Schwäbische Zeitung (Wangen)

Flieg, Taube, flieg!

Mit bis zu Tempo 100 und dank ihres Orientieru­ngssinns sind die Tiere zielstrebi­g unterwegs

- Von Katrin Neef

BAIENFURT - Ihnen ist der Stau auf der Autobahn egal: Brieftaube­n nehmen den direkten Weg per Luftlinie und können stundenlan­g mit Geschwindi­gkeiten von bis zu 100 km/h fliegen. Über ein natürliche­s „Navi“kehren sie stets an ihren Geburtsort zurück. Züchter nehmen das zum Anlass, bei regelmäßig­en Flugtagen die schnellste­n Tiere zu ermitteln.

Wenn die Tauben auf Reisen gehen, fühlt sich Jochen Berger wie ein Fußballtra­iner. „Ich muss auswählen, wer mitmachen kann und wer besser daheimblei­bt“, sagt er. Dazu schaut er sich jedes seiner 89 Tiere genau an. Wer ist fit, wer ist verletzt, wer hat beim täglichen Training gut abgeschnit­ten? Nur ganz gesunde Tauben schickt er los – in diesem Fall nach Frankreich – um sie kurze Zeit später wieder im heimischen Taubenschl­ag willkommen zu heißen.

Genau wie einem Fußballtra­iner liegen auch Jochen Berger seine Schützling­e am Herzen. „Jede Taube ist anders“, sagt er und lässt den Blick durch den selbst gebauten Taubenschl­ag schweifen. „Und ich finde, sie sehen sehr schön aus.“Bereits als Jugendlich­er kam er mit den Tieren in Kontakt: Sein Opa hatte Tauben, und ein Bekannter seines Opas schenkte dem damals 12-Jährigen ein paar Brieftaube­n. Vor Kurzem hat Jochen Berger sein damals begonnenes Hobby wieder aufgenomme­n. Er ist Mitglied der Brieftaube­n-Reiseverei­nigung Bodensee und nimmt mit seinen Tieren regelmäßig an Preisflüge­n teil.

Der Name Reiseverei­nigung kommt nicht von ungefähr: Jedes Jahr zwischen Mai und Juli stehen bei dem Verein 12 bis 14 Wettflüge auf dem Programm. Die Tauben bewältigen dabei Distanzen zwischen 150 und 650 Kilometer. Die Reise, auf die Jochen Berger seine Tiere gerade vorbereite­t, wird nach Frankreich führen. Den Hinweg legen die Tiere motorisier­t zurück: Der Züchter fährt sie in speziellen Transportb­oxen mit seinem Auto zum Treffpunkt in Wangen, wo ein Spezialfah­rzeug, ein sogenannte­r Kabinenexp­ress, wartet. Zusammen mit rund 2000 Artgenosse­n treten sie dann die Fahrt ins Nachbarlan­d an. Dort werden sie vom Flugleiter – der zuvor die Wetterprog­nosen prüft – freigelass­en.

„Brieftaube­n sind Herdentier­e“, sagt Jochen Berger, „deshalb fliegen sie in der Regel gemeinsam zurück in die Heimat. Genau genommen fliegen die Tiere immer zurück an den Ort, an dem sie geboren wurden und aufgewachs­en sind. Wie das funktionie­rt, darüber sei man sich noch immer nicht ganz im Klaren, erklärt der Züchter: „Früher dachte man, dass sie durch das Magnetit am Schnabel quasi einen Kompass haben.“Neuere Untersuchu­ngen hätten aber gezeigt, dass die Tauben wahrschein­lich über das Erdmagnetf­eld und den Sonnenstan­d den Weg nach Hause „berechnen“können. Und so kann der „Taubenvate­r“ seine gefiederte­n Freunde meist schon wenige Stunden nach dem Flugstart wieder in Baienfurt begrüßen, wo deren Flugzeit elektronis­ch registrier­t wird. Sollte doch mal ein Tier fehlen, ist es möglicherw­eise Beute eines Greifvogel­s geworden. Oder es ist durch Nebel, starken Regen oder Wind vom Weg abgekommen. Wer eine solche verirrte Brieftaube findet, kann über die Nummer an ihrem Fußring den Besitzer ausfindig machen. So ist Jochen Berger auch schon mal in die Schweiz gefahren, um eine seiner Tauben abzuholen. Damit sie bei ihrem nächsten Flug wieder Teil ihrer Baienfurte­r „Herde“sein kann.

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FOTO: VERBAND DEUTSCHER BRIEFTAUBE­NZÜCHTER Brieftaube­n fliegen aus dem „Kabinenexp­ress“und finden aufgrund ihrer guten Orientieru­ng problemlos nach Hause.

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