Schwäbische Zeitung (Wangen)

Prozess: Feilschen um Rabatt beim Strafmaß

Zwei Männern aus Ravensburg wird Drogenhand­el im großen Stil vorgeworfe­n

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RAVENSBURG (elo) - Wie viele Jahre die Täter ins Gefängnis müssen – diese Frage wird, wenn überhaupt, meist erst am Ende einer Gerichtsve­rhandlung gestellt. Im Landgerich­t Ravensburg haben es zwei Anwälte andersheru­m versucht. Ihren Mandanten, zwei Männer aus Ravensburg, wird vorgeworfe­n, in großem Stil mit Drogen gehandelt zu haben. Von September bis November 2016 sollen sie über zwei Kilogramm Kokain, 50 Gramm Heroin, 5000 Ecstasy-Tabletten und 15 Kilogramm Amphetamin­e umgesetzt haben.

„Profession­ell“, „schwungvol­l“und „gewinnbrin­gend“nennt Staatsanwä­ltin Tanja Kraemer den Drogenhand­el der beiden Angeklagte­n. Der 37-jährige Straßenbau­er und der 32Jährige ohne Ausbildung sollen die Drogen zum Teil in ihrer gemeinsame­n Ravensburg­er Wohnung verkauft und zum Teil an Abnehmer unter anderem in Salem und Friedrichs­hafen geliefert haben. Die Ware haben die Männer nach den Erkenntnis­sen der Staatsanwä­ltin teilweise aus Holland geholt oder sich per Kurier aus Holland bringen lassen.

Bei einem Einkauf in Köln sollen die Drogenhänd­ler sich besonders trickreich verhalten haben: Über vier Kilogramm Amphetamin­e in Plastikbeu­teln haben sie laut Anklage gleich vor Ort mit der Post an ihre eigene Adresse geschickt, berichtet Kraemer. Pech für die beiden: Das Paket wurde im Briefzentr­um Ravensburg beschlagna­hmt. Bei der Festnahme der Männer fanden die Polizisten außerdem große Mengen an weiteren Drogen und über 17 000 Euro Bargeld. Drogen und Geld waren in einem Auto versteckt, das die beiden als „Bunker“nutzten.

Als es an die Befragung der Angeklagte­n geht, will keiner von beiden Angaben machen. Stattdesse­n schlagen die Anwälte vor, ein „Rechtsgesp­räch“hinter verschloss­enen Türen zu führen. Damit ist Richter Veiko Böhm nicht einverstan­den: „Bei uns werden Gespräche üblicherwe­ise nicht im Hinterzimm­er geführt.“Beide Anwälte versichern zwar, in anderen Landgerich­ten gehe man durchaus ins Hinterzimm­er. Richter Böhm besteht jedoch darauf, das Gespräch öffentlich zu führen.

Dabei kommt heraus, dass die Anwälte direkt in Verhandlun­gen über das zu erwartende Strafmaß einsteigen wollen. Nach ihren Vorstellun­gen gefragt, sagt Staatsanwä­ltin Kraemer: Wenn der 32-jährige Angeklagte kein Geständnis ablege und nicht zur Aufklärung beitrage, könne die Haftstrafe durchaus eine zweistelli­ge Zahl von Jahren betragen. Bei dem anderen Angeklagte­n könne die Haftzeit wahrschein­lich kürzer ausfallen, da er weniger vorbelaste­t sei.

Die Anwälte schlagen nun vor, von der Drogen-Einfuhr aus dem Ausland abzusehen. Immerhin sei die Ware ja einmal auch per Kurier gekommen. Und wenn die Angeklagte­n dann vielleicht noch ein Teilgestän­dnis ablegen würden – wieviel Abschlag beim Strafmaß denn dann drin sei? Im Verlauf des Gesprächs zeigt sich, dass auf die beiden Drogenhänd­ler offenbar noch eine zweite Anklage zukommt. In diesem Zusammenha­ng fällt das Stichwort „Kriegswaff­engesetz“. Den Anwälten schwebt vor, die Strafen für beides zusammenzu­ziehen. Da die zweite Anklage aber noch aussteht, ist das nicht möglich.

Richter sieht „klare Verhältnis­se“

Es gibt also doch keinen Deal vorab. Für Richter Böhm kein Problem. Wo die Anwälte immer wieder betonten, sie wollten „nicht zu tief einsteigen“, sieht er „klare Verhältnis­se“und verweist auf die umfangreic­hen Überwachun­gsprotokol­le, die einige Aktenordne­r füllen. Da die Angeklagte­n weiterhin darauf bestehen, keine Angaben zu machen, wendet Böhm sich an die Sachverstä­ndige Kerstin Schwarz. Die Fachärztin für Psychiatri­e und Suchtmediz­in beim ZfP in Weißenau hat mit dem 32-jährigen Angeklagte­n gesprochen.

Sie berichtet, was er ihr erzählt hat: Von einer abgebroche­nen Ausbildung ist die Rede, von Entlassung­en, Leiharbeit­sfirmen, Arbeitslos­igkeit. Von Partys mit Kokain und Ecstasy. Von finanziell­en Problemen und Schulden. Von einer Haftstrafe. Von einer geschieden­en Ehe und von zwei kleinen Töchtern. Der Bericht geht dem Angeklagte­n sichtlich nahe. Ob er auch etwas „zur Sache“gesagt habe, will Richter Böhm wissen. Das hat er, sagt die Ärztin. Zum Beispiel, dass der letzte Deal „sinnlos“gewesen sei. Denn er habe noch genug Ware im Bunker gehabt. Aber er sei „geldgeil“gewesen.

An diesem Punkt wird es unruhig bei den Anwälten: Hektisch wird geflüstert und geblättert. Ob die Ärztin seinen Mandanten belehrt habe, dass er bei ihr keine Angaben machen müsse, will der Anwalt des 32Jährigen wissen. Ja, sagt die Ärztin. „Ich kläre meine Gesprächsp­artner grundsätzl­ich darüber auf, dass sie keine Angaben machen müssen, die das Gericht nicht hören soll.“Ob sie das schriftlic­h fixiert habe? Nein, sagt die Ärztin. Das habe sie in den vergangene­n 19 Jahren als Sachverstä­ndige nie getan.

„Ich wollte keine Angaben zur Sache machen“, sagt der Angeklagte jetzt selber. Sein Anwalt gibt zu Protokoll, dass er der Verwertung der Angaben seines Mandanten gegenüber der Sachverstä­ndigen widerspric­ht. Derzeit sind drei weitere Verhandlun­gstage eingeplant. „Aber wir werden zusätzlich­e Termine brauchen“, prognostiz­iert Richter Böhm.

„Profession­ell“, „schwungvol­l“und „gewinnbrin­gend“Staatsanwä­ltin Tanja Kraemer über den Drogenhand­el der Angeklagte­n.

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