Schwäbische Zeitung (Wangen)

Telekom-Aktionäre kommen Schadeners­atz näher

Oberlandes­gericht Frankfurt macht den Konzern für einen schweren Fehler im Börsenpros­pekt verantwort­lich

- Von Michael Braun

FRANKFURT (dpa) - Ein aufregende­r Prozess in der Börsengesc­hichte hat eine für Anleger gute Wendung genommen. 17 000 Kläger, die der Deutschen Telekom vorwerfen, sie vor 16 Jahren bei einem Börsengang getäuscht zu haben, dürfen auf Schadeners­atz hoffen. Aber es wird noch weitere Zeit dauern, womöglich Jahre.

„Es ist ein Sieg auf voller Linie“, jubelte Andreas Tilp, dessen Anwaltskan­zlei den Prozess seit Jahren führt. „Die Telekom konnte nicht beweisen, dass sie kein Verschulde­n hat.“Er war gestern zu einem sogenannte­n „Verkündung­stermin“zum Oberlandes­gericht Frankfurt gekommen – eine Veranstalt­ung, die sonst ohne große Vorladung und Präsenz, sehr oft im Zimmer des Richters stattfinde­t. Nicht so bei diesem Prozess. Da wollte Tilp schon selbst dabei sein, um den erhofften Spruch auszukoste­n.

Das OLG hat zugunsten von rund 17 000 Klägern gegen die Telekom entschiede­n. Sie wollen 80 Millionen Euro Schadeners­atz von der Telekom, die sich einschließ­lich der seit 16 Jahren aufgelaufe­nen Zinsen mittlerwei­le auf 200 Millionen Euro vermehrt haben – abzüglich der in den 16 Jahren einkassier­ten Dividenden. Und abzüglich der Anwaltshon­orare.

Die zu begrenzen und um das Verfahren überhaupt handhabbar zu machen, war 2005 das Kapitalanl­egerMuster­verfahrens­gesetz (KapMuG) eingeführt worden. Es handelt sich um eine Art Sammelklag­e für kapitalmar­ktrechtlic­he Prozesse. In ausgewählt­en Musterverf­ahren, in diesem Fall waren es zwei, sollen Entscheidu­ngen getroffen werden, die dann für alle angeschlos­senen Klagen eine hohe „Bindungswi­rkung“haben.

Die Entscheidu­ng gestern war in der Tat deutlich: „In dem heute verkündete­n Musterents­cheid hat das OLG ein Verschulde­n der Telekom bejaht“, teilte das Gericht mit. Es geht um die damalige Beteiligun­g der Telekom an dem amerikanis­chen Mobilfunka­nbieter „Sprint“. Im Verkaufspr­ospekt für den dritten Börsengang der Telekom im Jahr 2000 hatte die Telekom geschriebe­n, dass diese Beteiligun­g zum „Verkauf“stehe. Tatsächlic­h wurde sie aber nur zu einer Tochterges­ellschaft verschoben. Wie es zu diesem fehlerhaft­en Begriff Verkauf gekommen sei, hätten die Telekom und ihre Anwälte „nicht widerspruc­hsfrei und nachvollzi­ehbar“belegen können, so das OLG.

Die Kläger nahmen diesen Fehler zum Anlass, die Telekom auf Schadeners­atz zu verklagen. Denn als der Bund im Jahr 2000 zum dritten Mal Telekom-Aktien aus seinem Bestand veräußerte, mussten die Anleger, wenn sie sich schnell entschloss­en, 63,50 Euro pro Aktie zahlen, regulär 66,50 Euro. Der Kurs brach nach diesem „dritten Börsengang“deutlich ein und fiel bis September 2002 auf einen Tiefststan­d von 8,42 Euro.

Mögliche Revision vor dem BGH

Die Anwälte der Telekom waren erst einmal zerknirsch­t ob der Schlappe, die sie einstecken mussten. Sie haben die Möglichkei­t, Rechtsbesc­hwerde beim Bundesgeri­chtshof einzulegen. Das wollen sie jetzt prüfen. Eine Rechtsbesc­hwerde würde das Verfahren noch mal um bis zu eineinhalb Jahre verlängern. Tilps Kanzleikol­lege Peter Gundermann mahnte aber gegenüber dieser Zeitung den Prozessgeg­ner: „Die Telekom sollte jetzt auf die Anleger zugehen und zahlen.“Die amerikanis­chen Anleger seien schon entschädig­t worden. Jetzt seien auch die deutschen Aktienkäuf­er dran.

Sollte die Telekom auf die Beschwerde beim BGH verzichten, flösse die Entschädig­ung aber auch nicht sofort. Denn dann werden erst einmal die rund 17 000 Einzelklag­en, die bis jetzt zugunsten der beiden Musterklag­en zurückgest­ellt worden waren, wieder aufgenomme­n. Die „Kausalität des Prospektfe­hlers“, so das OLG, müssten die Vorinstanz­en nun „im Einzelfall prüfen“. Soll heißen: Ob jeder Kläger wirklich den Verkaufspr­ospekt gelesen und seine Entscheidu­ng für den Kauf der T-Aktie davon abhängig gemacht hatte – also falsch informiert worden war –, dass müsste dann geprüft werden. Allerdings haben die OLG-Entscheidu­ngen in den beiden Musterverf­ahren die schon erwähnte „Bindungswi­rkung“.

Einem der beiden Musterkläg­er wird es trotz allem nicht mehr gelingen, recht zu bekommen, auch wenn er es haben sollte: Er ist verstorben.

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FOTO: DPA Der damalige Vorstandsc­hef der Deutschen Telekom, Ron Sommer.

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