Schwäbische Zeitung (Wangen)

Mit dem Schwert zur Schlacht, mit Küssen zum Kampf

Hoch über dem Rheintal führt die Jungfrau von Orléans ihr Heer ins Gefecht – Der schlimmste Krieg aber tobt in ihrem Innern

- Von Ingrid Grohe

MARIA BILDSTEIN/BREGENZ - Ein Schrei gellt über das Rheintal. Lang, voller Inbrunst und Kraft – so laut, als müsse er noch das Säntismass­iv erreichen, das in der Ferne den Blick begrenzt. Es ist der Schrei Johannas. Brüllend will sie den Kleinmut des Königs niederring­en, die Soldaten zum Marschiere­n zwingen, den Feind zerstören. Der Schrei kommt aus dem Innersten und verlangt das Äußerste – auch von Johanna selbst. Berufen, das heimatlich­e Heer in die Schlacht zu führen, versagt sie sich selbst, ein ganzer Mensch zu sein.

Jeden Sommer lockt das Vorarlberg­er Landesthea­ter in Bregenz seine Gäste ins Freie: Der Bodenseest­rand, der Park einer neobarocke­n Villa oder jetzt – zum wiederholt­en Mal – der Platz vor der Wallfahrts­kirche Maria Bildstein über Wolfurt bezaubern als betörend schöne Kulisse, bevor noch ein Akteur die Bühne betreten hat. Eine Riesen-Arena gilt es hier zu bespielen, die Handlung tritt in Konkurrenz zur Dramaturgi­e von Himmel und Bergen, See und blutrot untergehen­der Sonne.

Schillers „Die Jungfrau von Orléans“passt bestens in dieses Setting, mit existenzie­llen Erfahrunge­n wie Wahn und Vision, Todesangst und Todesmut, Verrat und Verzweiflu­ng. Mit scheinbar unerschöpf­licher Energie toben und kämpfen sich die neun Darsteller des Landesthea­ters an der erschütter­nden Geschichte von Jeanne d’Arc, der französisc­hen Nationalhe­ldin und katholisch­en Heiligen, ab.

Viele Ansätze für Deutungen

Schillers Tragödie böte viele Ansatzpunk­te für Deutungen an: etwa die blinde Selbstgere­chtigkeit, mit der jeder Kriegsherr die Moral für sich beanspruch­t und damit auch das Recht zu hassen, zu rächen und zu töten. Vielmehr noch der befremdlic­he Deal des Bauernmädc­hens mit dem Himmel: Jungfräuli­chkeit gegen Kriegsglüc­k. Was ist das für ein Gott, der sich mit dem Verzicht auf Liebe bestechen lässt? Oder ist Gott schon lange aus dem Spiel, ist vielmehr der Entzug von Bindung und Sexualität ein Mittel, den Menschen zum Äußersten zu treiben, ihn zu einer (Kampf-)Maschine mit Erfolgsgar­antie zu machen?

An einigen Stellen stellt Regisseuri­n Bettina Bruinier solche Fragen. Sie deutet die Macht der Beziehung, die Gefahr der Verblendun­g, die Projektion von Gefühlen in symbolhaft­en Handlungen und Bildern an. So ziehen die Kämpfer nicht nur mit dem Schwert in die Schlacht – mancher Kampf entscheide­t sich auch in einem Kuss. Die Starken sind hier übrigens die Frauen: Sie überzeugen, drohen, manipulier­en die Männer, welche nur glauben, mächtige Fürsten zu sein.

Das Personenge­flecht des Schillersc­hen Dramas steht in Bruiniers Inszenieru­ng jedoch nicht im Mittelpunk­t, es bildet eher den Raum, in dem die Heldin selbst sich prächtig entfalten kann. Über zwei Stunden hinweg malt sie ohne ein einziges unterbrech­endes Aufatmen die seelischen Abgründe, in die die 17-Jährige blickt, mal angekündig­t mit flimmernd elektronis­cher Musik, mal begleitet von choralarti­gem Gesang, meist unterlegt mit einem tief wummernden Bass, der die Zuseher ebenso unmittelba­r trifft wie die bohrenden Blicke der Protagonis­ten. Mareile Blendl als Johanna spielt alle Seelenzust­ände – zwischen abgrundtie­fer Trauer und ungebremst­er Raserei – mit einer Überzeugun­gskraft, die keinen Zweifel daran zulässt, dass ihr die Muttergott­es selbst befiehlt und dass ihr Frankreich – nicht das Rheintal – zu Füßen liegt.

Bregenz

Und jetzt: Die Welt! und Und dann kam Mirna, zwei Stücke von Sibylle Berg, Vorarlberg­er Landesthea­ter, Großes Haus, Seestr. 1, 19.30 Uhr

Lindau

Lindauer Marionette­noper: Die Zauberflöt­e, von Wolfgang Amadeus Mozart, Stadttheat­er, Konzertsaa­l, Fischergas­se 37, Insel, 19.30 Uhr

Memmingen

Glauben, dokumentar­isches TheaterTan­z-Projekt von satellit produktion, Landesthea­ter Schwaben, Studio, Theaterpla­tz 2, 20 Uhr NippleJesu­s, Komödienso­lo von Nick Hornby, Mewo Kunsthalle, Bahnhofstr. 1, 19.30 Uhr

Ravensburg

Eltern - für Kinder nicht zu empfehlen, Theater Ravensburg, Zeppelinst­r. 7, 20 Uhr

Wangen im Allgäu

Circus Montana, Zirkusshow, Gewerbegeb­iet Haid, 17 Uhr Witsch-Watsch-Wutsch, Kasperthea­ter, Reservieru­ng erforderli­ch, Wangener Puppenthea­ter, Lange Gasse 43, 15 Uhr

Lindau

Internatio­nale Bodensee-Kunstaukti­on, Nachverkau­f, bis 17. Juni, Auktionsha­us Michael Zeller, Bindergass­e 7, 10-12.30 Uhr, 14-18 Uhr

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FOTO: ANJA KOEHLER/VLT Sie fürchtet nicht den Feind noch den Tod: Johanna von Orléans, beim Vorarlberg­er Landesthea­ter dargestell­t von Mareile Blendl.

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