Premierministerin auf dem Schleudersitz
Theresa May von Vertrauten verlassen, von Parteifreunden verhöhnt, von nordirischen Unionisten gedemütigt
LONDON - Nach der verzockten Wahl zum Unterhaus ging am Wochenende die Demontage der schwer angeschlagenen Premierministerin Theresa May weiter. Die nordirischen Unionisten dementierten in der Nacht zum Sonntag, dass ihre Duldung der konservativen Minderheitsregierung bereits beschlossene Sache sei. Auf Druck wichtiger Minister musste sich die Regierungschefin von ihren zwei engsten Beratern trennen. Verteidigungsminister Michael Fallon kündigte in der BBC für die Zukunft „mehr gemeinsame Entscheidungen im Kabinett“an. Hingegen sprach der frühere Finanzminister George Osborne aus, was viele Parteifreunde denken: Die Premierministerin sei politisch „eine Tote auf Urlaub“.
Etwas weniger brutal drückte es die Schlagzeile des stramm konservativen „Telegraph on Sunday“aus: May sei „im Amt, aber nicht an der Macht“. Das Blatt zitierte damit ein berühmtes Bonmot über den glücklosen Tory-Premier John Major (1990-97). Wie geschwächt die 60-Jährige dasteht, verdeutlichte gleich am Freitag die erste Nachricht über das neue Kabinett: In den Ressorts Finanzen, Brexit, Inneres, Äußeres und Verteidigung bleibt alles beim Alten. Im Wahlkampf hatten Mays Vertraute vor allem den Finanzminister Philip Hammond systematisch demontiert, weil dieser für einen weichen Brexit eingetreten war.
Mays als Rüpel verschrieene Bürochefs Fiona Hill und Nick Timothy traten am Samstag zurück und übernahmen die Verantwortung für die desaströse Wahlkampagne. Neuer Kabinettschef und de facto Vize-Premierminister wird der bisherige Arbeitsminister Damian Green, ein enger Vertrauter der Regierungschefin.
Wirtschaft will mitreden
Zusätzlich ließ Minister Philipp Hammond durchsickern, er habe von Theresa May die Zusicherung erhalten, dass in den Brexit-Verhandlungen die Stimme der Wirtschaft eine größere Rolle spielen werde. Alle großen Unternehmen und Wirtschaftsverbände halten den harten Brexit samt Austritt aus Binnenmarkt und Zollunion für katastrophal.
Der zuständige Brexit-Ressortleiter David Davis wird in London ebenso als May-Nachfolger gehandelt wie Außenminister Boris Johnson. Doch der wies das als „Unsinn“(„Tripe“) zurück. Allerdings sind die Dementis des 52-Jährigen ähnlich glaubwürdig wie sein Versprechen vom vorigen Jahr, nach dem Austritt könne das Land umgerechnet rund zehn Milliarden Euro pro Jahr zusätzlich für das Nationale Gesundheitssystem NHS ausgeben.
May will ihr Kabinett zusammenstellen, ehe sie sich am Dienstagabend ihrer dezimierten Fraktion im Unterhaus stellen muss. Die Konservativen entsenden statt wie bisher 331 nur noch 318 Abgeordnete nach Westminster. Die Labour-Opposition (262) gewann 30 Mandate hinzu, die Liberaldemokraten (12) stellen vier zusätzliche Volksvertreter. Drittstärkste Fraktion bleiben aber trotz des Verlustes von 21 Mandaten die schottischen Nationalisten (35).
Im britischen Norden erlebten die Torys eine erstaunliche Renaissance: Statt bisher einem einzigen Vertreter machen jetzt 13 konservative Schotten in London Politik. Das stärkt die Position der charismatischen Regionalpartei-Chefin Ruth Davidson, 38. Die in lesbischer Gemeinschaft lebende Journalistin ließ ihre Londoner Parteichefin das neugewonnene Selbstvertrauen deutlich spüren. May musste der Schottin ausdrücklich bestätigen, dass die zur Stützung der Minderheitsregierung notwendigen Unionisten Nordirlands keinen Einfluss auf die liberale Gesellschaftspolitik der Konservativen in Großbritannien erhalten, wo seit 2014 die Homo-Ehe legal ist. Gegen ähnliche Bestrebungen in Nordirland hat die Unionistenpartei DUP stets ihr Veto eingelegt.
Mit DUP-Chefin Arlene Foster verhandelte Mays Fraktionsgeschäftsführer Gavin Williamson. Nachdem Downing Street am Samstag bereits eine Einigung signalisiert hatte, mussten die Konservativen ein Dementi verkraften: Die Verhandlungen würden Anfang der Woche weitergehen, hieß es bei der DUP.