Gerhard Polacek als „Dave“ist eine Wucht
Die Württembergische Landesbühne Esslingen gastierte mit „Nipple Jesus“in der Eselmühle
WANGEN - Dass Ortswechsel die Aufführung eines Theaterstücks bereichern können, hat sich am Sonntagabend im Stadtmuseum Eselmühle gezeigt. Nicht in der Stadthalle, sondern im Foyer der Eselmühle haben knapp 100 Besucher das Einpersonenstück „Nipple Jesus“des britischen Kultautors Nick Hornby erleben können. Für den Schauspieler Gerhard Polacek von der Württembergischen Landesbühne Esslingen gab es Applaus ohne Ende.
Irgendwie konnte er es selbst nicht fassen, mit welcher Euphorie das Wangener Publikum seinen Auftritt als „Dave“feierte. Nervös sei er am Anfang gewesen. Etwas mulmig angesichts der Bühnensituation, die in Wirklichkeit keine richtige ist. Ebenerdig auf blanken Steinfliesen, dahinter zwei kahle Rundbögen mit orangefarbigem Innenleben. Vor sich Stuhlreihen, die sich am Abend langsam füllten, und deren Inhaber erwartungsvoll schauten. Was nun wohl passieren würde?
Neuer Ort, bestes Ambiente
In „Nipple Jesus“gerät ein Bild zum Dreh- und Angelpunkt, von dem aber selbst nie etwas zu sehen ist. Weder von Jesus am Kreuz noch den unzähligen weiblichen Brustwarzen, die Künstlerin Martha aus Pornoheften entnommen hat, um daraus die Collage zu montieren. Ein Mitarbeiter der Landesbühne vertröstete die Zuschauer, die zu einer angeblichen Führung durch das Museum gekommen sind. Das platzierte einen mitten hinein in das Stück und genau dafür bot das Foyer in seiner Enge das passende Ambiente. Große Distanz zum Publikum wäre Dave und seinem Monolog nicht so gut bekommen wie hier.
Gerhard Polacek, 1954 in Dornbirn geboren, hat in seinem Berufsleben schon einiges hinter sich gebracht. Erst mit 35 Jahren habe er an der Universität Wien Theater studiert. Daneben als Nachtwächter und Billeteur in der Wiener Volksoper. Er, der auf Bühnen, in Filmen und im Fernsehen auftritt, weiß also wovon er spricht, wenn er sich im Stück als Museumswärter engagieren lässt. Für ein einziges Bild namens „Nipple Jesus“, zu dem der Zutritt unter 18 Jahren verboten ist.
Anti-Hommage auf Kunstbetrieb
Polaceks Performance ist sprachlichdialektisch und darstellerisch-raumgreifend eine Wucht. Er mimt einen Dave, der erst den ganzen Hype um ein solches Bild nicht versteht, und dann durch die Begegnung mit Martha einen Sinneswandel erfährt und dieses Bild vergöttert. Verteidigt gegenüber Besuchern, die sich die Nase daran platt drücken. „Beine in Bauch stehen bei unterirdischer Bezahlung“hat er sich im Leben nicht träumen lassen, doch für Marthas Nippel schon.
Polacek hechelt den modernen Kunstbetrieb durch, deckt den Irrsinn auf mit seinen kleinen rollenden Augen unter dem hellblonden, akkurat zurück gekämmten und schon dünn gewordenem Haar. Die Gemäldegalerien sähen doch alle gleich aus. Gänge, Bilder und herumschlendernde Menschen – aber Spaß, nein, ist Dave ernüchtert.
Warum sich Martha die ganze Mühe mit den Nippeln gemacht habe, fragt er mit kindlicher Neugier. Hitler habe sich doch auch viel Arbeit gemacht, antwortet sie prompt. Besucher kommen und gehen. „Nach einer Stunde der erste Spinner“, und Dave wuschelt sich ad hoc die Haare nach vorn. Mimt den Depperten im gelben Wintermantel, der vor dem Bild auf die Knie fällt.
Kniefall verboten und Beten auch, erfindet Dave immer raffiniertere eigene Vorschriften. Die gelten auch für den Geistlichen, nämlich nicht länger als fünf Minuten. Der Perversen wegen. Die Politikerin, die auf Ehe und Familie schwört, lässt er abblitzen ebenso wie den „Schnösel“vom Fernsehen. Den Eierwurf auf das Heiligtum konnte er gerade noch abwenden, nicht aber dessen Demontage. Von der Wand gerissen, drauf rumgetrampelt und abgehauen sein’s, Jesus den Kopf eingeschlagen haben’s.
Dave ist frustiert. Ihm entschlüpfen so gewinnbringende Sätze wie „Jesus ist dort, wo man ihn findet.“Martha jubiliert, hat doch eine Videokamera alles aufgezeichnet. Das war ihre eigentliche Intention, nur dass der Film in die hinterste Ecke des Käsereimuseums verbannt wird. „Jesus im Todeskampf hat man jetzt dafür“, echauffiert er sich über das, was nun Kunst sein soll. Welch Ironie des Schicksals.