Im Radio vom Tod des Vaters erfahren
Walter Kohl zeigt sich bestürzt – Auch in der Trauer wirkt langjähriger Familienstreit nach
BERLIN - Die Flaggen auf dem Berliner Reichstag, vor dem Kanzleramt und anderen öffentlichen Gebäuden in Berlin wehen auf Halbmast. Trauer um Helmut Kohl, den Kanzler der Einheit. Kerzen und Kränze vor dem Bungalow in der Marbacher Straße 11 im Ludwigshafener Stadtteil Oggersheim. Immer wieder kommen Menschen, legen Blumen nieder, halten inne. Die Polizei hat die Straße abgesperrt.
Viele sind gekommen, um Abschied zu nehmen. Unter den Trauernden war auch Walter Kohl, einer der beiden Söhne Kohls. Der 53-Jährige hatte die Nachricht vom Tod seines Vaters aus dem Radio erfahren, seit Jahren gab es keinen Kontakt mehr. Im Sommer 2011 habe er zuletzt mit ihm telefoniert, das Elternhaus nicht mehr betreten dürfen. „Sie sehen einen Menschen, der eben sehr traurig ist“, sagte er tief bewegt, als er aus dem Haus kam, in dem er sich vom toten Vater verabschiedet hatte.
Walter Kohl hatte in dem Buch „Leben und gelebt werden“vor vier Jahren schwere Vorwürfe gegen Maike Kohl-Richter, nunmehr Witwe des Altkanzlers, aber auch gegen seinen Vater selbst erhoben. Vom Freitod seiner Mutter Hannelore im Jahr 2001 habe er durch einen Anruf von der Büroleiterin des Vaters erfahren. Als Kohl sieben Jahre später Maike Richter heiratete, erhielten die Söhne Walter und Peter nur ein Telegramm.
Die Beziehung zwischen Helmut Kohl und Maike Richter habe bereits in der zweiten Hälfte der 1990er-Jahre begonnen, schreibt Peter Kohl im Vorwort einer aktualisierten Biografie über seine Mutter. Walter Kohl sprach von einer „Kontaktsperre“, die die heute 52-Jährige gegen ihn und seine Familie verhängt habe, um den früheren Regierungschef abzuschirmen. Helmut Kohl dürfe nicht einmal seine Enkelkinder sehen.
Handarchiv des Altkanzlers
Nach dem Tod des Altkanzlers dürfte jetzt der Streit um sein geistiges Erbe weitergehen. Es geht unter anderem um 400 Aktenordner und 200 Tonbänder. Es ist ein großer Teil von Helmut Kohls politischem Nachlass, das Handarchiv des Altkanzlers. Über das für Historiker unschätzbar wertvolle Material stritten zuletzt die CDU und Maike Kohl-Richter.
Kohl hatte bereits 2010 sein privates Handarchiv, das er 1998 nach Ende seiner Kanzlerschaft dem Archiv der CDU-nahen Konrad-AdenauerStiftung zur Verfügung gestellt hatte, in sein Privathaus nach Oggersheim bringen lassen. Die Begründung: Der Altkanzler benötige die Akten, um den noch ausstehenden vierten Band seiner Memoiren zu verfassen. In der CDU-Spitze glaubte man allerdings nicht daran, dass der nach einem schweren Sturz an den Folgen eines Schädel-Hirn-Traumas leidende Altkanzler noch selbst in der Lage sei, sein Werk fertigzustellen. Maike Kohl-Richter hatte in einem Interview erklärt, dass „die alleinige Entscheidungsbefugnis“ über den Nachlass ihres Mannes bei ihr liegen solle. Es gebe keinen neuen Stand dazu, sagte ein Sprecher der Konrad-Adenauer-Stiftung am Sonntag der „Schwäbischen Zeitung“.
Kohls Anwalt hatte in der Vergangenheit erklärt, der Altkanzler wolle seinen Nachlass einer Stiftung überlassen. Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) plant eine Helmut-Kohl-Stiftung. Bei den 400 Akten des Kohlschen Privatarchivs handelt es sich vor allem um persönliche Aufzeichnungen, Redeentwürfe, Korrespondenz mit in- und ausländischen Politikern und Staatschefs.
In der CDU will man eine offene Auseinandersetzung mit Maike Kohl-Richter vermeiden. Ungute Erinnerungen werden wach an die Schlammschlacht, die sich in den 1990er-Jahren die Witwe Brigitte Seebacher-Brandt nach dem Tod des früheren Kanzlers Willy Brandt mit der SPD geliefert und sich kurzerhand zur Alleinerbin seines politischen Nachlasses erklärt hatte.
Auch die Reiseschreibmaschine, auf der Kohls erste Ehefrau Hannelore am Wochenende des 25. und 26. November 1989 am heimischen Schreibtisch den Zehn-Punkte-Plan für Deutschlands Einheit tippte, den ihr der Kanzler diktiert hatte, gehört zum Nachlass. Sie soll im Keller des Bungalows in Ludwigshafen Oggersheim stehen. Der Altkanzler wollte sie nicht rausgeben. Alle Versuche des Direktors des Bonner Hauses der Geschichte, Walter Hüter, sie für das Museum zu bekommen, scheiterten.