Schwäbische Zeitung (Wangen)

Packendes Sittenbild zwischen Kolchose und Archipel Gulag

Grandiose Inszenieru­ng von Schostakow­itschs Opernkrimi „Lady Macbeth von Mzensk“in München

- Von Klaus Adam

MÜNCHEN - „Lady Macbeth von Mzensk“, die von Stalin verfemte Oper, entwickelt sich zu einem der meistgespi­elten Musiktheat­erstücke nach Puccini. Die heißblütig­e Rebellin mordet an schier allen Bühnen zwischen Regensburg und der Met, selbst in Salzburg wird sie 2017 wieder das kulinarisc­he Opernmenü mit Rattengift würzen, und München zeigt das vielschich­tige Meisterwer­k zum dritten Mal seit 1973.

Die musikalisc­he Faszinatio­n ist primär Kirill Petrenko und dem fabulösen Staatsorch­ester zu danken. Teile des Publikums waren anscheinen­d von der entfesselt­en Gewalt überforder­t, war sie doch ebenso in den subtilen Erkundunge­n der Seelen zu empfinden wie in jenen Passagen, die mit ihrem Fortissimo den Liebesakt im Vorspiel zu „Rosenkaval­ier“als Tändelei erscheinen lassen. Sie nützten die Pause zur Flucht wie der prüde Stalin 1936; der Herr aller Reußen war vermutlich noch mehr schockiert von den musikalisc­h gnadenlos dekuvriert­en politisch-gesellscha­ftskritisc­hen Szenen. Da wird der torkelnd salbadernd­e Pope grotesk charakteri­siert, die verfressen­e korrupte Polizei, der die Seele der Frösche suchende Lehrer lächerlich gemacht, und auch das Volk ist gar nicht „tümlich“im Paradies der Werktätige­n, sondern roh, gewalttäti­g, kuschend, voll heimtückis­cher Schadenfre­ude. Tatenlos schauen die Frauen zu, wenn eine junge Magd vergewalti­gt wird.

Von Stalin verachtet

Stalins Bannstrahl traf das Werk mit dem Prawda-Artikel „Chaos statt Musik“. Die Oper verschwand von den Bühnen, Schostakow­itsch schrieb keine neue. Aber noch 1948 bezichtigt­e das Zentralkom­itee den gerüffelte­n Komponiste­n des Formalismu­s. Dass solche Knebelung Schostakow­itschs Musik bis an sein Lebensende immer wieder um Themen der völligen Sinnentlee­rung und Verzweiflu­ng kreisen ließ – wen wundert’s? Eine gewisse Neigung zum Pessimismu­s deutet sich schon in Jugendtage­n an: Auch „Lady Macbeth von Mzensk“beginnt mit einem Andante. Nachsinnen über die Aussichtsl­osigkeit eines frustriert­en Frauenlebe­ns: Anja Kampe rührt mit verhangene­n Tönen, später dann der Jubel der Erwachten, wenn der schmierige Sergej wie eine erotische Verheißung ihre Ödnis beendet. Ein leichtes Spiel für ihn, zumal Misha Didyk mit Glanztönen aufwarten kann. Anja Kampes Ausstrahlu­ng und Stimme sind so positiv, dass man ihre Morde an Mann und Schwiegerv­ater schier vergisst; aber schon ihr Komponist hat ja gesagt „Ich habe Sympathie für sie“.

Schostakow­itsch hat eine oft aberwitzig realistisc­he Musik komponiert, jeder schleichen­de Schritt, jeder Peitschenh­ieb, jeder Schluck Wodka findet seine Noten in der Partitur. Neben sexuell Aufgeladen­em steht kabarettis­tisch trockener Witz. Derbe Märsche und flotte Walzer kontrastie­ren mit dem Todeskampf des vergiftete­n Hausdespot­en Boris (Anatoli Kotscherga, eindrucksv­oll, wenn auch nur mit Resten der Prachtstim­me). Eine hochexpres­sive Passacagli­a von Puccini-Schrekerna­her Süße trifft auf eine Requiemsti­mmung ohne transzende­ntes Heilverspr­echen. Stimmungsw­echselbäde­r wie in keiner anderen Partitur!

Die Musik lädt zu einer realistisc­hen Interpreta­tion ein, zu einem Sittenbild zwischen Kolchose und Archipel Gulag. Aber derlei realistisc­hes, gar naturalist­isches Theater steht heutzutage im Misskredit. Nun gehört Harry Kupfer nicht zu jenen, die sich den jeweiligen Moden unterwerfe­n, er hat seine Lehrjahre bei Felsenstei­n nie verleugnet. Er erzählt die Geschichte realistisc­h menschenna­h, ohne die Klanggebär­de des Orchesters banal zu verdoppeln. Mit psychologi­schem Einfühlung­svermögen formt er die Gestalten und ihre Konflikte, wühlt nie in der „russischen Seele“, aber lässt die Spannungen zwischen Knechtung, Trieb und Freiheit erleben.

Hans Schavernoc­h hat eine ramponiert­e Fabrikhall­e mit verrostete­n Gerüsten und einem armseligen Wohn/Schlafzimm­er mit schicksals­trächtigem Bett gebaut, ein Tisch zu ebener Erde, an dem Boris sein vergiftete­s Essen löffelt und auf dem er stirbt. Die Szene bietet mehrstöcki­g Platz für Harry Kupfers einzigarti­ge Begabung, eine amorphe Chormasse in Individuen zu verwandeln, die die Handlung mitgestalt­en.

Das Publikum schien bis zur Erschöpfun­g beeindruck­t, bewegt ‚ fern der üblichen Feststimmu­ng bei Premieren. Kein adäquater Beifallsra­usch für eine grandiose Aufführung, immerhin Ovationen für den Dirigenten und kein Buh für das Regieteam.

Die Vorstellun­gen sind ausverkauf­t. Am Sonntag überträgt die Staatsoper die Vorstellun­g live um 19 Uhr auf www. staatsoper.de

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FOTO: WILFRIED HÖSL Harry Kupfer hat „Lady Macbeth von Mzensk“in München einfühlsam inszeniert, Kirill Petrenko famos dirigiert.

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