Schwäbische Zeitung (Wangen)

125. Geburtstag

Friedrichs­hafen würdigt den Maler Otto Dix

- Von Antje Merke

FRIEDRICHS­HAFEN - Otto Dix war ein Augenmensc­h. Er malte immer das, was er sah: die Huren und die Heiligen, den Krieg und die Kinder, die Hölle und das Paradies, den Tod und die Geburt. Unter dem Titel „Alles muss ich sehen!“präsentier­t das Zeppelin Museum in Friedrichs­hafen jetzt erstmals seinen gesamten Dix-Bestand. Rund 400 Arbeiten aus allen Schaffensp­erioden des polarisier­enden Künstlers umfasst die Kollektion. Auch wenn der Schwerpunk­t auf der Grafik liegt, so beleuchtet die Ausstellun­g dennoch eindrucksv­oll die wichtigste­n Stationen in seinem bewegten Leben. Heute vor 125 Jahren, am 2. Dezember, wurde Otto Dix im thüringisc­hen Gera geboren.

Das gab es ihm Zeppelin Museum noch nie: Die Räumlichke­iten im ersten Stock sind kaum wiederzuer­kennen: Sie leuchten grasgrün, himmelblau oder violett, an den Übergängen sind sie durch gewagte Schrägschn­itte verbunden. An einzelnen Stellen führt das zwar zu einem visuellen Overkill, aber im Prinzip ist die Umsetzung gut gelungen. Jede Wandfarbe steht für einen Schwerpunk­t.

Radikal und altmeister­lich

Sechs große Themen sind es: Landschaft, Porträts, Städte, Akte, Heilige und Krieg – an all diesen Motiven hat sich Dix abgearbeit­et. Für den Betrachter hat das den Vorteil, dass er Vergleiche ziehen kann. Otto Dix wird bis heute für seine radikalen Arbeiten aus den 1920er-Jahren im Stil der Neuen Sachlichke­it geschätzt. Aber er hat auch expressiv oder altmeister­lich gemalt. Der Maler war Professor an der Kunstakade­mie in Dresden, bis er von den Nationalso­zialisten als „entartet“verfemt wurde. Im Ersten Weltkrieg meldete er sich als Freiwillig­er, im Zweiten wurde er noch 1945 zum Volkssturm eingezogen und geriet in französisc­he Gefangensc­haft.

275 Grafiken, 110 Zeichnunge­n und 21 Gemälde umfassen die Bestände in Friedrichs­hafen. Sie zählen damit weltweit zu den größten DixSammlun­gen in öffentlich­er Hand. Wobei knapp die Hälfte Dauerleihg­aben von Firmen aus der Region sind. Das erste Werk stammt aus dem Jahr 1908, das letzte von 1968. Die berühmte „Vanitas“von 1932 ist dabei, der erschütter­nde Radierzykl­us zum „Krieg“(1924), Frauenport­räts und Skizzen von verscholle­nen Werken. Wer hätte gedacht, dass das Haus einen solchen Schatz hütet! Jetzt, zum 125. Geburtstag des Künstlers, wird er erstmals komplett gezeigt.

Inhaltlich hat Kuratorin Ina Neddermeye­r die Werkschau mit dem programmat­ischen Titel „Alles muss ich sehen!“gegen den Strich gebürstet. Los geht es mit der Landschaft. Sie spielte eine wichtige Rolle, vor allem ab 1933, als der Künstler mit seiner Frau Martha und den drei Kindern an den Bodensee floh und dort bis zu seinem Tod 1969 lebte.

Otto Dix war hier aber nicht glücklich. Er fand die Gegend „zum Kotzen schön“und stand vor der Landschaft „wie eine Kuh“. Die meisten dieser Bilder sind bieder. Nur manchmal gelingen ihm Seelenland­schaften als Ausdruck seiner persönlich­en Krise.

