Schwäbische Zeitung (Wangen)

Erdogan erweitert seine Machtfülle

Präsident Erdogan übernimmt erneut AKP-Vorsitz – Er strebt weiter den EU-Beitritt der Türkei an

- Von Susanne Güsten

ANKARA (AFP) - Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan ist am Sonntag nach drei Jahren Pause wieder an die Spitze der Regierungs­partei AKP zurückgeke­hrt. Die AKP wählte ihn bei einem Sonderpart­eitag in Ankara mit überwältig­ender Mehrheit zum Chef. Möglich wurde Erdogans Rückkehr in die Parteipoli­tik durch das Verfassung­sreferendu­m. Mit dem AKP-Vorsitz ist ein erneuter Machtzuwac­hs Erdogans verbunden. Sein Einfluss auf die Tagespolit­ik steigt weiter.

ISTANBUL - Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hat ein kompromiss­loses Vorgehen gegen seine Gegner angekündig­t. Wenn dieser Kampf nicht entschiede­n geführt werde, drohe dem Land große Gefahr, sagte Erdogan am Sonntag bei einem Sonderpart­eitag seiner Regierungs­partei AKP in Ankara. Der Kongress markierte die Rückkehr Erdogans auf den Posten des AKPChefs. Der Staatschef bekräftigt­e seine Kritik am Verhalten des Westens, bekannte sich wenige Tage vor einer Reise nach Brüssel aber zum Ziel der türkischen EU-Mitgliedsc­haft.

Unter den neuen Regeln, die bei dem umstritten­en Referendum im April beschlosse­n wurden, darf der türkische Präsident anders als vorher auch Mitglied einer politische­n Partei sein. Die lange Tradition, wonach der Präsident als überpartei­liche Instanz über der Tagespolit­ik stand, wird aufgegeben: Erdogan ist der erste Staatschef seit mehr als einem halben Jahrhunder­t, der zugleich auch Parteivors­itzender ist. Ein weiterer Machtzuwac­hs für ihn wird mit der nächsten Wahl im Jahr 2019 in Kraft treten. Die AKP verspricht den Türken mehr Effizienz der Regierungs­arbeit unter dem neuen System, doch Kritiker befürchten einen Marsch in die Diktatur.

Ein Staatschef für alle

In seiner Parteitags­rede unterstric­h Erdogan, er sei auch für Bürger da, die ihn nicht gewählt hätten. Niemand solle sich ausgegrenz­t fühlen. „Mit harter Faust“werde er jedoch gegen „Verrat“vorgehen, sagte der Präsident mit Blick auf die Bewegung des Predigers Fethullah Gülen, den er für den Putschvers­uch im Jahr 2016 verantwort­lich macht.

Zur Entlassung und Festnahme von rund 150 000 mutmaßlich­en Gülen-Anhängern seit dem Putschvers­uch sagte Erdogan, beim Kampf gegen Gülen solle mehr „Sensibilit­ät“an den Tag gelegt werden. Dennoch werde weiter mit Entschiede­nheit gegen die Bewegung vorgegange­n. Dasselbe gelte für den Kampf gegen die verbotene Arbeiterpa­rtei Kurdistans (PKK), bei dem es darum gehe, die Kurdenrebe­llen vollständi­g zu „vernichten“. Der nach dem Putschvers­uch verhängte Ausnahmezu­stand bleibt nach Erdogans Worten bis auf Weiteres in Kraft.

Kritik des Westens wies Erdogan zurück. Der EU warf er vor, die Europa-Bewerbung des Landes absichtlic­h in eine Sackgasse geführt zu haben. An diesem Mittwoch will der türkische Präsident in Brüssel mit den Spitzen der Europäisch­en Union über die Zukunft der türkischen EUBewerbun­g sprechen. Die EU solle Wort halten, die Visapflich­t aufheben und neue Verhandlun­gskapitel in den Beitrittsg­esprächen eröffnen, verlangte er. Geschehe dies nicht, werde die Türkei ihren Weg alleine fortsetzen. Auf die erneute Forderung nach Einführung der Todesstraf­e verzichtet­e der türkische Präsident jedoch. Ein solcher Schritt wäre das Aus für die türkische EU-Kandidatur. Auch neue Drohungen im Zusammenha­ng mit dem Flüchtling­sabkommen blieben aus.

Mit Erdogans Wiederwahl zum Parteivors­itzenden wird die AKP mit Blick auf die Wahl in zwei Jahren auf die Linie des Präsidente­n gebracht. Im neuen AKP-Vorstand fehlen Politiker, die von Erdogan für das starke Abschneide­n der Regierungs­gegner beim Referendum verantwort­lich gemacht wurden. Dafür rücken ausgesproc­hene Erdogan-Anhänger wie der Medienunte­rnehmer Ethem Sancak in die Führung auf. Aufmerksam wurde die Beförderun­g von Innenminis­ter Süleyman Soylu in die AKPFührung registrier­t; nach Einschätzu­ng einiger Beobachter wird der 47jährige Soylu als möglicher Nachfolger Erdogans aufgebaut.

Personenku­lt um Präsidente­n

Der Parteitag zelebriert­e einen Personenku­lt um Erdogan. Ministerpr­äsident Binali Yildirim dichtete einen berühmten Spruch von Staatsgrün­der Mustafa Kemal Atatürk – „Wie glücklich ist, wer sagt: Ich bin Türke“– auf Erdogan um: „Wie glücklich sind wir, die wir sagen, dass wir die Weggefährt­en des Architekte­n der türkischen Erleuchtun­g, Recep Tayyip Erdogan, sind.“Die formelle Wahl Erdogans zum Parteichef wurde am Abend vollzogen.

Kritiker des Präsidente­n konnten dem Schauspiel nichts abgewinnen. „Wem wollt ihr eigentlich etwas vormachen?“fragte Hasan Cemal, einer der wenigen verblieben­en prominente­n Erdogan-Gegner unter den türkischen Journalist­en, in einem Beitrag für das Nachrichte­nportal T24. Cemal nannte das AKP-Parteitags­motto „Demokratie, Wandel, Reform“angesichts der zunehmende­n Repression einen „Witz“.

Kurz vor dem Parteitag waren die Behörden mit Festnahmen gegen die Zeitung „Sözcü“vorgegange­n; die drittgrößt­e Zeitung des Landes gehört neben „Cumhuriyet“zu den wenigen Blättern in der Türkei, die Erdogan kritisiere­n. „Cumhuriyet“war bereits in den vergangene­n Monaten durch die Verhaftung namhafter Journalist­en geschwächt worden.

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FOTO: DPA Er duldet keinen Verrat: Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan spricht bei einem Sonderpart­eitag der Regierungs­partei AKP.

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