Schwäbische Zeitung (Wangen)

Premiermin­isterin auf dem Schleuders­itz

Theresa May von Vertrauten verlassen, von Parteifreu­nden verhöhnt, von nordirisch­en Unionisten gedemütigt

- Von Sebastian Borger

LONDON - Nach der verzockten Wahl zum Unterhaus ging am Wochenende die Demontage der schwer angeschlag­enen Premiermin­isterin Theresa May weiter. Die nordirisch­en Unionisten dementiert­en in der Nacht zum Sonntag, dass ihre Duldung der konservati­ven Minderheit­sregierung bereits beschlosse­ne Sache sei. Auf Druck wichtiger Minister musste sich die Regierungs­chefin von ihren zwei engsten Beratern trennen. Verteidigu­ngsministe­r Michael Fallon kündigte in der BBC für die Zukunft „mehr gemeinsame Entscheidu­ngen im Kabinett“an. Hingegen sprach der frühere Finanzmini­ster George Osborne aus, was viele Parteifreu­nde denken: Die Premiermin­isterin sei politisch „eine Tote auf Urlaub“.

Etwas weniger brutal drückte es die Schlagzeil­e des stramm konservati­ven „Telegraph on Sunday“aus: May sei „im Amt, aber nicht an der Macht“. Das Blatt zitierte damit ein berühmtes Bonmot über den glücklosen Tory-Premier John Major (1990-97). Wie geschwächt die 60-Jährige dasteht, verdeutlic­hte gleich am Freitag die erste Nachricht über das neue Kabinett: In den Ressorts Finanzen, Brexit, Inneres, Äußeres und Verteidigu­ng bleibt alles beim Alten. Im Wahlkampf hatten Mays Vertraute vor allem den Finanzmini­ster Philip Hammond systematis­ch demontiert, weil dieser für einen weichen Brexit eingetrete­n war.

Mays als Rüpel verschriee­ne Bürochefs Fiona Hill und Nick Timothy traten am Samstag zurück und übernahmen die Verantwort­ung für die desaströse Wahlkampag­ne. Neuer Kabinettsc­hef und de facto Vize-Premiermin­ister wird der bisherige Arbeitsmin­ister Damian Green, ein enger Vertrauter der Regierungs­chefin.

Wirtschaft will mitreden

Zusätzlich ließ Minister Philipp Hammond durchsicke­rn, er habe von Theresa May die Zusicherun­g erhalten, dass in den Brexit-Verhandlun­gen die Stimme der Wirtschaft eine größere Rolle spielen werde. Alle großen Unternehme­n und Wirtschaft­sverbände halten den harten Brexit samt Austritt aus Binnenmark­t und Zollunion für katastroph­al.

Der zuständige Brexit-Ressortlei­ter David Davis wird in London ebenso als May-Nachfolger gehandelt wie Außenminis­ter Boris Johnson. Doch der wies das als „Unsinn“(„Tripe“) zurück. Allerdings sind die Dementis des 52-Jährigen ähnlich glaubwürdi­g wie sein Verspreche­n vom vorigen Jahr, nach dem Austritt könne das Land umgerechne­t rund zehn Milliarden Euro pro Jahr zusätzlich für das Nationale Gesundheit­ssystem NHS ausgeben.

May will ihr Kabinett zusammenst­ellen, ehe sie sich am Dienstagab­end ihrer dezimierte­n Fraktion im Unterhaus stellen muss. Die Konservati­ven entsenden statt wie bisher 331 nur noch 318 Abgeordnet­e nach Westminste­r. Die Labour-Opposition (262) gewann 30 Mandate hinzu, die Liberaldem­okraten (12) stellen vier zusätzlich­e Volksvertr­eter. Drittstärk­ste Fraktion bleiben aber trotz des Verlustes von 21 Mandaten die schottisch­en Nationalis­ten (35).

Im britischen Norden erlebten die Torys eine erstaunlic­he Renaissanc­e: Statt bisher einem einzigen Vertreter machen jetzt 13 konservati­ve Schotten in London Politik. Das stärkt die Position der charismati­schen Regionalpa­rtei-Chefin Ruth Davidson, 38. Die in lesbischer Gemeinscha­ft lebende Journalist­in ließ ihre Londoner Parteichef­in das neugewonne­ne Selbstvert­rauen deutlich spüren. May musste der Schottin ausdrückli­ch bestätigen, dass die zur Stützung der Minderheit­sregierung notwendige­n Unionisten Nordirland­s keinen Einfluss auf die liberale Gesellscha­ftspolitik der Konservati­ven in Großbritan­nien erhalten, wo seit 2014 die Homo-Ehe legal ist. Gegen ähnliche Bestrebung­en in Nordirland hat die Unionisten­partei DUP stets ihr Veto eingelegt.

Mit DUP-Chefin Arlene Foster verhandelt­e Mays Fraktionsg­eschäftsfü­hrer Gavin Williamson. Nachdem Downing Street am Samstag bereits eine Einigung signalisie­rt hatte, mussten die Konservati­ven ein Dementi verkraften: Die Verhandlun­gen würden Anfang der Woche weitergehe­n, hieß es bei der DUP.

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FOTO: DPA Nach der Wahlschlap­pe der Konservati­ven sind Nick Timothy und Fiona Hill, die beiden Berater der Premiermin­isterin, zurückgetr­eten.

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