Jungforscher blättern im „Tagebuch des Sees“
„Bonbon“für Preisträger: Forschungsschiffe gehen mit Schülern gemeinsam auf Bodensee-Exkursion
FRIEDRICHSHAFEN - Über den wissenschaftlichen Tellerrand hinaus geschaut haben am Donnerstag 15 preisgekrönte wie forschungserprobte Schüler. Sie taten es innerhalb einer gemeinsamen Exkursion auf der „Kormoran“, der schwimmenden Forschungsplattform des Instituts für Seenforschung in Langenargen( IfS), und an Bord der „Aldebaran“, dem derzeit auf dem See kreuzenden Medien- und Forschungsschiff aus Hamburg. Beide Schiffe fuhren mit jungen Mathematikern, Physikern und Informatikern raus auf den See. Dabei wurden vom Seegrund Sedimentproben genauso gezogen wie die Jungforscher Spuren von Mikroplastik aus dem Wasser fischten.
Mit von der Partie sind die Tettnanger Gymnasiasten Nicolas und Dominic Zedler sowie David Seyboldt, ein Schüler des Friedrichshafener Graf-Zeppelin-Gymnasiums. Das Trio kennt sich vom Häfler Schülerforschungszentrum. Normalerweise beschäftigen sich die drei Jungs mit mathemathischen Methoden mit Bewegungs- und Ziffernerkennung, erzählt der betreuende Mathe- und Informatiklehrer Wolfgang Seyboldt. Jetzt wandeln die drei Jungforscher auf fremdem wissenschaftlichen Terrain: An Bord der „Kormoran“geht’s zur Probenentnahme zur Seemitte hinaus. In 180 Meter Tiefe, dort wo das Projekt „Tiefenschärfe – hochauflösende Vermessung Bodensee“ein mäandrierendes Gebilde auf die Bildschirme der Wissenschaftler transportiert hat.
Martin Wessels, Geologe im IfS, spricht beim einführenden Tiefenschärfe-Vortrag von einem sehr „reichhaltigen strukturierten Seegrund“. Als die Wissenschaftler die ersten Bilder gesehen haben, war die Begeisterung groß: „Da zeigten sich ungewohnt klare Strukturen.“Im Vergleich zur Tiefenuntersuchung von 1990 sei das so gewesen, erzählt Wessels, als sei man „kurzsichtig – und setzt sich dann eine Brille auf“. Die Schüler sehen in Wessels Präsentation auf dem Seegrund dahinschlängelnde Mäander genauso wie Hügel in den Uferzonen. Die Wissenschaftler nennen sie „Hügli“. Woher sie kommen? Selbst Archäologen tappen noch im Dunkeln. Hangrutsche werden genauso sichtbar wie das gesunkene Schiff, das „Tiefenschärfe“aus seinem DornröschenSchlaf erweckt hat. Und, die Zuhörer erfahren, dass der See mittlerweile nur noch 251,1 Meter tief ist. Auch das haben die mit Laserscanner und Fächerecholot erhobenen 19 Milliarden Datenpunkte manifestiert.
Die „Kormoran“liegt auf mitten im See. Sie dümpelt in ruhigem Wasser auf der Linie Langenargen-Arbon. Das Kranseil bewegt sich. Es holt das mit Sediment gefüllte Plexiglasrohr nach oben. Darin verborgen sind rund 100 Jahre Bodensee-Geschichte. Was da ans Tageslicht kommt ist nämlich nichts anderes als das „Tagebuch des Sees“. Oder auch dessen „Gedächtnis“, erklärt Martin Wessels.
Der Wissenschaftler „schlachtet“vor den Augen der Schüler das rund ein Meter lange Plexiglasrohr. Der modrig riechende Schnitt offenbart den staunenden Zuschauern unterschiedlichste Sedimentschichtungen. Sie reichen von leicht gräulich bis Grau. Sind teils sogar schwarz. „Man erkennt klar, wann es Hochwasserzeiten gegeben hat“, erläutert der stellvertretende Chef des Forschungsinstituts in Langenargen. Grundsätzlich: „Besonders auffällig im Sediment sind die letzten 100 Jahre“, sagt der promovierte Geologe. „Da wurde der Eingriff des Menschen in die Natur und auch den Bodensee so richtig sichtbar.“
Ein Wurm und seine Lacher
Das Blättern im Geschichtsbuch des Sees begeistert die Schüler. Fasziniert von den „so stark unterschiedli- chen Strukturen“zeigt sich Nicolas Zedler. Sein Bruder Dominic schwärmt „von der Technik des Echolots“, welches die „Kormoran“direkt an die ausgesuchte, 180 Meter tief liegende Stelle im See, gelotst hat. David Seyboldt erfreut sich wie die anderen „Gymis“an dem im freigelegten Sediment plötzlich auftauchenden Wurm. „Nach seinem dunklen Dasein in der Seetiefe scheint er die Sonne richtig zu genießen.“Klar, dass der Schüler herzhafte Lacher auf seiner Seite hat. Auch das ist Wissenschaft und Forschung.
Reicht der wissenschaftliche Blick auf der „Kormoran“tief runter zum Seegrund, thematisiert Hannes Imhof auf der Aldebaran“den Schülern an Bord des gelben Seglers zwei Lebensräume des Sees. Da geht’s zunächst um die lichtdurchflutete Freiwasserzone. Der Biologe der Uni Bayreuth geht aber auch auf die Flachwasserzone des Sees ein. Der Bereich, der die „Kinderstube der Fische“ist und deshalb im gesamtökologischen Zusammenhang „so total wichtig ist“, sagt der Tierökologe mit dem Doktortitel.
Letztendlich fischen Wissenschaftler und Gymnasiasten im Seewasser nach Mikroplastik. Die Ausbeute ist gering. Ist der Bodensee in dieser Hinsicht stark belastet?“, fragt eine junge Wissensdurstige. Hannes Imhof hält sich mit einer klaren Aussage zurück. Er will, wie er sagt, einer abgeschlossenen Mikroplastik-Untersuchung und deren Veröffentlichung nicht vorgreifen. Frank Schweikert zeigt sich mutiger. Der Skipper und Besitzer der „Aldebaran“spricht von einer Belastung am Bodensee, die „vergleichsweise gering ist“. Im Vergleich zum Rhein. Zur Elbe und der Nord-und Ostsee. So die Einschätzung des skippernden Journalisten und Biologen.