläne dagegen als zu wenig ambitioniert.
Höheres Energieeinsparziel
Ein effizienterer, das heißt sparsamerer Umgang mit Energie sei der „günstigste Treibstoff“, über den die EU verfüge, sagte Sefcovic nach der Entscheidung in Brüssel. Die Kommission schlage deswegen vor, die Energieeffizienz bis 2030 um 30 Prozent (gegenüber 2005) zu verbessern. Bislang wollte man sich mit 27 Prozent zufrieden geben. Den größten Nachholbedarf sieht die Kommission in der Wärmedämmung von Gebäuden.
Die Kommission will an dem von den EU-Regierungschefs vorgegebenen Ziel festhalten, 27 Prozent des Energieverbrauchs bis 2030 aus erneuerbaren Quellen zu erzeugen. Die Betreiber von Windrädern und Solaranlagen dürfen zwar weiter gefördert werden, sollen jedoch weniger Subventionen erhalten. Zwischen 2009 und 2015 sei Strom aus Sonnenenergie um 80 Prozent und Windstrom um 30 bis 40 Prozent billiger geworden, lautet die Begründung. „Die erneuerbaren Energien sind ausgereift genug, um sich dem Wettbewerb zu stellen“, so Sefcovic. „Die gegenwärtige Situation ist nicht nachhaltig. Auf die Dauer brauchen wir wettbewerbsfähige Preise für unsere Industrie und bezahlbare Energie für die Verbraucher.“BDI-Mann Lösch zufolge verspreche allein die Harmonisierung des Ausbaus erneuerbarer Energien jährliche Effizienzgewinne von bis zu 16 Milliarden Euro.
Der Übergang in den freien Markt soll durch eine Reihe von Maßnahmen unterstützt werden. Der Vorschlag der Kommission sieht vor, dass der bestehende Vorrang bei der Einspeisung in das Netz entfällt. Weil die Erneuerbaren jedoch billiger sind als Strom aus fossilen Kraftwerken, erwartet man in Brüssel davon keine Nachteile für die Betreiber. Bei einer Überlastung des Netzes sollen diese Anlagen grundsätzlich zuletzt abgeschaltet werden, es sei denn, in anderen Kraftwerken fallen „exzessiv hohe Kosten“an. Subventionen für größere Anlagen müssen ausgeschrieben werden, um „sicherzustellen, dass Beihilfen so kosteneffektiv wie möglich eingesetzt werden und ihre den Wettbewerb verzerrende Wirkung auf ein Minimum begrenzt wird“, fordert die Kommission. An solchen Ausschreibungen dürfen sich auch die Anlagenbetreiber der Nachbarländer beteiligen.
Kleinere Anlagen erhalten auch in Zukunft eine feste Einspeisevergütung. Allerdings dürfen die Mitgliedsstaaten solche Preisgarantien nur so lange geben, wie die Kleinanlagen weniger als 15 Prozent der Erneuerbaren ausmachen. Die Rechte von Verbrauchern, die ihren eigenen Strom erzeugen, will die Kommission stärken. Sie dürfen sich in Zukunft auch in Energie-Gemeinschaften organisieren und gemeinsam Strom erzeugen, speichern und verkaufen. Wenn sie Energie nachweislich effizienter erzeugen, können sie aus bestehenden Fernwärmesystemen aussteigen.
Verbraucher entlasten
Die Verbraucher sollen in Zukunft eine aktivere Rolle spielen und in der Lage sein, ihren Verbrauch an ein schwankendes Angebot anzupassen. Versorgungsunternehmen werden deswegen verpflichtet, auf der Stromrechnung bestimmte Informationen auszuweisen. Sie müssen ihren Kunden sogenannte Smart Meter und dynamische Verträge anbieten. Damit könnten die Verbraucher auch kurzfristig auf höhere Preise reagieren indem sie weniger Strom aus dem Netz beziehen oder selbst erzeugten Strom einspeisen, wenn die Nachfrage groß und die Preise hoch sind.
Die Mitgliedsstaaten dürfen außerdem nicht mehr so hohe Steuern und Abgaben auf die Strompreise erheben. Obwohl Strom an den Börsen immer billiger geworden sei, sagte Sefcovic, müssten die Verbraucher immer mehr für ihren Strom bezahlen. Seit 2008 sind die Preise im Durchschnitt der EU um drei Prozent pro Jahr gestiegen. Ein Problem sei das vor allem für sozial schwache Haushalte, die bis zu 22 Prozent ihres Einkommens für Energie ausgeben müssten.