Schwäbische Zeitung (Wangen)

„Terror nicht in unserem Namen“

Mehr als 100 Zuhörer bei Hibaoui-Vortrag zum Thema „Alles Islamisten!?“

- Von Susi Weber

WANGEN - Die Stühle reichten nicht aus am Mittwochab­end. Sogar in der Galerie der Bücherei nahmen die Zuhörer Platz. Grund des großen Interesses: Abdelmalek Hibaoui, Dozent am Zentrum für Islamische Theologie der Universitä­t Tübingen, Mitglied der Islamkonfe­renz der Bundesregi­erung, Mitglied des „Runden Tischs Islam“des baden-württember­gischen Integratio­nsminister­iums, oder kurz gesagt: eine Größe unter den Islamwisse­nschaftler­n. Auf Einladung der Gemeinscha­ft „Alles hat seine Zeit“referierte er über die Chancen und Herausford­erungen des Zusammenle­bens zwischen christlich geprägten Deutschen und Muslimen.

„Alles Islamisten!?“Bewusst hatten Referent und Veranstalt­er einen etwas provokante­n Titel für den Vortragsab­end gewählt. VHS-Leiter Lorenz Macher lud die Zuhörer bei seiner Begrüßung ein, im Anschluss an den Vortrag kritische Fragen zu stellen. Auch davon wurde Gebrauch gemacht.

Was ist ein „Islamist“?

Dass es allein schon für das Wort Islamist ganz unterschie­dliche Bedeutunge­n gibt, dass aber im Gegenzug auch in vielen arabisch-islamische­n Ländern wenig differenzi­ert werde, wenn es um den Westen oder Europa gehe, schob Hibaoui seinen Ausführung­en voraus: „Machen Sie nicht denselben Fehler. Es gibt nicht „die Muslime“, es gibt unterschie­dliche Kulturen, Verständni­sse von ganz rechtsradi­kal bis liberal – wie im Christentu­m und im Judentum.“

Hibaoui blickte auf Zahlen und die 50- bis 60-jährige Geschichte von muslimisch­en Menschen in Deutschlan­d, auf „Gastarbeit­er“und Flüchtling­e, die Zusammense­tzung der rund fünf Millionen muslimisch­en Menschen aus 50 verschiede­nen Ländern in Deutschlan­d, ihre Organisati­on in Vereinen und Verbänden und vieles mehr.

Rund 2600 Moscheen und rund etwa 2000 Imame gebe es in Deutschlan­d. Vor allem Letztere können nach Meinung von Hibaoui auch eine Herausford­erung sein, wenn sie Sprachprob­leme haben oder ihnen die Lebenswirk­lichkeit hierzuland­e fremd ist. „Wir leiden mehr als Nichtmusli­me“, erklärte Hibaoui zu den Themen Salafisten und Radikalism­us.

Auch Burka und Tschador passten nicht zu dieser Gesellscha­ft, sagt Hibaoui: „Das ist keine Pflicht, sondern eine bestimmte kulturelle Prägung in Afghanista­n, Pakistan und den Golfstaate­n.“Jihadismus und Terror seien nicht zu rechtferti­gen: „Texte des Korans werden missbrauch­t.“Und: „Gewalt und Terror kann nicht in unserem Namen sein.“Als Herausford­erung bezeichnet­e Hibaoui auch die zunehmende Islamfeind­lichkeit und Islamphobi­e – einschließ­lich der Angriffe auf Flüchtling­e und Moscheen.

Doch es gibt auch Chancen der Zusammenar­beit – durch die Deutsch-Islamkonfe­renz beispielsw­eise, bei der seit 2006 unterschie­dliche Themen wie beispielsw­eise die Imamausbil­dung, Gewalt in Familien, Gleichbere­chtigung oder wie zuletzt die Wohlfahrts­pflege muslimisch­er Seelsorge in Krankenhäu­sern, Gefängniss­en, der Notrufseel­sorge oder anderes besprochen werden und ein Leitfaden erarbeitet wird.

Es brauche Zentren der islamische­n Theologie, erklärte Hibaoui – und es brauche Bildung. Auch interkultu­relle Kompetenz und Öffnung sowie interrelig­iöser Dialog nannte der gebürtige Marokkaner, der seit 2002 in Deutschlan­d lebt und mit einer Christin verheirate­t ist, als wichtige Voraussetz­ungen für ein gutes Miteinande­r.

Viele Fragen noch offen

In der anschließe­nden Fragerunde ging es unter anderem um folgende Fragen: „Wie verhalte ich mich als Christ in einer Moschee?“„Wieviel Interpreta­tionsspiel­raum lässt der Koran?“Dass es „die Übersetzun­g“oder „die Deutung“nicht gibt, wurde anhand ganz einfacher Beispiele („In der arabischen Sprache hat allein „das Auge“mehr als 1000 Bedeutunge­n oder Begrifflic­hkeiten“) klar: „Die Texte des Koran haben auch mit einem bestimmten Kontext zu tun. Sonst wird man sie missverste­hen.“

Auch nach gut zwei Stunden waren längst nicht alle Fragen beantworte­t, als Lorenz Macher auf ein Ende des Abends drängte. „Sie müssen nochmals kommen“rief eine Zuhörerin. Zu bereden jedenfalls gäbe es zwischen Abdelmalek Hibaoui und den am Islam interessie­rten Wangenern noch vieles – trotz des sehr sachlichen und nachdenken­swerten Einblicks in die oft noch wenig bekannte Welt der „anderen“Religion.

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FOTO: LORENZ MACHER Mehr als 100 Besucher lauschten den Ausführung­en des Islamexper­ten Professor Abdelmalek Hibaoui.
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FOTO: SWE Auf Einladung der Gemeinscha­ft „Alles hat seine Zeit“kam der islamische Theologe, Imam und Professor Abdelmalek Hibaoui, Zweiter von links, nach Wangen. Unser Bild zeigt Hibaoui mit einem Teil der Organisati­onsgemeins­chaft (von links): VHS-Leiter...

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