„Im Internet kann jeder etwas in die Welt hinausposaunen“
Der Journalist und Medienwissenschaftler Tanjev Schultz über den Umgang mit Fehler- und Falschmeldungen
RAVENSBURG - Tanjev Schultz ist Professor für Journalistik in Mainz. Zuvor war er mehr als zehn Jahre lang Redakteur der „Süddeutschen Zeitung“. Im Interview erklärt Schultz, warum Medienkompetenz schon im Kindergarten ein Thema sein sollte und weshalb das Vertrauen in die Glaubwürdigkeit der Medien weiter gestärkt werden muss.
Wird für die Medienkompetenz von Kindern und Jugendlichen in Deutschland genug getan?
Sicherlich mehr als früher, aber noch immer zu wenig. Politiker und Pädagogen haben Mühe, dem rasanten Medienwandel hinterherzukommen. Die Gefahr ist, dass sie entweder das Neue verteufeln und seine Chancen kleinreden – oder aber, dass sie sich kopflos von einem Hype in den nächsten stürzen, ohne Substanz.
Was muss besser werden?
Mediennutzer müssen heute vieles von dem lernen, was auch Journalisten lernen: einen sorgfältigen Umgang mit Quellen, Reflexionsfähigkeit, Recherche, Fairness-Regeln in der Kommunikation. Und es bringt wenig, Medienkompetenz isoliert zu betreiben – sie muss sich durchziehen durch den Bildungsprozess und durch alle Fächer, vom Kindergarten bis zur Uni und in die Betriebe.
Wie sollte man damit umgehen, dass sich viele Kinder und Jugendliche mit neuen Medien besser auskennen als ihre Lehrkräfte oder Eltern?
Eigentlich ist das doch toll. Dann kann man Lernprozesse so gestalten, dass sie nicht nur in eine Richtung gehen. Die Erwachsenen sollten nicht gleich alles schräg ansehen, was die Jüngeren treiben. Worauf es dann ankommt: Neues zu verbinden mit den alten Tugenden und Qualitätsansprüchen. Da kennen sich die Jüngeren ja nicht unbedingt besser aus.
Sind Fake News für den Journalismus ein Problem?
Oh ja. Fehler- und Falschmeldungen gab es schon früher – auch Propaganda und Desinformation von Regierungen und anderen. Das Phänomen ist also nicht neu. Aber in jüngster Zeit sind die Probleme mit absichtlich verbreiteten Falschinformationen auf keinen Fall kleiner geworden, eher deutlich größer.
Fake News können eine große Dynamik entwickeln. Liegt das an der neuen Technik?
Nicht nur. Klar, im Internet kann jeder etwas in die Welt hinausposaunen. Das trägt zu der Dynamik bei.
Wer verbreitet Fake News?
Jeder kann Fake News verbreiten – auch Regierungen, Verschwörungstheoretiker und Geheimdienste. Man kann damit auch Geld verdienen: Wenn Leute auf Seiten mit Fake News klicken, bringt das den Betreibern durch Werbung Geld.
Es scheint, als sei das Vertrauen der Deutschen in die Medien gesunken. Stimmt das?
Nein, so pauschal kann man das nicht sagen. Umfragen zeigen, dass die Vertrauenswerte recht stabil sind. Vor allem Tageszeitungen und der öffentlich-rechtliche Rundfunk genießen immer noch hohe Glaubwürdigkeit. Zuletzt gab es aber viel Kritik an diesen Medien. Es gibt Gruppen, die das lautstark artikuliert haben; sie sind aber nicht die Mehrheit. Dennoch konnte man zuletzt bei einem Teil der Bevölkerung einen Schwund an Vertrauen messen. Ein gesundes Misstrauen – auch gegenüber den Medien – ist in einer Demokratie nicht verkehrt, ein übertriebenes Misstrauen hingegen ein Problem. Auch deshalb ist Medienkompetenz so wichtig.