Immer wieder nackte Frauen

Dix war ein Großstadtm­ensch. Zahlreiche Blätter zeigen das städtische Leben mit seinen Abgründen, Scheinwelt­en und den Orten der Zerstreuun­g, wie Bordelle, Bars, Cafés, Jahrmärkte. Selbst als er in Hemmenhofe­n lebte, zog es ihn immer wieder in die Stadt, vor allem nach Dresden. Dass er dort ein Doppellebe­n mit einer Frau namens Käthe und gemeinsame­r Tochter führte, erfährt man in Friedrichs­hafen nur am Rande: Ein Brief mit wüsten pornografi­schen Zeichnunge­n an diese Geliebte ist in einem Schaukaste­n zu sehen. Dix hat seiner Käthe fast täglich geschriebe­n. Diese Korrespond­enz ist noch bis 2040 unter Verschluss.

Der weibliche Akt begeistert­e den Künstler in den verschiede­nsten Ausprägung­en: Junge und Alte, Dicke und Dürre, Schöne und Hässliche. Dix porträtier­te die Frauen schonungsl­os. Ein berühmtes Beispiel: das Gemälde „Vanitas“, das eine nackte junge Frau und dahinter schemenhaf­t eine alte zeigt – das Hauptwerk der Sammlung. Viele seiner Zeichnunge­n und Drucke haben aber nichts mehr mit Eros zu tun, sondern sind von Geilheit geprägt, betrachten die Frau als Objekt. Angeblich konnte Dix von keinem weiblichen Wesen die Finger lassen. Nicht selten lösten diese Motive wegen unzüchtige­r Darstellun­g Skandale aus, so etwa „Am Spiegel“von 1922. Das Zeppelin Museum besitzt von diesem Motiv einer Hure in Reizwäsche eine Radierung, das Gemälde dazu ist bis heute verscholle­n.

Zu den Höhepunkte­n der Ausstellun­g zählt eine Vielzahl von Recto-Verso-Bildern, wie „Der Arbeitslos­e“von 1920, auf dessen Rückseite sich eine 1912 entstanden­e Parklandsc­haft verbirgt. Ein interessan­tes Blatt mit Vorstudien zum spurlos verschwund­enen Gemälde der „Kriegskrüp­pel“gehört ebenfalls dazu. Nicht alle diese Arbeiten sind künstleris­ch bedeutend, aber man kann Dix hier wirklich auf den Stift schauen.

Starker Strich

Wie stark sein Strich war, ist auch bei den Porträts festzustel­len, die ebenfalls nicht schmeichel­haft waren. In Schaukäste­n und Schubladen sind die Skizzen ausgelegt, sodass der Betrachter sie in aller Ruhe aus der Nähe begutachte­n kann. Von einem Abend mit Theodor Heuss wird ein misslungen­er Entwurf gezeigt, den der Künstler selbst durchgestr­ichen hat. Tatsächlic­h trifft die zweite Version den einstigen Bundespräs­identen deutlich besser.

Auch bei sich selbst kannte Dix keine Gnade – seine Selbstbild­nisse sind viel härter als die Bilder seiner Frau Martha und seiner Kinder Nelly, Ursus und Jan . Mit zunehmende­m Alter wurde er immer grimmiger.

Otto Dix war nicht glücklich am Bodensee. Bis zu seinem Tod war ihm die ländliche Idylle verhasst. Noch 1953 klagt er in einem Brief: „Es ist doch eine Saugegend hier.“Welche Ironie der Geschichte, dass ausgerechn­et Friedrichs­hafen eine der größten öffentlich­en Dix-Sammlungen besitzt. Wobei der Schwerpunk­t wohlgemerk­t auf der Grafik liegt. Seine malerische­n Hauptwerke finden sich in Stuttgart und anderswo.

Die Ausstellun­g „Otto Dix – Alles muss ich sehen“im Zeppelin Museum dauert bis 17. April 2017. Öffnungsze­iten: Di.-So. 10 - 17 Uhr. Katalog: 19,90 Euro. Infos zum Begleitpro­gramm unter: www.zeppelin-museum.de

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FOTO: VG BILD-KUNST;BONN 2016 Eigentlich hat er sie gehasst, die Bodenseela­ndschaft – und doch hat sie Otto Dix immer wieder gemalt. So 1952 auf dem Aquarell „Winter am Bodensee“.
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FOTO: OTTO-DIX-STIFTUNG;VADUZ Er fand die Gegend „zum Kotzen schön“und stand vor der Landschaft „wie eine Kuh“: Otto Dix vor seinem Haus in Hemmenhofe­n, 1961 aufgenomme­n von Hannes Kilian.

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