Telekom-Aktionäre kommen Schadenersatz näher
Oberlandesgericht Frankfurt macht den Konzern für einen schweren Fehler im Börsenprospekt verantwortlich
FRANKFURT (dpa) - Ein aufregender Prozess in der Börsengeschichte hat eine für Anleger gute Wendung genommen. 17 000 Kläger, die der Deutschen Telekom vorwerfen, sie vor 16 Jahren bei einem Börsengang getäuscht zu haben, dürfen auf Schadenersatz hoffen. Aber es wird noch weitere Zeit dauern, womöglich Jahre.
„Es ist ein Sieg auf voller Linie“, jubelte Andreas Tilp, dessen Anwaltskanzlei den Prozess seit Jahren führt. „Die Telekom konnte nicht beweisen, dass sie kein Verschulden hat.“Er war gestern zu einem sogenannten „Verkündungstermin“zum Oberlandesgericht Frankfurt gekommen – eine Veranstaltung, die sonst ohne große Vorladung und Präsenz, sehr oft im Zimmer des Richters stattfindet. Nicht so bei diesem Prozess. Da wollte Tilp schon selbst dabei sein, um den erhofften Spruch auszukosten.
Das OLG hat zugunsten von rund 17 000 Klägern gegen die Telekom entschieden. Sie wollen 80 Millionen Euro Schadenersatz von der Telekom, die sich einschließlich der seit 16 Jahren aufgelaufenen Zinsen mittlerweile auf 200 Millionen Euro vermehrt haben – abzüglich der in den 16 Jahren einkassierten Dividenden. Und abzüglich der Anwaltshonorare.
Die zu begrenzen und um das Verfahren überhaupt handhabbar zu machen, war 2005 das KapitalanlegerMusterverfahrensgesetz (KapMuG) eingeführt worden. Es handelt sich um eine Art Sammelklage für kapitalmarktrechtliche Prozesse. In ausgewählten Musterverfahren, in diesem Fall waren es zwei, sollen Entscheidungen getroffen werden, die dann für alle angeschlossenen Klagen eine hohe „Bindungswirkung“haben.
Die Entscheidung gestern war in der Tat deutlich: „In dem heute verkündeten Musterentscheid hat das OLG ein Verschulden der Telekom bejaht“, teilte das Gericht mit. Es geht um die damalige Beteiligung der Telekom an dem amerikanischen Mobilfunkanbieter „Sprint“. Im Verkaufsprospekt für den dritten Börsengang der Telekom im Jahr 2000 hatte die Telekom geschrieben, dass diese Beteiligung zum „Verkauf“stehe. Tatsächlich wurde sie aber nur zu einer Tochtergesellschaft verschoben. Wie es zu diesem fehlerhaften Begriff Verkauf gekommen sei, hätten die Telekom und ihre Anwälte „nicht widerspruchsfrei und nachvollziehbar“belegen können, so das OLG.
Die Kläger nahmen diesen Fehler zum Anlass, die Telekom auf Schadenersatz zu verklagen. Denn als der Bund im Jahr 2000 zum dritten Mal Telekom-Aktien aus seinem Bestand veräußerte, mussten die Anleger, wenn sie sich schnell entschlossen, 63,50 Euro pro Aktie zahlen, regulär 66,50 Euro. Der Kurs brach nach diesem „dritten Börsengang“deutlich ein und fiel bis September 2002 auf einen Tiefststand von 8,42 Euro.
Mögliche Revision vor dem BGH
Die Anwälte der Telekom waren erst einmal zerknirscht ob der Schlappe, die sie einstecken mussten. Sie haben die Möglichkeit, Rechtsbeschwerde beim Bundesgerichtshof einzulegen. Das wollen sie jetzt prüfen. Eine Rechtsbeschwerde würde das Verfahren noch mal um bis zu eineinhalb Jahre verlängern. Tilps Kanzleikollege Peter Gundermann mahnte aber gegenüber dieser Zeitung den Prozessgegner: „Die Telekom sollte jetzt auf die Anleger zugehen und zahlen.“Die amerikanischen Anleger seien schon entschädigt worden. Jetzt seien auch die deutschen Aktienkäufer dran.
Sollte die Telekom auf die Beschwerde beim BGH verzichten, flösse die Entschädigung aber auch nicht sofort. Denn dann werden erst einmal die rund 17 000 Einzelklagen, die bis jetzt zugunsten der beiden Musterklagen zurückgestellt worden waren, wieder aufgenommen. Die „Kausalität des Prospektfehlers“, so das OLG, müssten die Vorinstanzen nun „im Einzelfall prüfen“. Soll heißen: Ob jeder Kläger wirklich den Verkaufsprospekt gelesen und seine Entscheidung für den Kauf der T-Aktie davon abhängig gemacht hatte – also falsch informiert worden war –, dass müsste dann geprüft werden. Allerdings haben die OLG-Entscheidungen in den beiden Musterverfahren die schon erwähnte „Bindungswirkung“.
Einem der beiden Musterkläger wird es trotz allem nicht mehr gelingen, recht zu bekommen, auch wenn er es haben sollte: Er ist verstorben.