Stadtführung lässt die Reformationszeit nacherleben
An drei zentralen Schauplätzen sind Spuren einer wechselvollen Zeit zu finden
RAVENSBURG - Pfarrer Hermann Riedle, Stadtarchivar Andreas Schmauder und Pfarrer Martin Henzler-Hermann haben jetzt eine Zeit des Umbruchs lebendig werden lassen. Der ökumenische Rundgang führt die Teilnehmer von der Liebfrauenkirche, über das Rathaus zur Evangelischen Stadtkirche.
Der Thesenanschlag Martin Luthers im Jahr 1517 ist Anlass, zurzeit ein großes Reformationsjubiläum zu feiern. Die freie Reichsstadt Ravensburg entschied sich im Augsburger Religionsfrieden 1555 für das gleichberechtigte Zusammenleben beider Konfessionen. Den historischen Sonderfall übten auch die Städte Augsburg, Biberach und Dinkelsbühl aus.
Pfarrer Hermann Riedle überraschte in der Liebfrauenkirche einige Teilnehmer mit der Tatsache, dass man hier wie in ganz Ravensburg vom 6. September 1546 bis zum 28. Februar 1548 nur noch evangelische Gottesdienste gefeiert hat. In der freien Reichsstadt ist die Reformation erst spät zum Durchbruch gekommen, weil die Klöster in Weingarten und Weißenau und die Landvogtei auf der Veitsburg den Rat darin unterstützten, die Stadt auf „altgläubigem“Kurs zu halten, erklärte Pfarrer Riedle. „Die Liebfrauenkirche war ein geistliches Zentrum“, ergänzte Stadtarchivar Schmauder. Einflussreiche, eng mit Liebfrauen verbundene Familien stiften Altäre für ihr Seelenheil und sorgten für die Priester. Der reformatorische Bildersturm verbannt dann die meisten der damals 19 Altäre. Erhalten sind aus der vorreformatorischen Zeit einige gotische Glasfenster, der große gekreuzigte Christus und das Chorgestühl.
Im kleinen Sitzungssaal im Rathaus las Andreas Schmauder aus der im 17. Jahrhundert verfassten Stadtchronik. Katholische Handels- und Patrizierfamilien haben bis in die 1540er Jahre im Ravensburger Rat den Kurs bestimmt. Dann zeichnet sich ein Stimmungsumschwung zu Gunsten der Reformation ab. „Die in Zünften organisierten Handwerker streben nach mehr Mitbestimmung“, erklärte der Stadtarchivar. 1544 wird Zunftmeister Bartholome Hensler zum Bürgermeister gewählt.
Der Kaiser leitete die Rekatholisierung ein
Im November 1545 machen Bürgerschaft und Rat Ravensburg zur evangelischen Reichsstadt. Im folgenden Frühjahr treten die Evangelischen dem Schmalkaldischen Bund bei. Im Schmalkaldischen Krieg siegt dann aber die Gegenmacht unter Kaiser Karl, dem V. Der Kaiser leitet die Rekatholisierung ein und will die Zünfte auflösen. „Ravensburg lässt es aber einfach schleifen und ändert nichts“, erzählte Stadtarchivar Schmauder. Im Augsburger Religionsfrieden von 1555 entscheidet man sich dann für den paritätischen Sonderweg. Der Rat beschließt: „Es soll keiner den anderen in Religionssachen verachten.“Alle Ämter, vom Totengräber bis zum Bürgermeister, werden doppelt besetzt.
In der Evangelischen Stadtkirche erklärte Pfarrer Henzler-Hermann: „Während der Zeit der Parität spitzen sich hier die Konflikte zu.“Die damalige Karmeliterkirche wird aufgeteilt in einen katholischen Chorraum und ein evangelische Langhaus. An den überlieferten Konfliktgeschichten sei abzulesen, wie gut oder schlecht man sich vertragen habe, so Pfarrer Henzler-Hermann.