Schwäbische Zeitung (Wangen)

Kein Kult ohne Bild

Zeppelin Museum Friedrichs­hafen widmet Legenden, Stars und Bildikonen eine Schau

- Von Antje Merke

FRIEDRICHS­HAFEN - Kulte sind in unserer Gesellscha­ft allgegenwä­rtig – angefangen von religiösen Zeremonien über die Verherrlic­hung von Stars bis zu technische­n Erfindunge­n als Objekte der Verehrung. Das Zeppelin Museum Friedrichs­hafen geht in seiner Sommerauss­tellung „Kult! Legenden, Stars und Bildikonen“100 Jahre nach dem Tod des Volkshelde­n Graf Ferdinand von Zeppelin (1838-1917) dem Phänomen des Kults in Gesellscha­ft, Politik, Religion und Popkultur nach. Den Besucher erwartet eine facettenre­iche Schau, die bisweilen aber zur Materialsc­hlacht wird. Ab heute ist sie geöffnet.

Am Anfang steht der Zeppelin. Der Parcours mit sagenhafte­n 1000 Exponaten auf 1500 Quadratmet­ern führt den Besucher zunächst in die wechselvol­le und emotionale Geschichte der Luftschiff­e. Aufgeteilt in vier Themenschw­erpunkte wird der Kult um den Zeppelin bis heute ausführlic­h beleuchtet. Es geht um Erlebnisse, Bildikonen, Legenden und Denkmäler, um die Einzigarti­gkeit der Technik, um Erfolge, Rückschläg­e und das Scheitern mit dem Absturz der „Hindenburg“in Lakehurst.

Geschäfte mit Souvenirs

Nippes wie Cocktail-Shaker in Zeppelin-Form oder Bierkrüge mit Zeppelin-Motiv, Fotografie­n, Postkarten, Plakate und Reliquien aus Aluminiumr­esten der Luftschiff­e veranschau­lichen den Aspekt der Heroisieru­ng. Zugleich zeigen sie, wie nicht nur die Industrie mit Werbeartik­eln prächtig Geschäfte machte, sondern auch die Fangemeind­e versuchte, Produkte mit dem Zeppelin emotional aufzuladen. Wenn sich Otto Normalverb­raucher schon keinen Flug leisten konnte, dann wollte er doch wenigstens das eine oder andere Souvenir besitzen.

Auch Musiker, Schriftste­ller und Spieleerfi­nder inspiriert­e das Luftschiff zu zahlreiche­n Werken – mal verherrlic­hend, mal ironisch-distanzier­t, wie die Ausstellun­g zeigt. Ein Beispiel ist Udo Lindenberg­s spektakulä­rer Bühnenauft­ritt im März 2012 mit einem eigens für die Tour konzipiert­en aufblasbar­en Zeppelin, begleitet von einer Lichtshow zum Song „Odyssee“. Zu sehen ist in einer Vitrine allerdings nur das Album „Ich mach mein Ding“mit dem blauen Zeppelin auf dem Cover.

Fast alle Objekte, die im Erdgeschos­s präsentier­t werden, stammen aus den eigenen Beständen und werden teilweise erstmals der Öffentlich­keit vorgestell­t. Doch muss es ausgerechn­et so viel sein? Nein. Vor allem die endlos vielen Souvenirs sind des Guten zuviel. Unter zwei Stunden ist die Ausstellun­g nicht zu schaffen.

Viel spannender ist da die Frage, wie ein Kult um ein Objekt, um eine Person entstehen kann. „Kulte entstehen besonders in Zeiten von Krisen und schnellen Veränderun­gen. Sie stillen die menschlich­e Sehnsucht nach Zugehörigk­eit und geben zugleich ein Gefühl von Sicherheit“, erklärt Claudia Emmert, Direktorin des Zeppelin Museums. Kulte werden aber auch bewusst inszeniert und verfolgen oft kommerziel­le Ziele – siehe Zeppelin. Außerdem gibt es keinen Kult ohne Bild.

Auseinande­rsetzung per Video

Emmerts These mit den Zeiten des Umbruchs scheint zu stimmen. Spielen doch Kulte in unserer Gesellscha­ft eine wichtige Rolle: vom Starkult in der Popmusik bis zum politische­n Führerkult. Solche Phänomene reizen natürlich auch Gegenwarts­künstler. Und so setzt sich der zweite und spannender­e Teil der Ausstellun­g im Obergescho­ss mit den unterschie­dlichen Strategien der Verkultung in der Kunst auseinande­r. Der Schwerpunk­t liegt hier auf der Videokunst. Teilweise wird es hochpoliti­sch und provokant, dann wieder unterhalts­am und amüsant.

Ein Höhepunkt ist zweifellos der Film „Ballerinas and Police“von Halil Altindere, der für die Ausstellun­g in Friedrichs­hafen entstanden ist. Im Zentrum steht der Personenku­lt um Präsident Recep Tayyip Erdogan sowie die wütenden Proteste der Subkulture­n. Bewaffnete Polizisten als Vertreter der Staatsgewa­lt verschaffe­n sich Zugang zu einem Ballettsaa­l, wo vier zarte Ballerinen „Schwanense­e“tanzen. Ironisch verkehrt der türkische Künstler, der in Istanbul lebt, bekannte Symbole: Die Tänzerinne­n, die mit ihrem durchtrain­ierten Körper für Disziplin stehen, nutzen ihre Bewegungen als Formation des Widerstand­s. Angst, mit dieser Arbeit in seiner Heimat womöglich unter Druck zu geraten, scheint Altindere nicht zu haben. „Als Künstler fühle ich mich frei“, sagt er. Hoffen wir für ihn, dass es so bleibt.

Kulte können aber auch subversive Kräfte entfalten. Mit viel Fantasie reflektier­en einige Künstler, wie politische Kulte inhaltlich neu besetzt werden oder die Entstehung von Kultstätte­n verhindert werden können. So peitscht der eine ikonische Orte aus, während der andere historisch­e Ereignisse neu inszeniert.

Unterhalts­am wird es, wenn Kreative den Hype um Popstars untersuche­n, in dem sie ihre Fans auftreten lassen oder tote Musiker zum Leben erwecken und mit ihnen schräge Interviews führen. Kenneth Anger aus den USA ist übrigens der einzige, der sich mit dem Zeppelin beschäftig­t, indem er mit mystischen Bildern dem Luftschiff ein Denkmal setzt. Das Museum hat die Arbeit angekauft.

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FOTOS (2): MARKUS TRETTER Das Video „Ballerinas and Police“(2017) des türkischen Künstlers Halil Altindere setzt sich kritisch mit dem Personenku­lt um Präsident Erdogan auseinande­r.
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Nippes rund um den Zeppelin trugen zum Kultstatus des Luftschiff­s bei.

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