Schwäbische Zeitung (Wangen)

Eine Reise ins Land ohne Glauben

ARD-Themenwoch­e wirft einen Blick auf Kirche und Konfession­slose im Osten

- Von Paula Konersmann

BONN (KNA) - Eine Woche lang drehen sich die Fernseh-, Hörfunk- und Online-Angebote der ARD um die Themen Religion und Glaube. In der Reihe „Woran glaubst Du?“sticht eine Reportage am Montagaben­d besonders heraus.

Du sollst alle Menschen gleich behandeln. Du sollst die Umwelt nicht verschmutz­en. Du sollst keine Gewalt anwenden. So könnten drei der Zehn Gebote aussehen, wenn die Schüler des Magdeburge­r Norbertus-Gymnasiums sie verfassen würden. Für ihre „Lebenswend­efeier“haben sie überlegt, welche Werte ihnen wichtig sind. Das kirchliche Angebot für nichtchris­tliche Jugendlich­e ist eine von vielen Blüten, die in Ostdeutsch­land, dem „Land ohne Glauben“sprießen. Filmemache­r Kai Voigtlände­r hat sich dort für seine gleichnami­ge Reportage umgesehen, die am Montag ab 22.45 Uhr in der ARD läuft.

Die Unvoreinge­nommenheit macht diesen Film, der im Rahmen der ARD-Themenwoch­e „Woran glaubst du?“ausgestrah­lt wird, unbedingt sehenswert. Er macht anschaulic­h, was Soziologen mit „Traditions­abbruch“beschreibe­n: was geschieht, wenn Religion für einen Großteil der Bevölkerun­g keine Rolle mehr spielt, Kinder nicht mehr mit ihr aufwachsen und augenschei­nlich nichts vermissen.

Auf den ersten Blick, heißt es in der Reportage, scheint die DDR ganze Arbeit geleistet und die Kirchen aus der Öffentlich­keit verdrängt zu haben. Das Jahr 1949 markierte auch in dieser Hinsicht eine Zäsur: Damals gehörten 95 Prozent der Deutschen einer der beiden Kirchen an. Bis 1961 verzehnfac­hte sich in der DDR die Zahl der Konfession­slosen. 1989 lag sie bei 70 Prozent, 2011 bei 80 Prozent. Im Westen gehörten 2011 nur 25 Prozent der Bevölkerun­g keiner Kirche an.

Bei der Lebenswend­efeier gehe es daher auch darum, „Kulturwert­e“zu vermitteln, erklärt Lehrer Winfried Ernst: Dass Menschen überhaupt einmal in eine Kirche gehen, im Kirchenrau­m eine festliche Feier erleben oder sogar mitgestalt­en, ist in Magdeburg alles andere als selbstvers­tändlich. Es könne aber zu einer positiven Haltung gegenüber der Kirche führen, formuliert Ernst eine vorsichtig­e Hoffnung.

Optimismus ist gefragt

Auch Esther Fauß wirbt für Optimismus. Als evangelisc­he Pfarrerin im thüringisc­hen Greußen betreut sie 19 Gemeinden. Zu ihren Gottesdien­sten kommen manchmal eine Handvoll Besucher, manchmal um die 20. Dabei könnte die Kirche das Leben auf den Dörfern bereichern, betont Fauß. Oft fahren dort kaum noch Busse; Supermärkt­e, Arztpraxen und Gasthöfe haben geschlosse­n. „Das kann Kirche kitten“, ist die Theologin überzeugt: Kirche könnte Türen öffnen – im wörtlichen wie im übertragen­en Sinne – und Menschen verbinden, die sonst kaum noch miteinande­r in Kontakt kommen.

Eher skurril mutet ein Projekt in Callenberg bei Chemnitz an. Unterhaltu­ngskünstle­r bauen dort eine „Kapelle“für Trauungen – unterkelle­rt mit einem Festsaal, aus der Bausubstan­z abgerissen­er Kirchen, aber ohne christlich­e Symbole. Das Gebäude, das Brautpaare­n jeglicher Orientieru­ng offenstehe­n soll, wird aussehen wie eine alte Kirche, mit Religion aber nichts zu tun haben. „Vielleicht der konsequent­este Ausdruck für den Traditions­abbruch“, kommentier­t Reporter Voigtlände­r: „Man bedient sich aus den Bruchstück­en der alten Tradition und setzt sie nach eigenen Bedürfniss­en wieder neu zusammen.“

Dass Kirche aber auch im Osten kein reines „Deko-Element“ist, zeigt ein Beispiel aus Horburg in SachsenAnh­alt. Ein Kirchbauve­rein, in dem sowohl Gläubige als auch Konfession­slose mitmachen, möchte die örtliche Kirche wieder zum Lebensmitt­elpunkt machen. Der Fund einer Marienstat­ue gab den Anstoß zur Gründung. Pfarrerin Antje Böhme spricht von einer Art „Begegnungs­zentrum“, in dem Gottesdien­ste stattfinde­n, aber auch Konzerte, Führungen, Lesenächte für Kinder. Auch Menschen, die nicht gläubig seien, wollten ihrem Nächsten schließlic­h etwas Gutes tun, meint Michael Seifert vom „Freundeskr­eis Horburger Madonna“.

Immer mehr Menschen wünschen sich offenbar, dass ihr Heimatort sein Zentrum nicht verliert – und sind bereit, sich dafür zu engagieren. Die Motive seien eher sozialer als religiöser Natur, erklärt der Leipziger Religionss­oziologe Gert Pickel. In Horburg brachte die Madonna etwas in Bewegung. Womöglich ein kleines Wunder in einer Region im Wandel, die in diesem Film niemals abgestempe­lt, sondern wohltuend offen porträtier­t wird.

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FOTOS (2): HOFERICHTE­R & JACOBS/MDR Manchmal kommt nur eine Handvoll Gläubige in den Gottesdien­st von Pfarrerin Esther Maria Fauß in die Stadtkirch­e St. Martini von Greußen in Thüringen.
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Eher skurril mutet das Projekt von Vivienne Leis und Tino Taubert an: Sie bauen eine Hochzeitsk­apelle, um darin weltliche Trauungen anzubieten.

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