Meisterliche Handwerker
Bei Welt- und Europameisterschaften mischen Handwerker aus dem Südwesten erfolgreich mit
BIBERACH/RAVENSBURG - Schon im November 2002 ist Stefan Schoch aus Räterschen im Kanton Zürich das Maß der Dinge. Bei den europäischen Meisterschaften der Zimmerer im italienischen Bruneck gibt es keinen, der präziser anreißt, der genauer sägt und der schneller baut als er. Jochen Ströhle, der als amtierender deutscher Meister mit großen Hoffnungen damals nach Italien reist, landet wegen „Leichtsinnsfehlern“abgeschlagen auf Platz acht.
Ein Jahr später, im Juni 2003, kommt es zum erneuten Aufeinandertreffen der beiden Zimmerleute: bei den Worldskills, den Weltmeisterschaften der Berufe, in den Messehallen der Genossenschaft Olma in St. Gallen. Und wieder ist es Schoch, der sich anfangs, mit dem Heimvorteil als Schweizer im Rücken, an die Spitze der Wettbewerber setzt. Doch Ströhle, der 23-Jährige aus Nellingen im Alb-Donau-Kreis hält dagegen. Über vier Tage liefern sich die beiden Handwerker ein packendes Duell auf Augenhöhe. Unter den strengen Blicken von erfahrenen Juroren und begleitet von mehr als insgesamt 100 000 Zuschauern, die den zwölf Zimmerleuten penibel auf die Finger schauen, wird gezeichnet und gemessen, gesägt und gehobelt, geprüft und gepasst, gebohrt und geschraubt.
Habe ich alles richtig gemacht? Komme ich ohne Nachbearbeitung und damit ohne Punktabzug aus? Und vor allem: Passt am Ende alles zusammen? Ist das Projekt, eine komplizierte Dachkonstruktion die einem Fachwerkhaus im Kleinformat ähnelt, maßhaltig und sauber gearbeitet, ohne Spalten und ohne Verzug? Fragen, die Ströhle vier Tage lang immer wieder durch den Kopf schießen. Der Schweiß fließt mitunter in Strömen, permanente Konzentration bis in die Haarspitzen. Dann die Erlösung: 549 Punkte bekommt Ströhle für sein Modell. Platz eins. Weltmeister. Zusammen mit Stefan Schoch, der 551 Punkte einsammelt.
Beruflicher Spitzensport
Die Worldskills – das ist beruflicher Spitzensport. Das ist ein internationales Kräftemessen in mehr als 40 Disziplinen, ein Leistungsvergleich zwischen Maurern, Bäckern, Schweißern, Elektrikern, Frisören, Floristen, Köchen, Modellbauern. Und das ist eine Veranstaltung, auf der das deutsche Handwerk – allen voran die Zimmerer – beständig vorne mitmischt. Bei der letzten Auflage im brasilianischen Sao Paulo trat Simon Rehm in die weltmeisterlichen Fußstapfen von Jochen Ströhle. Bei den Austragungen 2013 und 2011 in Leipzig und London erkämpften die deutschen Zimmerer jeweils dritte Plätze. Und auch in diesem Jahr, in Abu Dhabi, hofft das deutsche Team auf vordere Plätze. „Denn trainiert wird auf einem Leistungsniveau, vergleichbar mit dem olympischen Spitzensport“, ist Huber Romer, offizieller Delegierter des Team Germany, guter Dinge.
Idee des Leistungstransfers
Der Wettbewerb nicht akademischer Berufe wurde erstmals 1950 ausgetragen. Fünf Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs stand der Gedanke der Völkerverständigung im Vordergrund. Heute dominiert die Idee des Leistungstransfers. Der Stellenwert des Wettbewerbs, der zweijährlich stattfindet und für den sich Teilnehmer bis zu 23 Jahren qualifizieren können, ist von Nation zu Nation verschieden. Vor allem in Asien, in Japan und insbesondere in Südkorea, sind den Siegern Ruhm, Ehre und materielle Zuwendungen gewiss. Und so verwundert es nicht, dass die Medaillenspiegel der vergangenen Austragungen asiatisch dominiert sind. Allein fünf der letzten sechs Zimmerer-Weltmeister kamen aus Korea.
Heute, 14 Jahre nach seinem Triumph in St. Gallen, ist Jochen Ströhle nicht mehr in den Wettkampfarenen zu finden. Heute gibt der Zimmerer-Meister sein Wissen und Können an die jüngere Generation weiter. „Das soll kein Geheimnis bleiben“, sagt Ströhle, der seit November 2010 Ausbilder im Bildungszentrum Holzbau in Biberach ist. Knapp 600 Lehrlinge bekommen dort jedes Jahr in ein- bis dreiwöchigen Kursen die Techniken des Zimmereihandwerks vermittelt – vom Holzinnenausbau über Dachsanierungen bis hin zu Maschinenkursen.
Doch im Rückblick sind die Ereignisse von damals für Ströhle noch immer präsent. Der mehrjährige Anlauf, der 1998 mit einer Zimmererlehre in Nellingen seinen Anfang nimmt, obwohl der Vater doch auf eine Karriere seines Sohnes im Bankwesen gedrängt hatte. Der erstmalige Kontakt mit der Technik des Schiftens, der „Königsdisziplin im Zimmereihandwerk“, wie Ströhle sagt, bei der man neben handwerklichem Geschick vor allem auch räumliches Vorstellungsvermögen braucht. Die Gesellenprüfung 2001, der, wegen Ströhles guter Noten, die Einladung zum Wettkampf der besten Zimmerer durch die Handwerkskammer Ulm folgte. Der Sieg im Kammerbezirk und der anschließende Erfolg auf Landesebene. Die Einladung für die deutschen Meisterschaften und die spätere Teilnahme an den Europameisterschaften.
