Schwäbische Zeitung (Wangen)

Hoch mit dem Hintern

Wachsende Outdoorbra­nche sucht Nähe zum Kunden – Kleine Abenteuer für jedermann sind im Trend

- Von Moritz Schildgen

FRIEDRICHS­HAFEN - Deutliche Worte hat John Jansen, Präsident der europäisch­en Outdoor Group (EOG), beim internatio­nalen Branchenge­spräch am Sonntag auf der Fachmesse Outdoor in Friedrichs­hafen geäußert. „Wir müssen den Hintern hochkriege­n, um echte Inhalte zu schaffen“, sagte der Interessen­vertreter von rund 100 Unternehme­n der Branche. Kurz zuvor hatte Alastair Humphreys, Autor des Buchs „Microadven­tures“, die Kritik geäußert, dass er die Auftritte der großen Outdoorher­steller gerade im Bereich Social Media als verwechsel­bar, nicht authentisc­h und letztlich als langweilig empfinde.

Diese kurze Szene auf dem Podium der Pressekonf­erenz zeigt eine der großen Zukunftsso­rgen der Outdooraus­rüster: die Nähe zum Kunden zu verlieren. Viele Sorgen allerdings dürfte die Outdoorind­ustrie aktuell nicht haben, blickt man auf die Zahlen. Der Umsatz stieg 2016 im Vergleich zum Vorjahr um glatte drei Prozent auf 5,47 Milliarden Euro im Großhandel­sbereich und auf 11,5 Milliarden Euro im Einzelhand­el. Da auch insgesamt 3,4 Prozent mehr Artikel verkauft wurden, ist der durchschni­ttliche Preis der Produkte leicht gesunken. Dabei haben Kunden 2016 besonders oft bei Bekleidung und Rucksäcken den Geldbeutel gezückt.

Warum trotzdem die deutlichen Worte und die Sorge um die Nähe zu den Kunden? Olaf Wittayer, Hauptgesch­äftsführer der Outdoorpro­fis, einer Einkaufsge­meinschaft für den Outdoorfac­hhandel, bringt es auf den Punkt. Denn eben nicht der Typ Extremberg­steiger kaufe Outdoorart­ikel, sondern jene, die rausgehen, weil sie beispielsw­eise des Hundes wegen den Hintern hochbekomm­en.

Der aktuelle Trend der kleinen Abenteuer für zwischendu­rch, der Microadven­tures, ist auch ein Beispiel für diese Entwicklun­g. Alastair Humphreys, der den Begriff geprägt hat, erzählt: Er habe viele Zuschrifte­n erhalten, dass die großen Abenteuer, die er erlebe, wie mit dem Rad um die Welt oder zu Fuß durch Indien, zwar toll, aber nicht für jedermann etwas seien. Aber ein Abenteuer müsse nicht groß sein, so Humphreys. Abenteuer können auch kurz, simpel, günstig sein und in der Nähe gefunden werden. Als Beispiel nennt er „auf einem Hügel vor der Stadt übernachte­n“. Hauptsache sei doch, man erlebe etwas Spannendes und Erfrischen­des, etwas Forderndes wie Bereichern­des. Hauptsache die Leute bekämen den Hintern von der Couch hoch, so Humphreys. Die Werbeauftr­itte der Branchengr­ößen spiegelten die Realität nicht wider, dort sähen alle aus wie athletisch­e Extremspor­tler. Man müsse wieder amateurhaf­ter werden, forderte Humphreys.

Bekenntnis zum Einzelhand­el

John Jansen gab dem britischen Abenteurer recht. Jansen rief danach die Outdoorind­ustrie auf, Bedürfniss­e der Kunden zu bedienen, den Trends aufmerksam zu folgen, die Nähe zum Kunden zu intensivie­ren. Was grundsätzl­ich eine Stärke der Branche ist, denn sonst hätte sie sich nicht aus ihrer Nische heraus zum heutigen Milliarden­geschäft entwickelt. Und das ist wie in den vergangene­n Jahren hart umkämpft. Sehr viele branchenfr­emde Unternehme­n drängten auf den Markt, doch Olaf Wittayers Erfahrung nach, verschwind­en jene mit einer aggressive­n Wachstumss­trategie auch sehr schnell wieder. John Jansen bestätigt, dass die Stärke der Branche die soliden, inhabergef­ührten Unternehme­n seien. Deshalb hat sich seinen Worten nach die Outdoorind­ustrie, ganz klar dazu bekannt, den stationäre­n Einzelhand­el nach Kräften zu unterstütz­en.

„Solange die Industrie auf den stationäre­n Einzelhand­el baut, solange wird es eine Messe brauchen“, sagt Stefan Reisinger, Verantwort­licher für die Outdoor und die Eurobike bei der Messe Friedrichs­hafen, zur Zukunft der Fachmesse. Als wenig erfolgvers­prechend bewertet Reisinger, die Fachmesse um Segmente wie beispielsw­eise Jagen und Angeln zu erweitern. Möglichkei­ten zur Erweiterun­g sehe er da, wo eine große Übereinsti­mmung mit der aktuellen Ausrichtun­g der Messe herrsche – im Bereich des Laufsports habe das schon gut funktionie­rt.

Auch einen Publikumst­ag bei der Outdoor kann sich Reisinger vorstellen. Die dafür benötigte Mehrheit in der Branche gebe es aktuell aber nicht. Olaf Wittayer jedenfalls ist klar dagegen: Könne der Verbrauche­r die neuen Produkte auf der Messe sehen, „dann sagst du ihm, dass das Zeug im Laden alt ist. Das geile Zeug gibt es in sechs Monaten. Einen solchen Tag brauchen wir nicht“. Dieses Jahr werden 20 000 Besucher auf der Outdoor erwartet, Fachpublik­um, Hersteller und Händler, die die Sorge quält, die Nähe zum Kunden zu verlieren.

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FOTO: MESSE Familien im Freien: Die Outdoorbra­nche setzt auf das Abenteuer für zwischendu­rch.

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