„Es ist schrecklich, aber auch schön“
Lindauerin Romy Bornscheuer hilft Bootsflüchtlingen auf der griechischen Insel Lesbos
LINDAU - Am Strand von Lesbos stapeln sich hunderte von Schwimmwesten. Jede erzählt eine Geschichte, viele davon sind traurig. Die meisten handeln von einer dramatischen Flucht übers Meer und von Menschen, die alles hinter sich gelassen haben, um in überfüllten Schlauchbooten nach Griechenland zu kommen. Die Lindauerin Romy Bornscheuer kennt solche Schicksale. Die 18-Jährige hat einen Monat lang mit der griechischen Hilfsorganisation ERCI („Emergency Response Centre International“) Menschen aus dem Meer gezogen. Was sie in dieser Zeit gesehen hat, geht ihr nicht aus dem Kopf. „Man kann sich nicht vorstellen, dass das in Europa passiert“, sagt die 18-Jährige immer wieder. Ihr Appell: „Wie müssen diesen Menschen, die unverschuldet in Not geraten sind, helfen.“
Der Anruf kommt in der Nacht. Eigentlich ist es Zufall, dass Romys Chef das Boot entdeckt hat. Eine Minute später hat sich Romy Bornscheuer in ihren Surfanzug gezwängt und ist einsatzbereit. Sie fahren zum Strand und machen, was sie jeden Tag trainieren: Schnell bilden sie einen menschlichen Korridor, um das Boot in Empfang zu nehmen. Ganz vorne im Wasser sind Helfer, die wenigstens ein paar Worte arabisch sprechen, am Strand warten Ärzte und dazwischen sind Helfer, die einfach mit anpacken, um die Flüchtlinge schnell an Land zu bringen. Diesmal sind es 46 Frauen, Männer und Kinder, die auf einem „Minischlauchboot“die Flucht gewagt haben, erzählt die Lindauerin. Sie kommen aus Syrien, Kamerun und Eritrea. „Als wir das Boot an Land gezogen haben, haben alle geweint.“
„Es ist schrecklich, aber auch schön“, beschreibt Romy ihre Arbeit bei ERCI. Die Hilfsorganisation leistet auf Lesbos sowohl im Hotspot Kara Tepe als auch an der Küste und im Wasser mit Booten erste Hilfe für Bootsflüchtlinge. Schrecklich ist es, weil die 18-Jährige viel Leid sieht: Menschen, die Jahre in kleinen Containern hausen, unter schlimmen hygienischen Verhältnissen, zum Warten und Nichtstun verdammt. Kinder, denen es an vielem fehlt – auch an Bildung, weil sie nie eine Schule besucht haben. „Es ist so traurig.“
Was die junge Frau zum Helfen antreibt, sind die Menschen. Die netten Kollegen im Team, vor allem aber die Flüchtlinge selbst. „Die sind einfach großartig“, sagt Romy. Leute, die sie gar nicht kennt, laden sie zum Essen ein, sind gastfreundlich und offen. Am liebsten spielt Romy aber mit den Kindern. „Die machen das Beste aus ihrer Situation“, sagt sie. Die machen Quatsch, klettern auf Olivenbäume, versuchen Kind zu sein, trotz allem. Wenn gerade kein Einsatz ist, arbeitet die Helferin im „Warehouse“, verwaltet und verteilt Spenden.
Als Skipperin nach Griechenland
Romy Bornscheuer ist wieder zurück in Lindau. Zumindest vorübergehend. Die 18-Jährige, die vergangenes Jahr am Bogy Abitur gemacht hat, lernt jede frei Minute. Sie weiß, warum: Sie möchte Medizin studieren, um den Menschen noch besser helfen zu können. Und sie macht den Bootsführerschein – um im Sommer wieder an der türkischen Grenze helfen zu können. Als Skipperin, und diesmal soll es mitten in einen Brennpunkt gehen.
Seit einiger Zeit spitzt sich die Lage auf der Nachbarinsel von Lesbos, auf Chios, zu. „Die Kapazitäten der Camps sind weit überlastet, Kinder und Kranke müssen wochenlang und ohne Perspektive im Freien ausharren. Täglich kommen neue Boot an“, sagt Romy Bornscheuer. Die Menschen kommen aus Syrien, dem Irak und Nordafrika. Das Team von ERCI habe beschlossen, auch nach Chios zu gehen, da es dort weder genügend Helfer noch qualifizierte Nichtregierungsorganisationen gebe. Sie wollen medizinische Hilfe leisten und die Situation in den Camps verbessern. Romy Bornscheuer will dabei sein.
Sie kann es kaum erwarten. Auf ihrem Handy läuft bereits der Countdown. Zwei Tage, nachdem sie die Aufnahmeprüfung fürs Medizinstudium in Österreich gemacht hat, wird sie schon wieder ins Flugzeug steigen. „Meine Eltern müssen viel mitmachen“, sagt Romy, „aber sie können verstehen, warum ich es mache.“Weil es ihr Spaß macht, mit Menschen aus verschiedenen Kulturen zusammenzusein, und weil sie die Chance nutzen will, zu helfen.
Sollte es mit dem Medizinstudium nicht auf Anhieb klappen, dann hat die Lindauerin schon einen Plan B. „Wenn ich gebraucht werde, bleibe ich noch in Griechenland“, sagt sie. Aber aufgeben kommt für die junge Frau nicht in Frage: „Ich mach den Test so lange, bis ich es schaffe.“