Die liefen für Ströhle zwar nicht so gut. Doch bei den darauffolgenden Vorbereitungskursen überzeugte er seine Trainer mit so guten Leistungen, dass Ströhle dennoch das begehrte Ticket nach St. Gallen lösen konnte.
Brotgewordene Fantasie
Dieses Ticket bleibt Tanja Angstenberger verwehrt. Dabei hätte die vorjährige Back-Europameisterin aus Aalen-Wasseralfingen (Ostalbkreis) zweifellos das handwerkliche Zeug dazu. Doch mit 24 Jahren hat sie die für eine Teilnahme an den Worldskills maximale Altersgrenze um ein Jahr überschritten. Von Traurigkeit ist bei der sympathischen jungen Frau aber keine Spur. Stattdessen Freude über das Erreichte. Über den Titel der Europameisterin, den sie im Februar 2016 in der Akademie des Deutschen Bäckerhandwerks im baden-württembergischen Weinheim errungen hat, und über die Meisterprüfung, die die gelernte Bäckerin und Konditorin wenig später erfolgreich bestand.
„Eine gute Ausbildung ist die Eintrittskarte für die Wettbewerbe. Später muss man dranbleiben und etwas leisten“, sagt Angstenberger auf die Frage, was für ihren Erfolg in Weinheim ausschlaggebend war. Das handwerkliche Können sei bei allen Teilnehmern auf einem hohen Niveau, deshalb würden schon Kleinigkeiten über Sieg oder Niederlage entscheiden. Die größte Herausforderung seien in der Regel die Zeitlimits.
Überzeugt hat Angstenberger nach eigener Einschätzung die Jury mit ihrem riesigen Schaustück – einer brotgewordenen Fantasie, die das Wettbewerbsmotto „Heimat“am besten traf. Ein roter VW-Käfer steht in einem Zahnrad, darum ist eine Deutschland-Flagge geschlungen. Darüber eine Uhr, darunter das Gesicht von Albert Einstein: Mit ausgestreckter Zunge und aufgerissenen Augen blickt er zum Auto hinauf. Alles thront auf einem dunklen Brotlaib, alles ist aus essbarem Teig.
„Das Auto steht für die Erfolgsmarken Deutschlands, die Uhr symbolisiert die Pünktlichkeit der Deutschen. Die Zahnräder stehen für deutsche Technik, Albert Einstein, 1879 in Ulm geboren, für die Genialität deutscher Wissenschaftler und das dunkle Brot für die Vorliebe deutscher Bäcker, ihre Laibe kräftig auszubacken“, beschreibt Angstenberger ihre Gedankengänge von damals.
Anders als die meisten Schaustücke ihrer Konkurrenten hielt die filigrane Skulptur aus Brotteig, deren einzelne Teile mit flüssigem Zucker verklebt sind, der Gravitation stand und brach nicht zusammen. „Man braucht Statikkenntnisse und darf nicht zu hoch bauen. Im Training vorab sind mir etliche Modelle eingestürzt, doch bei der Europameisterschaft hat alles gepasst“, erzählt sie schmunzelnd.
Neben dem Schaustück mussten die insgesamt zwölf Teilnehmer aus sechs Nationen in weiteren Kategorien ihr Können unter Beweis stellen – Plundergebäck, Weizenkleingebäck und ein „Körnerbrot aus der Überraschungsbox“wurde von den Juroren begutachtet.
Dafür bekamen die Jungbäcker und Jungbäckerinnen eine Dose mit Zutaten überreicht und mussten innerhalb einer Stunde ein Rezept entwickeln. „Da zeigt sich: Bist du Bäcker oder bist du’s nicht“, sagt Angstenberger.
Für die Aalenerin ist ihr Handwerk einfach Leidenschaft: „Ich möchte mit dem, was ich mit meinen eigenen Händen hergestellt habe, anderen Menschen ein Lächeln ins Gesicht zaubern. Und ihnen gleichzeitig etwas Lebensnotwendiges geben“, sagt die junge Frau. Schon seit sie denken kann, hilft sie in der Backstube ihrer Eltern in Aalen-Wasseralfingen mit. Dort hat sie auch ihre Ausbildung zur Bäckerin und Konditorin absolviert. Dass sie den elterlichen Betrieb später einmal weiterführt, steht für die lebenslustige Bäckerin außer Frage.
„Eine gute Ausbildung ist die Eintrittskarte für die Wettbewerbe.“Tanja Angstenberger, Europameisterin der Jungbäcker 2016
Im Süden gehören Handwerker mit ihren Fertigkeiten zu den tragenden Säulen der Wirtschaft. Doch die Betriebe stehen vor großen Umbrüchen: Nicht nur die Digitalisierung, auch die Energiewende und die Suche nach Fachkräften stellt viele Handwerker vor Herausforderungen. Wie Bäcker, Maurer, Zimmerer, Dachdecker und Schreiner mit diesen Veränderungen umgehen, zeigt die Serie „Unser Handwerk“in der „Schwäbischen Zeitung“. In der nächsten Folge geht es am Samstag um die Zukunft des KfZ-Handwerks. Die Serie läuft bis Ende Juni und steht online unter: www.schwaebische.de/unserhandwerk
Die Wirtschaftsredaktion lädt die Leser der „Schwäbischen Zeitung“zu einer Podiumsdiskussion über die Meisterpflicht in das Medienhaus von Schwäbisch Media in Ravensburg am Montag, 26. Juni, ab 19 Uhr ein. Bitte melden Sie sich unter der Telefonnummer 0751/2955-5750 für den Abend an. Der Eintritt ist kostenlos. (sz)