Wiltsche rekonstruiert Wangen als Kirchenburg
Erkenntnis des Ortsheimatpflegers: Der älteste Stadtteil Wangens war eine Wehranlage gegen „Ungarneinfälle“
WANGEN - In seinem spannenden und sehr anschaulichen Vortrag zur „Entwicklung des Wangener Kellhofs“erweiterte Ortsheimatpfleger Stephan Wiltsche die Wangener Stadtgeschichte mit neuen Erkenntnissen und Hypothesen. War der Kellhof – also der älteste Teil Wangens – ursprünglich Teil einer frühmittelalterlichen Wehr- und Kirchenburg? Anhand vieler Puzzleteile rekonstruierte der Ortsheimatpfleger die ersten Jahrhunderte der Wangener Stadtgeschichte. Für ihn ist es mehr als eine Hypothese: Der älteste Stadtteil Wangens war bereits zu Beginn des 10. Jahrhunderts eine Kirchenburg, die als Wehranlage die Bewohner gegen die „Ungarneinfälle“bergen und schützen sollte.
Der vom Altstadt-und Museumsverein veranstaltete Vortrag am Freitagabend im katholischen Gemeindehaus von St. Martin führte die zahlreichen Zuhörer zunächst ins Freie hinaus, zu einem Rundgang: Vom Paramentenhaus ging es am Metzigbach und der alten Stadtmauer entlang zum Marktplatz, wo sich der Grundriss der alten Praßberghauses abzeichnet. Mit seinem Rundgang, der schließlich im Kellhof endete, wollte Stephan Wiltsche praktisch vor Augen führen, was er daraufhin in seinem visuellen Vortrag untermauerte.
Ein europäisches Phänomen
Nämlich dass der älteste Teil der mittelalterlichen Stadt Wangen eine alte Kirchenburg war. Dies sei eindeutig belegbar durch Baubeobachtungen, Chroniken und archäologische, geomorphologische Erkenntnisse. Somit ist Wangen Teil der Geschichte der alten Wehrburgen. Dies sei ein europäischen Phänomen, besonders bedingt durch die zahlreichen Ungarneinfälle im 10. Jahrhundert, aber auch zur Abwehr der Türkengefahr. Als Beispiel zeigte Wiltsche Bilder von Wehrkirchen aus Siebenbürgen, Arbogast / Schweiz, Effeltrich / Franken, Ostheim / Rhön, oder Emmereis bei Markt Rettenberg. Auch Kirchen in der näheren Umgebung, wie etwa in Gebrazhofen oder Eglofs, zeigten deutlich, dass Kirchen und Kirchenburgen dazu dienten, um „Hab und Gut, Leib und Leben zu bergen und zu schützen“.
Ausgehend von den ältesten Besiedlungen in Wangen, dem „Maierhof“im Bereich der heutigen alten Friedhofs,unddem„Kellhof“,suchte der Ortsheimatpfleger nach vielen Puzzleteilen, die seine Hypothesen untermauerten: „Man findet nur das, was man sucht!“Und Wiltsche wurde bei seiner akribischen, fundierten Suche fündig: Eine geomorphologische Karte von Professor Härle zeigte den spornartigen Fortsatz, auf dem der alte Kirchhof und Kellhof errichtet wurde. Die Rekonstruktion der Stadtmauer und die Straßenausrichtung der Lindauerstraße und Paradiesstraße waren weitere Puzzleteilchen seiner optisch und visuell hervorragend aufbereiteten Präsentation. Auch der Kirchturm als „Eckturm“zeige eindeutige Merkmale eines „Wehrturmes“. Dieser stand genau auf der Wehrlinie. Etymologisch belegte Wiltsche seine Hypothese mit der Herleitung des Begriffs „Paradies“: „Flucht- oder Friedensbereich“, der auch als „Vorhof einer Kirche“diente. Hier gäbe es demnach enge Bezüge zur Wangener „Paradiesstraße“. Die Rekonstruktion alter Keller anhand einer Stadtkataster-Ansicht von Schneider diente als weiterer Beleg.
Nachweise für Wiltsches Hypothese gibt es also viele. Es hat nicht nur Renate Natterer als Vertreterin der Altstadt-und Museumsvereins beeindruckt, in „welcher tollen Stadt wir leben“. Wie die Menschen vor 800 oder 1000 Jahren in Wangen gelebt haben, machte der Referent visuell erlebbar mit anschaulichen Modellen, die durch die „Rauch’sche Stadtansicht“ergänzt und belegt wurden.
Mit viel Herzblut rekonstruiert hat der Ortsheimatpfleger auch den ursprünglichen Bau der Wangener Paramenten- und Gemeindehauses. In dem Gebäude habe sich ursprünglich eine Doppelkapelle befunden, mit unterschiedlichen Altären, die verschiedenen Schutzheiligen geweiht waren: St. Leonhard, St. Michael, St. Ursus, St. Victor. Auch dies: Wehrhafte Obergeschosskapellen. Mit neuesten, fast „sensationellen“Bildern belegte Wiltsche schließlich, dass seine Hypothese von einer „Kirchenburg“und „umfriedeten Wehrsiedlung“mehr ist als nur eine Hypothese. Es ist ein realer Teil der Wangener Stadtgeschichte.