Wenn die Erinnerung kommt
„Die Hände meiner Mutter“– Beklemmendes Drama um Missbrauch in der Familie
Es ist erstaunlich, wie gut Verdrängung funktioniert. Noch verstörender aber ist, wenn die Erinnerung irgendwann kommt. So ergeht es Marcus, 39 Jahre, glücklich verheiratet und Vater eines kleinen Sohnes. Bei einer Familienfeier beginnt er sich daran zu erinnern, was ihm seine Mutter als kleiner Junge angetan hat. „Die Hände meiner Mutter“heißt der beeindruckende Film von Florian Eichinger über den Missbrauch einer Frau an ihrem Sohn.
Als der kleine Adrian mit seiner Oma – und einer Wunde am Kopf – von der Toilette kommt, scheint bei Markus die Vergangenheit wieder klare Konturen zu bekommen. Da war nicht nur das glückliche Familienleben einem erfolgreichen Unternehmer-Vater und einer treu sorgenden Mutter. Es war auch eine Kindheit, in der die Mutter immer wieder zu ihm in das Kinderzimmer unter dem Dach kam, seine Hand unter ihren Rock schob, ihn anfasste, „damit er weiß, wie das später alles funktioniert“.
Es ist schrecklich anzusehen, wie Marcus (Andreas Döhler) sich erinnert, sein Leben zu zerbrechen droht. Seine Frau Monika (Jessica Schwarz) will zunächst nicht glauben, kann sich nicht vorstellen, was da passiert sein soll. Marcus zieht aus, verliert seinen Job, den Boden unter den Füßen – und versucht, zu begreifen.
Er sucht das Gespräch mit seiner Mutter, mit seiner Schwester Sabine, die sich längst in mehreren Therapien helfen ließ, und konfrontiert seinen Vater, der jahrelang die Augen verschlossen hat. Dieser Film ist leise und tut dabei unendlich weh, in seiner Langsamkeit, den Bildern eines grauen Winters in Hamburg.
Regisseur Eichinger, der mit „Die Hände meiner Mutter“nach „Bergfest“und „Nordstrand“den letzten Teil seiner Familientrilogie vorlegt, erzählt in Rückblenden. Darin lässt er den Marcus von heute als Kind auftreten, was Andreas Döhler allein durch seine Körperhaltung grandios gelingt. Eichinger schafft es so zum einen, vom Schrecken zu erzählen ohne den Schrecken mit einem realen Kind zu zeigen. Zum anderen aber ist dieser kleine Marcus durch die Darstellung des erwachsenen Marcus viel näher an der Person von heute dran.
Mit „Die Hände meiner Mutter“ist Eichinger ein beeindruckender, ruhiger Film über ein Thema gelungen, über das noch immer viel geschwiegen wird. Immer wieder stockt einem der Atem und doch zeigt er einen Ausweg. Ein Film, den man gesehen haben muss, auch wegen der großartigen, sehr überzeugenden Darsteller. (dpa)
Die Hände meiner Mutter. Regie: Florian Eichinger. Mit Andreas Döhler, Jessica Schwarz, Katrin Pollitt. Deutschland 2016. 106 Minuten. FSK ab 12.