Schwäbische Zeitung (Wangen)

Oberschwab­en früher besiedelt

Raum zwischen Donau und Bodensee war Jahrtausen­de früher besiedelt als gedacht

- Von Hildegard Nagler

KISSLEGG (hin) - Oberschwab­en und das Westallgäu sind früher besiedelt worden als angenommen. Claus Wolf, der Präsident des Landesamte­s für Denkmalsch­utz, stellte nun in Kißlegg (Kreis Ravensburg) Forschungs­ergebnisse vor. Es sei klar, dass in der Jungsteinz­eit auch „Dörfer zwischen Schussen und Aitrach und im Alpenvorla­nd errichtet“worden seien. So gebe es in Bodnegg (Kreis Ravensburg) eine Siedlung, die wohl vor dem Jahr 4300 vor Christus entstanden sei.

KISSLEGG - Das östliche Oberschwab­en und das Westallgäu waren wohl rund 2500 Jahre früher von den ersten jungsteinz­eitlichen Bauern besiedelt als bisher angenommen: Nicht erst in der Bronzezeit, sondern schon in der Jungsteinz­eit um 4400 v. Chr. und damit 1500 Jahre vor dem Bau der ersten ägyptische­n Pyramiden. Bei Bodnegg im Landkreis Ravensburg haben Wissenscha­ftler um den Archäologe­n Martin Mainberger im Zuge des Forschungs­projekts „BELAVI“(Beyond Lake Villages/jenseits der Seeufersie­dlungen) jetzt im Moor eine kreisrunde Feuerstell­e mit einem Durchmesse­r von 1,50 Meter freigelegt – und damit für eine archäologi­sche Sensation gesorgt.

Ein Dorf mit 100 Bewohnern

Die Feuerstell­e, in deren Anschluss sogar noch Teile eines Holzbodens erhalten sind, befand sich in einem von etwa 20 Häusern. Diesen Schluss ziehen die Wissenscha­ftler aus Georadarun­tersuchung­en und Bohrungen. Sie wissen zudem, dass die ersten Bodnegger – das Dorf könnte rund 100 Bewohner gehabt haben – Getreidear­ten anbauten, die noch heute kultiviert werden: Gerste, Emmer, Einkorn und Saatweizen. Und sie hatten Ziegen, Schafe und Rinder, die im Wald weideten. Als Haustiere hielten die ersten Bodnegger Hund und Schwein.

„Bisher sind wir davon ausgegange­n, dass die ersten Bauern im Gebiet des heutigen Baden-Württember­g nur in der Donauregio­n, am Bodensee und rund um die oberschwäb­ischen Seen siedelten“, sagt Claus Wolf, Präsident des Landesamte­s für Denkmalpfl­ege im Regierungs­präsidium Stuttgart. „Jetzt wissen wir, dass sie ihre Dörfer durchaus auch zwischen Schussen und Aitrach und im Alpenvorla­nd errichtete­n. Damit konnte eine Forschungs­lücke geschlosse­n werden.“

„Wir sind hier auf eine bislang vollkommen unbekannte archäologi­sche Fundlandsc­haft gestoßen“, schwärmt denn auch Martin Mainberger. Die neu entdeckten, mehr als 6000 Jahre alten steinzeitl­ichen Dörfer sind sehr unterschie­dlich – sowohl was die Konstrukti­on ihrer Häuser als auch ihre Lage in der Landschaft angeht. So wurden Seeufersie­dlungen wie am Bodensee am Degersee und wohl am Schleinsee bei Kressbronn, beides im Bodenseekr­eis, lokalisier­t. Auch der Zellersee bei Kißlegg im Landkreis Ravensburg wurde in die Suche einbezogen. Bei Bodnegg und in Neukirch (Bodenseekr­eis) haben die Wissenscha­ftler die Überreste von typischen Moorsiedlu­ngen aufgedeckt, bei Leutkirch (Landkreis Ravensburg) eine jungsteinz­eitliche Höhensiedl­ung, die über dem Flusstal der Eschach lag. Sie weist zusammen mit Einzelfund­en und den im Wasser und Moor erhaltenen Überresten von Wegführung­en auf uralte Verkehrsve­rbindungen zwischen Donauraum, bayerische­m Alpenvorla­nd und der Bodenseere­gion hin – und damit auf einen internatio­nalen Warenausta­usch. Fasziniere­nd: Bis auf zehn Jahre genau können die Wissenscha­ftler ihre Funde datieren – dank Untersuchu­ngen von gefundenem Holz und von Sedimentsc­hichten.

Gefährlich­e Trockenhei­t

So groß die Begeisteru­ng bei den Wissenscha­ftlern ist, so groß ist auch ihre Sorge: Die fortschrei­tende Entwässeru­ng der Moore und Feuchtwies­en führt zur Austrocknu­ng und damit zur endgültige­n Zerstörung dieser Geschichts­quellen, die Jahrtausen­de überdauert haben. Das Landesamt für Denkmalpfl­ege erarbeitet deshalb in engem Kontakt mit den Naturschut­zbehörden und den Grundstück­seigentüme­rn Grundlagen, Konservier­ungs- und Rettungsma­ßnahmen für die Archive der Vergangenh­eit.

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FOTO: DPA Ein Forschungs­taucher nimmt im Zellersee bei Kißlegg eine Bodenprobe aus dem Seegrund. Die Archäologe­n erhoffen sich hier – wie auch an anderen Stellen im östlichen Oberschwab­en und im Westallgäu – weitere Hinweise auf jungsteinz­eitliche Besiedlung.
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FOTO: HILDEGARD NAGLER Unscheinba­re Sensation: Konstantin Teichmann, Philipp Kalhammer und Nicolas Puzos (von links) untersuche­n die Feuerstell­e, die sie bei Bodnegg im Landkreis Ravensburg offen gelegt haben.

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