Präzedenzfall
Der Streit um die auf Stelzen stehenden Solarthermieanlagen im AlbertScheurle-Weg hat zwei Facetten: eine emotionale und eine rechtliche.
Emotional ist man geneigt zu sagen: Die Hauseigentümer haben richtig agiert. Sie nehmen eine ihnen von der Stadt auferlegte Energieberatung wahr und handeln entsprechend. Was soll daran falsch sein? Dass das Gespräch im städtischen Bauamt lief, ist eine zusätzliche Pikanterie am Rande. Und: Die Eigentümerfamilien haben das Mögliche herausholen wollen: für sich und ihre Heizungsanlage, aber auch für den Klimaschutz. Moralisch kann man ihnen da nichts vorwerfen.
Die Stadt wiederum argumentiert stringent und rechtlich: Es gibt einen gültigen Bebauungsplan, und an den haben sich Bauherren zu halten. Dass sich einige von ihnen hierzu vorher kundig gemacht und das „Aufständerungsverbot“beachtet haben, spricht ebenfalls für die Haltung der Verwaltung. Denn gleiches Recht muss für alle gelten. Handelt die Stadt nicht danach, schafft sie Präzedenzfälle und macht sich angreifbar.
Allerdings liegt in diesem Recht das eigentliche Problem begründet: Der Bebauungsplan stammt von 2008. Einer Zeit vor der politischen Energiewende also. Damals hat man offenbar nicht darauf geachtet, welche Ausrichtung Pultdächer zum Sonnenstand haben müssen, die eine optimale Ausnutzung von Solaranlagen ermöglicht. Nord/ Nordost, wie vorgeschrieben, ist es jedenfalls nicht. Und später nachgebessert wurde auch nicht.
Zu diesen kniffligen (Rechts-)Fragen kommt ein allgemeiner Aspekt hinzu: 2015 wurde die Landesbauordnung geändert – und mit ihr die Bedeutung der Solarenergie auf Dächern aufgewertet. Zu klären wäre also: Welches Rechtsgut hat seither einen höheren Stellenwert? Das gestalterische oder das umweltpolitisch begründete? Ohne dem allgemeinen Trend das Wort zu reden, alles Strittige in die Waage von Justitia zu legen: Angesichts der Lage des Ill-Beck-Geländes fern der Altstadt und der völlig anders gestalteten baulichen Umgebung, wäre eine Klärung dieser Frage allgemein sicher aufschlussreich. Insofern könnte der Streit um den AlbertScheurle-Weg in der Tat zu einem Präzedenzfall werden.