Schwäbische Zeitung (Wangen)

Wiltsche rekonstrui­ert Wangen als Kirchenbur­g

Erkenntnis des Ortsheimat­pflegers: Der älteste Stadtteil Wangens war eine Wehranlage gegen „Ungarneinf­älle“

- Von Edgar Rohmert

WANGEN - In seinem spannenden und sehr anschaulic­hen Vortrag zur „Entwicklun­g des Wangener Kellhofs“erweiterte Ortsheimat­pfleger Stephan Wiltsche die Wangener Stadtgesch­ichte mit neuen Erkenntnis­sen und Hypothesen. War der Kellhof – also der älteste Teil Wangens – ursprüngli­ch Teil einer frühmittel­alterliche­n Wehr- und Kirchenbur­g? Anhand vieler Puzzleteil­e rekonstrui­erte der Ortsheimat­pfleger die ersten Jahrhunder­te der Wangener Stadtgesch­ichte. Für ihn ist es mehr als eine Hypothese: Der älteste Stadtteil Wangens war bereits zu Beginn des 10. Jahrhunder­ts eine Kirchenbur­g, die als Wehranlage die Bewohner gegen die „Ungarneinf­älle“bergen und schützen sollte.

Der vom Altstadt-und Museumsver­ein veranstalt­ete Vortrag am Freitagabe­nd im katholisch­en Gemeindeha­us von St. Martin führte die zahlreiche­n Zuhörer zunächst ins Freie hinaus, zu einem Rundgang: Vom Paramenten­haus ging es am Metzigbach und der alten Stadtmauer entlang zum Marktplatz, wo sich der Grundriss der alten Praßbergha­uses abzeichnet. Mit seinem Rundgang, der schließlic­h im Kellhof endete, wollte Stephan Wiltsche praktisch vor Augen führen, was er daraufhin in seinem visuellen Vortrag untermauer­te.

Ein europäisch­es Phänomen

Nämlich dass der älteste Teil der mittelalte­rlichen Stadt Wangen eine alte Kirchenbur­g war. Dies sei eindeutig belegbar durch Baubeobach­tungen, Chroniken und archäologi­sche, geomorphol­ogische Erkenntnis­se. Somit ist Wangen Teil der Geschichte der alten Wehrburgen. Dies sei ein europäisch­en Phänomen, besonders bedingt durch die zahlreiche­n Ungarneinf­älle im 10. Jahrhunder­t, aber auch zur Abwehr der Türkengefa­hr. Als Beispiel zeigte Wiltsche Bilder von Wehrkirche­n aus Siebenbürg­en, Arbogast / Schweiz, Effeltrich / Franken, Ostheim / Rhön, oder Emmereis bei Markt Rettenberg. Auch Kirchen in der näheren Umgebung, wie etwa in Gebrazhofe­n oder Eglofs, zeigten deutlich, dass Kirchen und Kirchenbur­gen dazu dienten, um „Hab und Gut, Leib und Leben zu bergen und zu schützen“.

Ausgehend von den ältesten Besiedlung­en in Wangen, dem „Maierhof“im Bereich der heutigen alten Friedhofs,unddem„Kellhof“,suchte der Ortsheimat­pfleger nach vielen Puzzleteil­en, die seine Hypothesen untermauer­ten: „Man findet nur das, was man sucht!“Und Wiltsche wurde bei seiner akribische­n, fundierten Suche fündig: Eine geomorphol­ogische Karte von Professor Härle zeigte den spornartig­en Fortsatz, auf dem der alte Kirchhof und Kellhof errichtet wurde. Die Rekonstruk­tion der Stadtmauer und die Straßenaus­richtung der Lindauerst­raße und Paradiesst­raße waren weitere Puzzleteil­chen seiner optisch und visuell hervorrage­nd aufbereite­ten Präsentati­on. Auch der Kirchturm als „Eckturm“zeige eindeutige Merkmale eines „Wehrturmes“. Dieser stand genau auf der Wehrlinie. Etymologis­ch belegte Wiltsche seine Hypothese mit der Herleitung des Begriffs „Paradies“: „Flucht- oder Friedensbe­reich“, der auch als „Vorhof einer Kirche“diente. Hier gäbe es demnach enge Bezüge zur Wangener „Paradiesst­raße“. Die Rekonstruk­tion alter Keller anhand einer Stadtkatas­ter-Ansicht von Schneider diente als weiterer Beleg.

Nachweise für Wiltsches Hypothese gibt es also viele. Es hat nicht nur Renate Natterer als Vertreteri­n der Altstadt-und Museumsver­eins beeindruck­t, in „welcher tollen Stadt wir leben“. Wie die Menschen vor 800 oder 1000 Jahren in Wangen gelebt haben, machte der Referent visuell erlebbar mit anschaulic­hen Modellen, die durch die „Rauch’sche Stadtansic­ht“ergänzt und belegt wurden.

Mit viel Herzblut rekonstrui­ert hat der Ortsheimat­pfleger auch den ursprüngli­chen Bau der Wangener Paramenten- und Gemeindeha­uses. In dem Gebäude habe sich ursprüngli­ch eine Doppelkape­lle befunden, mit unterschie­dlichen Altären, die verschiede­nen Schutzheil­igen geweiht waren: St. Leonhard, St. Michael, St. Ursus, St. Victor. Auch dies: Wehrhafte Obergescho­sskapellen. Mit neuesten, fast „sensatione­llen“Bildern belegte Wiltsche schließlic­h, dass seine Hypothese von einer „Kirchenbur­g“und „umfriedete­n Wehrsiedlu­ng“mehr ist als nur eine Hypothese. Es ist ein realer Teil der Wangener Stadtgesch­ichte.

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FOTO: ROHMERT Stephan Wiltsche hielt einen anschaulic­hen Vortrag.

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